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Naturschutz: Das Wunder von Nagoya?

Schützenswerter Planet
Die Erwartungen flogen nicht hoch, zu präsent waren noch die Erinnerungen an das Scheitern des letzten Gipfeltreffens zum Klimaschutz in Kopenhagen: Ohne ein neues Abkommen zum Schutz der Erdatmosphäre ging die Staatengemeinschaft im November 2009 auseinander. Einen ähnlich schlechten Ausgang befürchteten Wissenschaftler und Naturschützer auch jetzt wieder bei der 10. Konferenz der Vertragsparteien der Biodiversitätskonvention (kurz COP10 oder Biodiversitätskonferenz genannt) – zu zäh verliefen die Vorbereitungstreffen, zu kontrovers standen sich die Positionen der Industriestaaten und der Länder mit hoher Artenvielfalt in den Tropen gegenüber, zu sehr wurde in den letzten zwei Wochen in Nagoya in Japan taktiert und laviert.

Am Abend vor der längsten Nacht der Tagung hatten sich die Delegierten bereits in 16 von 20 Fragen geeinigt, die im neuen Abkommen zum Schutz der Biodiversität stehen sollten. An drei weiteren Punkten entzündeten sich dagegen heftige Kontroversen:
  • Die Finanzierung des Artenschutzes stand ganz oben auf der Agenda. Brasilien, einer der artenreichsten Staaten der Erde und mit zunehmendem politischem Einfluss, schlug vor, dass die entsprechenden weltweiten Budgets für den Naturschutz bis zum Jahr 2020 auf 200 Milliarden Dollar jährlich erhöht werden. Gleichzeitig drängte die südamerikanische Nation die Europäische Union, mehr Geld zur Verfügung zu stellen – ein Ansinnen, das von den Europäern angesichts der Finanzkrise vieler EU-Staaten zurückgewiesen wurde: Frankreich bot stattdessen vier Milliarden Dollar für das gesamte Jahrzehnt an.

  • Auf heftigen Widerstand der Inder und Chinesen stieß das Ansinnen, ein knappes Sechstel der Ozeane in Meeresschutzgebieten zu bewahren. Bislang wurden nur 1,2 Prozent der Meeresfläche der menschlichen Nutzung entzogen. Beide Staaten sind auf marine Produkte angewiesen beziehungsweise setzen auf die zukünftige Nutzung von Rohstoffen wie Methanhydrat oder Erze aus der Tiefsee.

  • Tiefe Gräben zwischen Nord und Süd rissen schließlich noch in der Frage der so genannten Biopiraterie und der Nutzung genetischer Ressourcen auf. Vor allem die Länder der Tropen bestehen auf einer Art Lizenzgebühr für pharmazeutische und andere Produkte, die auf tierischen und pflanzlichen Stoffen basieren und ihren Ursprung zum Beispiel in südamerikanischen Regenwäldern oder indonesischen Riffen haben. Das so genannte ABS-Protokoll ("Access and Benefit Sharing of Genetic Resources") galt als entscheidend für den gesamten Erfolg von COP10.


Dank der umsichtigen Tagungsleitung durch den japanischen Umweltminister Ryu Matsumoto, der den Delegierten harte Kompromisse abgerungen hat, kam es letztlich doch zur Einigung: dem Nagoya-Protokoll. Dieses legt nun fest, dass Unternehmen Lizenzgebühren entrichten müssen, wenn sie neue Wirkstoffe oder Lebensmittel auf den Markt bringen, deren Ursprung beispielsweise in den Tropen liegt. Das bezieht auch so genannte Derivate ein, die nicht direkt aus einer Pflanze oder einem Tier stammen, sondern aus dessen genetischem Material entwickelt wurden.

Die Zahlungen sollen als Anreiz dienen, die Ökonomie in den Entwicklungsländern nachhaltiger auszurichten. Gleichzeitig wird der Natur ein gewisser monetärer Wert zugewiesen, der wiederum ihren Schutz fördern soll: Ein lebendiger Regenwald bringe auf Dauer mehr durch Lizenzgebühren ein, als kurzfristig durch seine Abholzung generiert werde, so die Hoffnung. Immerhin umfasst dieser Markt schon heute ein Volumen von mehreren hundert Milliarden Dollar, so Vertreter der EU. Gerade die Einigung auf das ABS-Protokoll gilt als Meilenstein, da es in der Vergangenheit ein häufiger Zankapfel zwischen Nord und Süd war und sich auch jetzt wieder als härtester Brocken zum Gipfelerfolg erwies.

Auch in den 19 anderen Zielen kamen die Staaten schließlich auf einen gemeinsamen Nenner: So sollen in den nächsten zehn Jahren die Schutzgebiete an Land einen Anteil von 17 Prozent und die im Meer von 10 Prozent an der Erdoberfläche einnehmen – in den Ozeanen immerhin eine Vergößerung um das Zehnfache. Umweltfeindliche Subventionen – beispielsweise für Fischerei, Straßenbau oder Energieerzeugung – sollen schrittweise abgebaut und stattdessen zunehmend für die nachhaltige Bewirtschaftung von Böden, Wäldern oder Gewässern genutzt werden. Der Umbau der Landwirtschaft und der Aquakulturen müsste dafür vorangetrieben werden – fraglich angesichts der weiterhin wachsenden Weltbevölkerung und des zunehmenden Wohlstands, der die Ernährungsgewohnheiten in Richtung Fleisch und Fisch verschiebt. Gleichzeitig will die internationale Gemeinschaft der Überfischung und dem Aussterben von Arten einen Riegel vorschieben.

Wie sich das Ganze finanziert, muss noch ausgehandelt werden: Die von Brasilien und anderen "Südstaaten" geforderten 200 Milliarden Dollar bis 2020 wiesen die Vertreter der EU und Japans zurück. Bis 2012 – wenn der nächste Gipfel in Indien tagt – soll ein Masterplan stehen, in dem diese Frage geregelt wird. Neben staatlichen Geldern setzen vor allem die Europäer auch auf Beiträge aus privaten Mitteln wie Stiftungen oder aus der Wirtschaft. Ob diese tatsächlich einspringen, steht in den Sternen.

Viele Naturschützer sind deshalb nur verhalten optimistisch: Sie begrüßen zwar die Einigung von Nagoya, da sie eine ähnliche Pleite wie beim Klimagipfel in Kopenhagen befürchtet hatten. Viele der Vereinbarungen und vor allem die Finanzierung stehen allerdings noch auf zu schwachen Füßen. Beim Meeresschutz blieben die Staaten zudem weit unter den Vorstellungen der Ökologen, die Meeresreservate auf einem Fünftel der Ozeanfläche für nötig gehalten hatten, um den Kollaps weiterer Fischbestände abzuwenden. Und es wurden kaum Sanktionen vereinbart, sollte sich eine Nation nicht an die Vereinbarungen halten.

Es steht daher zu befürchten, dass das Nagoya-Protokoll ein ähnlicher Papiertiger bleibt wie sein Vorgänger, der 1992 auf dem Gipfel von Rio de Janeiro vereinbart wurde. Das damalige Ziel, das globale Artensterben bis 2010 einzudämmen, verfehlte die Weltgemeinschaft völlig. Außerdem bezieht das neue Abkommen die Vereinigten Staaten nicht mit ein, die zu den weltweit größten Verbrauchern von Umweltgütern zählen: Die USA gehören nicht zu den Unterzeichnern der Artenvielfaltskonvention. Was die lange Nacht von Nagoya schließlich wert ist, muss sich noch zeigen. Anlass zur Hoffnung gibt aber jetzt schon die Tatsache, dass sich die internationale Staatengemeinschaft doch noch zu gemeinsamen Verträgen entschließen kann.

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