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E-Autos: Der Kollaps bleibt aus

Vince Ebert vertrat in einem Kommentar die These, die Kapazitäten bei der Stromerzeugung reichten nicht für die Elektromobilität. Zwei Wissenschaftler widersprechen.
E-Auto beim Aufladen

Gut, dass nicht alle so über die Energiewende denken wie "Spektrum"-Kolumnist Vince Ebert in seiner Kolumne vom 19. März. Sonst wären die Amerikaner nie auf dem Mond gelandet, und wir hätten sicher kein Smartphone. Bei der Energiewende geht es ebenfalls um etwas Großes. Doch es geht dabei nicht wie bei der Mondlandung oder dem Smartphone um ein Nice-to-have, sondern um eine Chance, unseren Kindern nicht einen völlig aus den Fugen geratenen Planeten zu hinterlassen.

Die Ampel beim Klimawandel steht inzwischen auf Dunkelrot. Und wenn wir den Verkehr zur Stabilisierung des Klimas auf die in Paris versprochenen 1,5 Grad Celsius dekarbonisieren wollen, brauchen wir 100 Prozent emissionsfreie Autos noch vor 2040. Das geht nur mit der Elektromobilität, deren Strom ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammt.

Achtung, Staubsaugokalypse!

Nach Eberts Meinung bricht durch die Elektromobilität die Stromversorgung zusammen, wenn viele Menschen gleichzeitig ihr Auto laden. Wir haben in Deutschland gut 40 Millionen Staubsauger im Einsatz. Stellen alle am Samstagmorgen ihren Staubsauger an, brauchen wir dafür rund 60 000 Megawatt an zusätzlicher Leistung.

Nach Eberts Rechnung müssten wir dafür 39 mittlere Kohlekraftwerke anwerfen – mehr, als wir in Deutschland haben. Schlimm! Viel schlimmer noch: Würden sich alle Staubsaugerbesitzer verabreden, ihren Staubsauger um Punkt 11 Uhr zu starten, würde der Lastsprung die Regelfähigkeit des europäischen Verbundnetzes komplett überfordern, und wir hätten einen europäischen Blackout. Fordern Sie auch, den Staubsaugereinsatz in Deutschland zu unterbinden? Wir haben in Deutschland weit über 40 Millionen Haarföhne ...

Brechen wir an dieser Stelle lieber ab und diskutieren wir über sinnvolle technische Lösungen.

Alle PKW in Deutschland fuhren 2015 laut "statista.de" zusammen 636 Milliarden Kilometer. Bei einem Strombedarf eines Elektroautos von 18 Kilowattstunden pro 100 Kilometer hätten wir also insgesamt 115 Milliarden Kilowattstunden gebraucht, um alles elektrisch zu fahren – das sind 18 Prozent der im Jahr 2016 in Deutschland erzeugten Bruttostrommenge (648 Milliarden Kilowattstunden) und etwa das Doppelte der überschüssigen Strommenge, die wir 2016 ins Ausland verkauft haben (und das übrigens nach Abschalten der Hälfte der deutschen Atomkraftwerke in den vergangenen Jahren). Glaubt ernsthaft irgendwer, das sei ein unlösbares Problem?

Jeder der 45 Millionen PKW fährt dabei im Durchschnitt gerade einmal 39 Kilometer am Tag. Das macht also 7 Kilowattstunden, wenn Sie elektrisch fahren. Die bekommen Sie beim Ökostromanbieter Ihres Vertrauens für 1,80 €. Verteilen wir diesen Energiebedarf auf die 20 Stunden, die das Auto gerade nicht fährt, beträgt der durchschnittliche Leistungsbedarf gerade einmal 350 Watt.

Natürlich kommt es beim Elektroauto darauf an, die Ladeleistung geschickt zu verteilen. Anders als beim Staubsauger bieten die Millionen ans Netz angeschlossenen Batterien aber die Chance, durch intelligente Steuerung (Smart Grid) Leistungs- und Nachfrageschwankungen im Netz abzupuffern. Genau dazu bilden wir an unseren Hochschulen innovative Ingenieure aus. Und gerade die technischen Lösungen dafür könnten ein künftiger Exportschlager werden, wenn wir endlich das innovationsfeindliche Denken über Bord werfen.

Das Saarland würde völlig reichen

Bliebe noch die Frage, woher die Energie kommen soll. Sie meinen, man müsste für die Stromerzeugung dieser Menge durch Solaranlagen auf das Saarland verzichten. Nun sind wir Solartechniker so clever, die Fotovoltaikanlagen auch gerne auf Dächern zu installieren – die haben in Deutschland rund doppelt so viel Fläche wie das Saarland. Letzteres hat übrigens eine Größe von 2600 Quadratkilometern. Pro Quadratkilometer liefert die Sonne dort 1,05 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Wenn wir das Saarland mit Fotovoltaikmodulen mit einem mäßigen Wirkungsgrad von 18 Prozent überdachen und 25 Prozent Systemverluste abziehen, kommen wir auf eine Stromerzeugung von 370 Milliarden Kilowattstunden. Da können wir die Elektroautos aller europäischen Nachbarn gleich mitladen.

Ich denke, wir sollten aufhören, mit Milchmädchenrechnungen die Energiewende und ihre Chancen und Potenziale in Deutschland madig zu machen. Lassen wir die Wissenschaftler und Ingenieure einfach ihre Arbeit machen. Wir müssen in den nächsten 20 Jahren eine klimaneutrale Energieversorgung aufbauen, wenn wir die Klimaveränderungen in einem noch verantwortbaren Bereich halten wollen – dazu haben wir uns übrigens im Klimaabkommen von Paris auch völkerrechtlich verpflichtet. Die Elektromobilität gehört dazu – natürlich nicht nur im Auto, sondern ebenso auf der Schiene und auf zwei Rädern.

Und wenn wir uns durch die zahlreichen Skeptiker und Bremser in Deutschland den neuen Technologien weiter verweigern, verlieren wir nicht nur den Kampf um den Klimaschutz, sondern auch die deutsche Automobilindustrie. Elektroautos werden wie das Smartphone einen Technologiesprung auslösen. Die Chinesen haben das schon lange erkannt und setzen momentan alles daran, in diesem Bereich Marktführer zu werden. Wir hätten dann mit den Folgen der verfehlten Klimaziele zu kämpfen und verlieren auch noch Hunderttausende an Industriearbeitsplätzen. Wollen wir das?

Was passiert wirklich, wenn wir alle demnächst elektrisch fahren? Millionen von Menschen, die an befahrenen Straßen wohnen, können wieder ruhig schlafen und saubere Luft atmen. Es müssen nicht mehr jedes Jahr 7000 Menschen in Deutschland durch die straßenverkehrsbedingte Luftverschmutzung sterben. Unsere Kinder werden gesünder aufwachsen. Wir verplempern weniger Zeit mit Fahrten zur Tankstelle, weil wir unser Fahrzeug einfach zu Hause oder am Arbeitsplatz an die Steckdose anschließen. Und vor allem: Die globale Erwärmung kann noch rechtzeitig gestoppt werden.

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