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Angemerkt!: Der Berg kreißte ...

Daniel Lingenhöhl
Zwei Wochen haben sie nun debattiert und herausgekommen ist – nichts. Oder zumindest fast nichts, auch wenn Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sich auf der Abschlusspressekonferenz zur 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversität in Bonn begeistert zu den Ergebnissen geäußert hat: "Wir haben in Bonn soviel erreicht, wie wir erreichen wollten und erreichen konnten. Wir haben uns bei den strittigsten Kernfragen geeinigt und den lähmenden Stillstand der letzten Jahre überwunden. Der weltweite Aufbruch zum konkreten Schutz der biologischen Vielfalt ist gelungen. In Bonn hat sich die Weltgemeinschaft auf den Weg gemacht, den anhaltenden Raubbau an der Natur zu stoppen", sagte Deutschlands oberster Naturschützer.

"Wir haben in Bonn soviel erreicht, wie wir erreichen wollten und erreichen konnten"
(Sigmar Gabriel)
Einem genaueren Blick hält diese Aussage allerdings nicht stand – beziehungsweise kommt dem Satzbaustein "wie wir erreichen konnten" eine höhere Bedeutung zu. Denn erreicht wurde beschämend wenig. Auf der Habenseite steht beispielsweise die Einigung auf ein Mandat gegen Biopiraterie: Sie soll etwa verhindern, dass sich Pharmafirmen aus entwickelten Ländern in den Regenwald- oder Riffapotheken der Tropenländer bedienen, ohne dass diese Staaten später etwas von den erwirtschafteten Einnahmen sehen. Verbindlich ist diese Einigung jedoch noch nicht. Abschlägig beschieden wurden zudem Pläne zur künstlichen Düngung von Meeresgebieten, damit verstärktes Algenwachstum dort mehr Kohlendioxid bindet und den Klimawandel bremst. Ein Experiment mit völlig unbekannten ökologischen Folgen, dessen Wirkung auf die Erderwärmung eher gering geschätzt wird.

Löblich ist auch das Engagement der Bundesrepublik, die in den nächsten Jahren 500 Millionen Euro zusätzlich in den Schutz der Regenwälder und Nationalparks rund um den Erdball investieren möchte – eine Spende, die sich nach neuen ökonomischen Berechnungen langfristig sogar stark auszahlen dürfte. Ab 2013 folgen dann jährlich eine halbe Milliarde Euro für diesen Zweck, das Geld soll dann aus dem Emissionenhandel stammen. Ob diese Absichtserklärung Bestand hat, werden allerdings erst die nächsten Monate und Jahre zeigen – vom vollmundig angekündigten Klimaschutzpaket der Bundesregierung während des G8-Gipfels in Heiligendamm ist ein Jahr später nicht mehr viel übrig.

Das Soll fällt demgegenüber deutlich schlechter aus: "Die Zusammenarbeit zwischen der Biodiversitäts-Konvention und der Klimarahmenkonvention soll verbessert werden. Entsprechende Empfehlungen wurden verabschiedet." Mehr gab es bei der Gefährdung der Artenvielfalt durch die Erderwärmung offensichtlich nicht zu sagen, obwohl die Aufheizung Wissenschaftlern als einer der größten Risikofaktoren für die Biodiversität gilt.

Worte statt Taten

"Sehr viel klarer als bisher werden weitere Maßnahmen gegen den illegalen Holzeinschlag und den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz auf nationaler und internationaler Ebene eingefordert." Soll heißen, es passiert erst einmal nichts, obwohl den Tropenländern dadurch immense Einnahmen entgehen, während gleichzeitig ihre Natur leidet. Hier müssen sich ohnehin die Industriestaaten an die Nase fassen: Stichprobenartige Erhebungen des WWF oder von Greenpeace ergeben immer wieder, dass in deutschen Baumärkten oder Möbelhäusern sehr oft Produkte aus gesetzeswidrig beschafftem Mahagoni, Meranti oder Teak zu Schnäppchenpreisen angeboten werden. Zugleich schiebt die Bundesregierung den Schwarzen Peter für das fehlende Gesetz der Europäischen Union zu.

"Es ist ein Riesenfortschritt, dass in Bonn wissenschaftliche Kriterien für die Auswahl von Meeresschutzgebieten verabschiedet wurden." Bis 2012 hat sich die Weltgemeinschaft laut Gabriel verpflichtet, ein entsprechendes Netzwerk an Reservaten einzurichten – eine Initiative, die schon in der EU scheitern wird, gelingt es der Union doch nicht einmal fachlich richtige Fischereiquoten einzuführen und durchzusetzen. Zugleich lässt sie ihre subventionierte Flotte, die Gewässer Afrikas leerfischen. Immerhin sollen Wissenschaftler nach den festgemachten Kriterien die Auswahl treffen – sie geben seltener den Begehrlichkeiten von Lobbyisten nach als Politiker.

"Die Weltgemeinschaft hat sich auf den Weg gemacht, den anhaltenden Raubbau an der Natur zu stoppen"
(Sigmar Gabriel)
"Die Delegierten einigten sich auf eine hinsichtlich der biologischen Vielfalt nachhaltige Erzeugung und Nutzung von Biokraftstoffen und bekräftigten, dass dieses Thema künftig eine wichtige Rolle spielen soll." Auch hier deutet sich also ein Wirtschaften wie bisher an. Die wachsende Nachfrage nach alternativen Energien zerstört weiterhin Naturräume und geht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion. Neuerlich spielen die Industriestaaten, und allen voran die Europäische Union, eine entscheidende Rolle, gehören Agrarkraftstoffe doch zu ihren wichtigsten Waffen gegen den Klimawandel. Sie verbünden sich in dieser Frage mit Staaten wie Brasilien oder Indonesien, die Regenwald umwandeln, um darauf Soja oder Palmöl für den Markt im Norden anzupflanzen – eine Koalition, gegen die kleinere Nationen oder gar Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen nicht ankommen.

All diese "Resultate", Leitlinien und Vorschläge sollen nun bis 2010 in Gesetzestexte gegossen werden, damit die Weltgemeinschaft auf der dann folgenden Tagung in Japan ein völkerrechtlich verbindliches Vertragswerk verabschieden kann. Ausgerechnet in Japan, mag man da sagen, erwies sich das fernöstliche Land doch bis zuletzt als einer der größten Bremsklötze für den Schutz der Biosphäre.

"Entsprechende Empfehlungen wurden verabschiedet"
(Sigmar Gabriel)
Angesichts dieses mageren Endes äußern sich Naturschützer von WWF und Greenpeace über den Bund Naturschutz bis hin zu Birdlife International durch die Bank enttäuscht – und sie haben alles Recht dazu. Zu dünn sind die Ergebnisse, als dass sie einen merklichen Fortschritt für die Artenvielfalt des Planeten bedeuten. Während die Welt im Schneckentempo berät, rutschen immer mehr Arten in die Existenzkrise, gilt jeder achte Vogel, jedes vierte Säugetier oder jeder dritte Lurch als vom Aussterben bedroht. Umweltschützer müssen deshalb wohl noch mehr auf Privatinitiativen setzen und Land selbst kaufen, um möglichst viele gefährdete Tiere und Pflanzen zu retten. Auf die Staatenwelt können sie sich nicht verlassen: Diese wollte schon 1992 auf der ersten Konferenz in Rio de Janeiro bis 2010 das Artensterben bremsen – die Welt wird mit Sicherheit dieses Ziel verfehlen.

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