Kryptowährung: Der Bitcoin ist keine echte Alternative zum Euro
Nie wieder sollten Banken von Staaten gerettet werden – so lautete ein Versprechen nach der globalen Finanzkrise 2008/2009. Und doch mussten gerade wieder Staaten zur Hilfe kommen, um den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse abzufedern. Zeitgleich stieg der Bitcoin-Kurs stark an. Die Kryptowährung ist als Antwort auf die Ereignisse vor 15 Jahren entstanden und war die erste, die nicht an zentrale oder regulierende Elemente wie Staaten oder Zentralbanken gekoppelt ist. Doch an der Bedeutung und dem Potenzial des computerbasierten Zahlungssystems scheiden sich die Geister. Der Mathematiker René Pickhardt bezeichnete den Bitcoin an dieser Stelle vor einigen Monaten als »ein demokratisches Werkzeug, das die Gewaltenteilung stärkt und durch sein optionales Angebot eine wichtige Alternative zu unserem bestehenden Geldsystem darstellt«. Ich dagegen bin davon überzeugt: Der Bitcoin als Staatswährung würde unsere Demokratie sogar schwächen und wichtige staatliche Ausgaben verhindern.
Um das zu verstehen, braucht es einen Exkurs in die Geldtheorie. Das Monopol des Geldes, zum Beispiel des Euro, liegt beim Staat. Er gibt dieses Geldmonopol meist an seine Zentralbank ab. Der Grund ist, dass sich der Staat in modernen Gesellschaften um das Gemeinwohl kümmert. Er muss Arbeitskräfte einstellen (Lehrer, Richterinnen, Polizisten, …), Güter und Dienstleistungen kaufen (Autos, Energie, ...) und vieles mehr. Da er nicht alle Ressourcen besitzt, sondern nur einige, muss er alles zukaufen, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Es ist undenkbar, dass die Polizei-, Feuerwehr- oder Lehrkräfte die Arbeit einstellen oder keine Renten mehr gezahlt werden, weil der Staat »kein Geld« mehr hat.
Dennoch kann ein Staat natürlich zahlungsunfähig werden. Aber eben nur dann, wenn er Schulden in einer Fremdwährung nicht mehr begleichen kann oder ihm die politischen Regeln weitere Ausgaben verbieten – so wie es in Griechenland vor etwa zehn Jahren geschah (und heute nicht, trotz deutlich höherer Staatsschulden). Das ist aus meiner Sicht eine sinnvolle Regelung. Dieses System stellt sicher, dass die Regierung jederzeit Zahlungen tätigen kann, die sie zur Erfüllung ihrer Ausgaben braucht.
Der Geldschöpfungsprozess gewährleistet, dass der Bundesregierung das Geld nicht ausgeht
Im Detail funktioniert unser Währungssystem – und das der meisten anderen Staaten – über die so genannte Geldschöpfung. Die Zentralbank tätigt die Zahlungen, etwa der Bundesregierung, indem sie neues Geld in Form von Guthaben schöpft. Die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken, zu denen die Deutsche Bundesbank gehört, können theoretisch jederzeit durch Tastendruck mehr Geld erzeugen. Politische Regeln sorgen dafür, dass das nicht außer Kontrolle gerät: Etwa die europäischen Defizitgrenzen von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die nationalen Schuldenbremsen, die gewährleisten sollen, dass sich die Geldschöpfung an Zielen wie Preisstabilität und Vollbeschäftigung ausrichtet. Der Geldschöpfungsprozess gewährleistet, dass der Bundesregierung sowie den anderen (europäischen) Staaten das Geld nicht ausgeht. Das bedeutet: Der Staat kann zwar Geld schöpfen, aber eben nicht Arbeitskräfte, Maschinen, Infrastruktur, Rohstoffe, Güter und Dienstleistungen.
An der Geldschöpfung sind auch wir Bürger beteiligt. Aus unserer Perspektive ist Geld etwas, womit wir uns kaufen können, was wir konsumieren möchten. Geld ist also ein Zahlungsmittel, das wir erst in unseren Besitz bringen müssen, bevor wir in der Lage sind, Ausgaben zu tätigen. Dabei vertrauen wir wiederum den Banken, dass das Geld auf unserem Konto in Bargeld ausgezahlt oder für Zahlungen eingesetzt werden kann.
Durch Investitionen wächst die Wirtschaft
Aber wie ist das, wenn wir nicht genug Geld für eine größere Anschaffung wie ein Haus haben? Neben dem Staat, der über seine Zentralbank Geld schöpft, können auch Banken über Kredite so genanntes Buchgeld schöpfen, das nur auf dem Papier existiert. Das funktioniert so: Wenn eine Bäckerei gut läuft und ihr Geschäft vergrößern möchte, kann sie bei der Bank einen Kredit aufnehmen, den sie über eine gewisse Zeitspanne zurückzahlt. Die Bank kauft also ein Zahlungsversprechen der Bäckerei. Aber sie nimmt dazu kein vorhandenes Geld aus ihrem Tresor. Sie erhöht einfach per Tastendruck das Konto der Bäckerei um die Kreditsumme – es werden keine physischen Geldmengen von A nach B verschoben. Somit schöpft eine Bank bei Kreditvergabe immer neues Geld. Durch solche Investitionen kann unsere Wirtschaft wachsen: Die Bäckerei kann sich nun mehr Gebäude, mehr Angestellte, mehr Lieferwagen und mehr Maschinen leisten. Dabei erhöht sich meist die Produktivität, weil mit steigender Unternehmensgröße auch mehr Waren – in diesem Fall Gebäck – effizient produziert werden.
Unternehmen und Haushalte können also nur dann Geld durch Kredite erhalten, wenn sie versprechen, es zurückzuzahlen. Das ist bei der Bundesregierung anders. Die Geldschöpfung übernimmt hier die Zentralbank, und es gibt kein Versprechen des Staates, das ausgegebene Geld wieder einzunehmen. Stattdessen gibt er Staatsanleihen aus, um seinen Kontostand auszugleichen. Staatsanleihen sind verzinste staatliche Wertpapiere. Diese werden von der Bundesregierung exklusiv an eine Gruppe von 32 dafür zugelassene Banken verkauft.
Die Frage, woher das Geld kommt, ist so haarsträubend wie trivial. Es wird einfach durch digitale Einträge geschaffen, ähnlich wie dieser Text
Konkret kann die Bundesregierung alle Ausgaben tätigen, die im Haushalt oder in den Sondervermögen festgehalten sind. Dazu wird der entsprechende Betrag auf dem Konto des Zahlungsempfängers, dem die Regierung Geld überweisen möchte, per Mausklick gutgeschrieben. Die Frage, woher das Geld kommt, ist so haarsträubend wie trivial. Es wird einfach durch digitale Einträge geschaffen, ähnlich wie dieser Text.
Der Kontostand der Bundesregierung wird um den entsprechenden Betrag reduziert, was meist zu einem negativen Kontostand führt. Da eine Finanzierung des Staats durch die Zentralbank verboten ist, muss das Verrechnungskonto am Ende des Geschäftstages wieder positiv sein. Doch anders als bei Privatpersonen oder Unternehmen kann der Staat erst durch die Zentralbank eine Zahlung ausführen und sich erst anschließend um eine »Finanzierung« kümmern. Die Finanzierung erfolgt durch Steuereinnahmen, die das Guthaben des Verrechnungskontos wieder erhöhen. Ebenso erhöhen Erlöse aus dem Verkauf von Staatsanleihen den Kontostand.
Die Banken kaufen die Staatsanleihen, weil sie sich davon Gewinne versprechen (oder zumindest geringere Verluste als bei anderen Finanzanlagen). Während der Staat keine Kontrolle über die Höhe der täglichen Steuerzahlungen hat, kann er die Höhe der Erlöse aus den Staatsanleihen festlegen. Die Zinsen, die der Staat den Banken dafür zahlt, werden wie alle anderen Ausgaben wieder durch Geldschöpfung der Bundesbank im Auftrag der Bundesministeriums der Finanzen beglichen. Aktuell geschieht das durch Ankaufprogramme der EZB, die den Banken Staatsanleihen zu einem guten Preis abkauft. Dadurch verdienen Banken mehr Geld, wenn sie Staatsanleihen kaufen, als wenn sie es nicht tun. Solange die Bundesregierung also in der Lage ist, Staatsanleihen zu verkaufen, kann sie das Konto unabhängig von der Höhe der Steuerzahlungen immer wieder in den positiven Bereich rücken.
Mit dem Bitcoin könnte der Staat zahlungsunfähig werden
Durch diesen Mechanismus hat der Staat immer das Geld, um Polizei, Feuerwehr oder Lehrerinnen und Lehrer zu bezahlen. Er kann nie »kein Geld mehr« haben, sondern nur durch Fremdschulden oder politische Regeln zahlungsunfähig werden. Das ist beim Bitcoin fundamental anders, und da liegt aus meiner Sicht das Problem.
Der Bitcoin basiert auf einem System, das nicht von einer zentralen Institution abhängt. Transaktionen werden beispielsweise nicht in einer zentralen Datenbank gespeichert. Die Struktur ähnelt stattdessen der des Internets, wo Informationen dezentral in einem Netzwerk verteilt sind. Damit eine Bitcoin-Transaktion getätigt wird, müssen »Miner« ein kryptografisches Rätsel lösen, das im Durchschnitt 15 Minuten computergestützter Rechenleistung erfordert. Dadurch werden die Transaktionen den bereits bestätigten Einträgen der Datenbank, der so genannten Blockchain, hinzugefügt. Über diesen Vorgang ist sichergestellt, dass sich keine Einträge mehr nachträglich verändern lassen. Es gibt also keine zentrale Instanz, die Zugriff auf die Transaktionen hat. Bitcoins »minen« kann jeder, der über einen Rechner und spezielle Software verfügt – belohnt wird man mit Transaktionsgebühren sowie Bruchteilen eines Bitcoin, die zu diesem Zweck neu entstehen. Da die Höhe der Belohnung jedoch über die Zeit abnimmt, gibt es eine endliche Anzahl an Bitcoin.
Mit staatlichen Währungen wie dem Euro lassen sich Steuerzahlungen an den Staat leisten, mit dem Bitcoin nicht
Aber wie akzeptiert ist Bitcoin? Außerhalb von El Salvador und der zentralafrikanischen Republik gibt es bisher kein gesetzlich oder sonst wie verankertes Versprechen, dass man etwas mit Bitcoins bezahlen kann. Mit staatlichen Währungen wie dem Euro lassen sich Steuerzahlungen an den Staat leisten, mit dem Bitcoin nicht. Deshalb ist der Preis des Bitcoins sehr stark von den Erwartungen des Marktes abhängig. Das hat sich in den letzten Jahren durch die starken Schwankungen gezeigt – viele nutzen den Bitcoin nur als Spekulationsobjekt.
Wenn wir dennoch den Euro durch den Bitcoin ersetzen würden; wie sähe dann unsere Geldpolitik aus – insbesondere die Kreditvergabe der Banken und die Zahlungen der Bundesregierung? Ein Staat, der Bitcoin ausgibt, müsste diesen zuvor erst einnehmen, weil er keine direkte Gewalt über die Währung hat. Es wäre also genau andersherum als jetzt: Er müsste das Geld erst über Steuereinnahmen und den Verkauf von Staatsanleihen einnehmen. Doch wer garantiert nun, dass die Staatsanleihen mit Gewinn zurückgezahlt werden? In unserem Währungssystem kann das der Staat, denn er erzeugt den Gewinn durch Geldschöpfung.
Im Bitcoin-System müsste er den versprochenen Gewinn erst einmal selbst einnehmen. Falls es nicht genug Abnehmer gibt und die eingenommenen Beträge nicht ausreichen, müsste die Bundesregierung ihre Ausgaben reduzieren. In der Folge würden höchstwahrscheinlich Renten gekürzt, Sozialleistungen reduziert und Infrastrukturprojekte aufgeschoben werden. Das würde vermutlich die Arbeitslosigkeit erhöhen und könnte eine Wirtschaftskrise auslösen. Zudem ergibt sich ein Machtwechsel: Die Käufer von Staatsanleihen könnten der Bundesregierung diktieren, wofür sie ihr Geld ausgeben soll. Denn nur wenn ihre Forderungen erfüllt werden, würden sie Staatsanleihen kaufen und somit Staatsausgaben finanzieren. Das ist mit dem Euro nicht der Fall, da die ausgewählten Banken einen finanziellen Anreiz haben, sie zu kaufen.
Der Bitcoin ist daher aus meiner Sicht als Staatswährung weder ein »demokratisches Werkzeug« noch stärkt es die Gewaltenteilung. Das Gegenteil ist der Fall: Die demokratisch gewählte Regierung wird von den Finanzmärkten ausgebremst.
Auch für Privatpersonen und Haushalte gäbe es drastische Folgen: Banken, deren Funktion als Zwischenglied bei Zahlungen entfiele, könnten nicht mehr so einfach Kredite vergeben. Wie die Regierung müssten auch sie erst Bitcoins sammeln (etwa von Sparern), bevor sie diese verleihen. Oder sie schürfen als Miner selbst Bitcoins, wobei die dadurch erzeugte Menge nicht zwangsweise für die geplanten Kredite ausreicht. Zudem wären dafür wohl weiterhin enorme Mengen an Energie und Rechenkapazitäten nötig, wie der Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index nahelegt, der den Energieverbrauch der Kryptowährung täglich schätzt. Infolgedessen könnte die Menge der Kredite an Haushalte und Unternehmen abnehmen. Damit würden private Investitionen wohl sinken, was zu einem geringeren und möglicherweise sogar negativen Produktivitätswachstum führen würde.
Kryptowährungen regen zum Nachdenken über das Geldsystem an
Dezentrale Währungen wie der Bitcoin sind für mich eine interessante Spielerei, die vor allem zum Nachdenken über das Geldsystem anregen. Das ist auch dringend nötig, denn Geld verleiht Macht, und die Regeln der Geldschöpfung bestimmen auch über die Verteilung der Macht. Im Zentralbankkapitalismus, in dem wir aktuell leben, befinden wir uns im permanenten Krisenmodus. Die Geldschöpfung dient immer weniger dem Gemeinwohl und immer mehr dem Profit von Banken und Immobilienbesitzern.
Wir sollten uns unbedingt darüber Gedanken machen, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß Banken und die Bundesregierung Geld ausgeben dürfen. Warum beispielsweise wird die Bundesregierung über die Schuldenbremse massiv an Investitionen gehindert, während der privaten Kreditvergabe so gut wie keine Grenzen gesetzt sind? Vor der Finanzkrise von 2008/9 haben Banken und Finanzmärkte (Aktienfonds, Rentenfonds, Krankenversicherungen und andere) unsere Ressourcen zu einem großen Teil in Immobilien in Spanien und Irland investiert, die keinen nennenswerten gesellschaftlichen Nutzen gebracht haben und sich im Rückblick als finanzielles Desaster herausgestellt haben. Die Ressourcen hätte man besser in erneuerbare Energien, in die Sanierung und den Neubau von Infrastruktur, in den Ausbau des Kommunikationsnetzes sowie in die energetische Gebäudesanierung stecken sollen.
Eine öffentliche Debatte über die politischen Regeln der staatlichen Geldschöpfung erscheint mir lohnenswerter als die Einführung einer Währung, die den Staat abhängig von Finanzmärkten und Anleihekäufern macht. Immerhin: Der Bitcoin befeuert eine Diskussion über die Rolle der Geldschöpfung in unserer Gesellschaft. Das ist aus meiner Sicht sein wahrer Wert.
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