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Crispr/Cas-Urteil des EuGH: Der lange Schatten der Ideologien

Das überraschende Urteil zu Gene Editing samt seiner kuriosen Begründung zeigt, dass Fakten allein nicht reichen: Die Wissenschaft muss sich dem Kampf um ihre weltanschauliche Grundlage stellen.
Eine stilisierte DNA-Helix unter einer stilisierten Lupe

Aus naturwissenschaftlicher Sicht leuchtet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht ein. Lebewesen mit gezielt durch CRISPR/Cas9 und andere Gene-Editing-Verfahren erzeugten Mutationen zählen zu den genetisch veränderten Organismen (GVO) im Sinn der EU-Richtlinie. Demnach müssen sie ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie zum Beispiel auf einem Feld wachsen dürfen. Kurios ist die ausdrückliche Ausnahme: Alte Techniken, die durch radioaktive Strahlung oder erbgutverändernde Chemikalien solche Mutationen nach dem Zufallsprinzip erzeugen, bleiben erlaubt. Diese seien lange bewährt und sicher, so das Gericht.

Als Begründung ist das allerdings Unfug, schließlich könnte man genauso gut andersherum argumentieren: Man weiß, dass klassische zufallsgetriebene Mutagenese, die nur Mutationen erzeugt, statt fremdes Erbgut einzuführen, sicher ist, also ist das gezielte Gene Editing auch sicher. Oder wieder andersherum: Alle Verfahren, die Mutationen erzeugen, müssten so streng reguliert werden wie solche, die fremdes Erbgut einführen. Die Ungleichbehandlung mit diesem Argument zu rechtfertigen, ergibt jedoch schlicht keinen Sinn.

Selektive Argumente-Akrobatik

Dass das Gericht sich zu solcher argumentativer Akrobatik hinreißen lässt, um selektiv die molekularbiologischen Verfahren einzuschränken, ist ein Indiz dafür, wie stark der ideologische Konflikt hinter dem Rechtsstreit die öffentliche Debatte inzwischen prägt. Verdeutlichen kann man das schon am Begriff GVO: Wofür steht das G? Bedeutet das Kürzel »gentechnisch veränderter Organismus« oder »genetisch veränderter Organismus«? Das ist alles andere als egal, sondern der Knackpunkt eines Konflikts, der inzwischen fast komplett weltanschaulich geprägt ist.

Der Gesetzgeber verwendet die zweite Variante, und definiert dieses »genetisch verändert« als jede menschengemachten Veränderungen, die nicht auf natürlichem Weg möglich ist. Dank dieser spezialisierten Formulierung gelten mit Hilfe radioaktiver Strahlung oder erbgutverändernden Chemikalien erzeugte Pflanzensorten als natürliche Züchtungen, die nicht unter das Gesetz fallen. Schließlich passieren Mutationen auch in der Natur die ganze Zeit.

Damit fiele die Mutagenese mit CRISPR/Cas9 und anderen Gene-Editing-Verfahren ebenfalls nicht unter den Begriff GVO. Die Veränderungen im Erbgut sind von natürlichen Mutationsereignissen oder dem Ergebnis einer besonders glücklichen Kreuzung nicht zu unterscheiden. Diese Bewertung hatte der Generalanwalt des Gerichts Anfang des Jahres auch empfohlen.

Grundsätzliche Vorbehalte statt Blick auf die Eigenschaften

Dieses Verständnis von GVO aber entspricht nicht der Wahrnehmung der meisten Menschen in Europa – das zeigt schon der Umstand, dass der Prozess überhaupt geführt wurde. Für die Mehrheit der Bevölkerung steht das G in GVO nämlich für »gentechnisch« – es geht also um die Verfahren dahinter. Und Vorbehalte gegen diese Verfahren sind weit verbreitet, auch und gerade aus nicht rein rationalen Gründen. Anders als die Definition in der EU-Richtlinie erfasst dieses Verständnis des Begriffs die strittigen Gene-Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas9 und seine Nachfolger.

Genetisch oder gentechnisch? | Eine spontane Umfrage auf Twitter deutet es an: Für die meisten Menschen geht es in der Debatte mindestens genauso sehr um das Verfahren wie um das Resultat.

Diesem Standpunkt, nämlich dass schon die Methode eine Lebensform zum GVO macht und nicht die fassbaren Eigenschaften des Resultats, hat sich jetzt auch der Europäische Gerichtshof angeschlossen. Das Gericht positioniert sich damit nicht in einer Fachfrage, sondern in der ideologischen Debatte, welchen Stellenwert solche Fachfragen in Sachen Gentechnik überhaupt haben.

Positiv formuliert: Die Entscheidung trägt der diffusen Ablehnung Rechnung, die der Gedanke an »Gentechnik« aller Art bei vielen Menschen auslöst – ganz unabhängig von den konkreten Eigenschaften der jeweiligen Pflanzen oder Tiere. Die gesellschaftliche Debatte um gentechnische Verfahren ist in letzter Konsequenz keine fachliche, sondern eine weltanschauliche. Dem trägt das Urteil Rechnung.

Eigenwillige Argumente-Akrobatik

Zwar führen beide Seiten reichlich mehr oder minder gute Argumente rund um Gefahren und Nutzen der Technologien ins Feld, aber darum geht es nicht. Für einen Teil der Bevölkerung gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen »Gentechnik« im Sinn molekularbiologischer Methoden und den Techniken der traditionellen Landwirtschaft wie, sagen wir, Bestrahlung durch radioaktives Kobalt – für den anderen Teil ist der Unterschied fundamental.

Ich halte es für entscheidend, dass sich gerade die Wissenschaft diesen Umstand klarmacht. So richtig die Einwände sind, dass aus fachlicher Sicht gentechnische Mutagenese nichts prinzipiell anderes ist als jene mit Radioaktivität oder Chemikalien, in einer weltanschaulichen Diskussion laufen solche Argumente schlicht ins Leere. Wie weit diese gefährliche Entwicklung in der Debatte um Gentechnik inzwischen fortgeschritten ist, zeigt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Das sollte man durchaus als Warnung verstehen. Auch auf anderen Gebieten verlieren sachliche Erwägungen und neutrale Analysen an Bedeutung gegenüber ideologisch geprägten Positionen. Es wird Zeit, dass die Wissenschaft die eigene, ihr zu Grunde liegende Weltanschauung offensiv verteidigt: Dass sachliche Argumente auf der Basis von Daten und Analysen nach wie vor die beste Grundlage für gesellschaftliche Entscheidungen sind.

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