Zeitdiagnosen: Der Hightech-Irrtum in den Personalabteilungen
Seit einiger Zeit kursieren auf den ersten Blick eigentümliche Meldungen im Netz. Von »Robot Recruiting« ist die Rede. Von Algorithmen, die bereits nach Eingang der Bewerbung und im Lauf der ersten Gespräche unterscheiden sollen, welche Kandidaten geeignet oder ungeeignet sind. Und das vorgeblich frei von jeder Diskriminierung.
Ein Versicherungsunternehmen gewährte näheren Einblick. Der Computer führt dort in Eigenregie erste Gespräche. Doch wer vermutet, es ginge hier um die Prüfung des finanzwirtschaftlichen Fachwissens der Bewerberinnen und Bewerber, um wichtige Fremdsprachenkenntnisse oder gar mathematisch-logisches Denkvermögen, mag sich wundern. Der Roboter hat einen anderen Auftrag. Er ist programmiert, die Bewerber zum Beispiel nach ihren bevorzugten Reisedestinationen zu fragen, oder danach, welchen Freizeitaktivitäten sie am liebsten nachgehen. Der Themenbreite für einen scheinbar lockeren Smalltalk sind kaum Grenzen gesetzt.
Leicht ist zu sehen, dass ein derartiges Vorstellungsinterview gar nicht dazu dienen kann, die berufliche Qualifikation eines Bewerbers unter die Lupe zu nehmen. Wortwörtlich heißt es sogar: »Was die Bewerber fachlich drauf haben, ist erst einmal zweitrangig. Auch was sie erzählen, ist egal, entscheidend ist, wie sie es erzählen: Anhand von Stimme, Satzbau, Intonation und Wortschatz findet der Versicherer heraus, ob ein Bewerber zur Firmenkultur passt – oder eben nicht.« Mit dieser Auskunft wird eine implizite und weit reichende Unterscheidung getroffen: nämlich zwischen der Bewertung einer konkreten Qualifikation (so der bisherige Standard der Leistungsbeurteilung) und jener einer diffusen Passung (so die eingebrachte, eher »wolkige« Neuerung).
Dass man anhand einer Prüfung von Wortwahl und Sprachrichtigkeit ergründet, ob ein Bewerber zum Betrieb passt, dem ist vielleicht noch etwas abzugewinnen. Aber wo führt es hin, kommen Intonation, Melodie oder Dialekt ins Spiel? Derartige Merkmale einer Person verraten in aller Regel wenig Substanzielles darüber, ob jemand für eine Stelle geeignet ist; sie sind im Übrigen auch weitestgehend im Privaten verankert. Das Private aber kann für Organisationen üblicherweise wenig bieten, was sich für die berufliche Tätigkeit auch unmittelbar nutzen ließe. Der Versuch einer oberflächlichen Personalprüfung dürfte wohl als übergriffig interpretiert werden. Immerhin ist es gerade das Kennzeichen moderner Arbeitswelt, dass Personen eben nicht »mit Haut und Haaren« in Organisationen eingemeindet werden, sondern in funktionalen Rollen ihre Arbeitskraft bereitstellen.
Algorithmen »verflüssigen« die Qual der Wahl
Mit dem Einsatz von Algorithmen im Personalbereich werden hauptsächlich zwei Ziele verfolgt: Zum einen möchte man gerne Kosten reduzieren und zum anderen subjektive Einflüsse bei der Personalauswahl vermeiden. Tatsächlich können Algorithmen den klassischen Entscheidungsgang reduzieren, übrigens nicht nur bei der Besetzung offener Stellen. Genutzt werden sie ferner für die Kreditprüfung bei Banken über Verfahren in der Risikoanalyse bis hin zur Prognose von Kaufentscheidungen und Wahlverhalten.
Bleibt die Frage, was eigentlich geschieht, wenn ein Algorithmus entscheidet? Genau genommen entscheidet ein solches Computerprogramm nicht in der Art, wie man es in Organisation typischerweise erwartet; sondern errechnet vielmehr ein Ergebnis. Anders gesagt »verflüssigen« Algorithmen die Qual der Wahl beim Entscheiden; in der Weise, dass sie zügig, diskret und ohne soziale Konfrontation zu Ergebnissen gelangen. Dies dürfte auch erklären, warum Algorithmen für die Personalarbeit derzeit so aussichtsreich erscheinen: Sie bieten das Versprechen, relativ aufwändige Interaktionen der Personalbeurteilung relativ »sozialschwach« zu umschiffen. Eben weil es sich im Personalgeschäft um ein anspruchsvolles kommunikatives Setting handelt, erscheint die Simplizität dieser rechnerischen Lösung so pikant.
Was bei dieser »Desozialisierung« der Personalauswahl aus dem Blick gerät, ist der banale Umstand, dass die Roboter natürlich weiterhin mit Daten bespielt werden müssen, bevor sie überhaupt tätig werden können. Und hier lässt sich eine fast paradoxe Beobachtung notieren: Menschen assistieren der Maschine beim Assistieren von Menschen. Die Algorithmen entlasten Personen von Diskussion; sie delegitimieren damit unterschiedliche Einschätzungen und Sichtweisen, indem sie diese mit dem Verdacht mangelnder Professionalität belegen und uniforme Urteile bilden. Der Bewerber passt nicht zur Kultur, er nutzt die falschen Wörter oder seine Stimme irritiert? – Der Algorithmus, nicht ein Mensch, findet dann die richtige Antwort, was Menschen nun zu tun haben. Auch wenn der Computer sich nichts »ausdenkt«, was diese ihm nicht schon »vorgesagt«, heißt: einprogrammiert hätten.
Mit Unternehmenskultur besonders effektiv diskriminieren
Man könnte Algorithmen in der Personalauswahl darum als Verfahren begreifen, die den Diskurs eher hemmen, statt ihn zu fördern. Erstens gründen sie auf Annahmen, die ihnen buchstäblich per »Vor-Einstellung« eingegeben worden sind; zweitens ersetzen sie das bewährte Aushandeln zwischen Personen, das Ringen um die Entscheidung. Sollen Algorithmen, wie im Beispiel oben, die Passung zur Unternehmenskultur bewerten, ist darauf hinzuweisen, dass sich kaum etwas in Organisationen so schwierig bewerten oder gar automatisieren lässt wie ihre Kultur. Kultur, also die informelle Prägung einer Organisation, ist nicht einfach gegeben, sie ist normativ geprägt, beinhaltet auch Vorurteile, sogar Formen der dezenten Ausgrenzung und Benachteiligung. Zynisch gesprochen: Will man besonders effektiv diskriminieren, so legt man dem Vorstellungsgespräch am ehesten kulturelle Kriterien zu Grunde.
Alles in allem erinnern die an kultureller Passung orientierten Algorithmen im Recruiting an eine Art Orakel, an ein »digitales Delphi«. Eine Innovation, die im Grunde nicht mehr liefert als – gemessen an konservativer Leistungsbeurteilung – invalide Weissagungen, nur eben im Hightech-Format. Auch der Vergleich zur lange Zeit populären »grafologischen Methode« drängt sich auf. Bewerber mussten dazu handschriftliche Übungen verrichten. Aus diesen wurde dann allerlei Unfug über die Persönlichkeit gelesen. Das Verfahren verschwand aus den Unternehmen, nachdem es die psychologische Forschung als unseriös enttarnt hat. Man hätte genauso gut einen Handleser mit der Personalauswahl betrauen können.
Vielleicht ist der moderne Handleser ein Algorithmus? Jedenfalls ist es begründet, einem algorithmenbasierten Recruiting mit Vorbehalten zu begegnen. Elementar für die Personalauswahl sind seit Jahrzehnten die Maßstäbe der Eignungsdiagnostik, das heißt der aufgabengerechten Prüfung der fachlichen und persönlichen Eignung. Auch die Professionalisierung der Personalabteilung ist wesentlich darauf zurückzuführen; wenngleich jeder Personalprozess vor subjektiven Einflüssen nicht gefeit ist. Es läge daher im Interesse von Personalchefs und Recruitern, eine kritische Diskussion über solche Technologien zu eröffnen, mit denen das Ansehen ihrer Arbeit womöglich weit weniger gemehrt werden kann, als man in allzu naiver Faszination derzeit noch erwarten mag.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben