Schlichting!: Der rasende Knoten
Der Hauptzweck von Knoten besteht darin, etwas zu fixieren. Damit sichern sie paradoxerweise in vielen Bereichen des Lebens unsere Fortbewegung, ob beim Schnüren von Schuhen, beim Segeln oder beim Bergsteigen. Selbst unsere Kleidung würde ohne sie auseinanderfallen. Nicht nur praktisch, auch theoretisch sind Knoten bedeutsam und bilden sogar ein Forschungsgebiet in der Mathematik. Während wir im Alltag eher Knoten mit offenen Enden verwenden, hat man es bei ihren mathematischen Gegenstücken mit in sich geschlossenen Schnüren zu tun.
So entsteht der einfache Überhandknoten, indem man die beiden Enden eines Seils umeinander windet und dann festzieht. Das kann jedes Kind. Solche Knoten werden erst dadurch mathematisch, dass man die freien Enden gedanklich miteinander verschmilzt.
Knoten sind dreidimensional, auch wenn es normalerweise kaum ins Auge fällt. Denn die Schwerkraft lässt die meist schlaffen Fäden zu platten Gebilden zusammensinken. Der niederländische Grafiker M. C. Escher (1898–1972) hat sich damit beispielsweise in seinem Druck »Knoten« (1965) auseinandergesetzt und einfache Verschlingungen durch prägnante Schattierungen und Strukturierungen wieder erhaben erscheinen lassen. Andere Künstler haben Knoten gleich mit festen Materialien wie Metall und Stein als dreidimensionale Objekte gestaltet; im öffentlichen Raum finden sich viele ästhetisch ansprechende Umsetzungen. Notgedrungen geht bei den starren Werken die Funktion und Beweglichkeit üblicher Kordeln verloren. Doch das muss nicht jedes Mal so sein.
Angeregt durch den Escher-Knoten hat der deutsche Künstler Jochen Valett (1922–2014) nach eigenem Bekunden versucht, den eingefrorenen Versionen simpler Knoten nicht nur ihre naturgemäße Flexibilität zurückzugeben, sondern sie sogar zum Laufen zu bringen. Das ist ihm in Form seines »rasenden Knotens« auf eindrucksvolle Weise gelungen. Dazu verwendete er an Stelle eines Seils eine relativ weiche Schraubenfeder aus Stahldraht, verknotete sie und verschweißte die beiden Enden miteinander. Die Feder gibt dem Knoten einerseits ein Volumen, das in gewissen Grenzen dehnbar ist und stellt andererseits sicher, dass er nicht in sich zusammenfällt.
Das Besondere am rasenden Knoten besteht darin, dass man ihn an einem Stab hinabrotieren lassen kann. Dazu wird er mit seinem zentralen Loch stramm, also ein wenig gedehnt, über einen passenden runden Querschnitt geschoben. Damit der Knoten nicht einfach gerade herunterrutscht, muss die Dehnung eine genügend große Haftreibungskraft hervorrufen. Sie kompensiert das Gewicht der Stahlfeder. Gibt man dieser nun einen kleinen Schubs, so bewegt sie sich spiralförmig drehend am Stab hinab.
»Du selbst entwirre dies, nicht ich: Ein zu verschlungener Knoten ist‘s für mich«William Shakespeare
Das wird durch die Form der Öffnung möglich, die von den drei innen liegenden Abschnitten gebildet wird. Die Tangenten in den Berührungspunkten der Knotenstränge sind schräg ausgerichtet und wirken wie eine Art Schraubengewinde.
Im Unterschied zu einer Mutter auf einer Gewindestange hat man es hier jedoch nicht mit einer Gleit-, sondern mit einer echten Rollbewegung zu tun. Das heißt, wie bei Laufrädern eines Fahrzeugs legt der Punkt, mit dem die Rolle jeweils auf dem Untergrund sitzt, mit jeder Umdrehung eine Wegstrecke zurück, die der Länge des Umfangs entspricht. Ein normales Rad befindet sich stets nur an einer Stelle auf der Unterlage. Der verwundene Knoten hingegen berührt den Stab an drei verschiedenen Orten. Er rollt also gewissermaßen auf drei Fahrspuren gleichzeitig hinab.
Aus der Rollbewegung des Knotens ergibt sich zwangsläufig, dass er kein starres Gebilde sein kann. Er behält zwar seine äußere Gestalt und scheint während der Rotation als Ganzes in sich zu ruhen. In Wirklichkeit schlängelt sich allerdings das Band des Knotens sozusagen durch seine eigene Form hindurch. Markiert man auf dem abrollenden Knoten einen Punkt, kann man verfolgen, wie sich dieser zyklisch umherwindet.
Der Antrieb des Ganzen ist die Gewichtskraft des Knotens. Bei einem geraden Stab endet das Herabschrauben am Boden. Eine andauernde Bewegung erreicht man, indem man als Führung stattdessen einen großen Ring passender Dicke verwendet. Der Reifen wird dann so schnell in Gegenrichtung zum abrollenden Knoten gedreht wie Letzterer an Höhe verliert.
Mit der Höhe des Knotens am gebogenen Ring ändert sich auch seine Achsenrichtung. Dementsprechend kommt jeweils nur eine mehr oder weniger große Komponente der Schwerkraft zur Geltung. Von deren voller Wirkung profitiert der Knoten lediglich dann, wenn die Rotationsachse senkrecht ausgerichtet ist, er also in waagerechter Lage rotiert. Hier erreicht er die größte Drehgeschwindigkeit.
Um ihn in der Position zu halten, muss der Ring entsprechend rasch in die entgegengesetzte Richtung gedreht werden. Sonst sinkt der Knoten in eine tiefere Stellung. Weil seine Achse weiter unten am Reifen allmählich schräg kippt, nehmen daraufhin die Antriebskraft und damit die Geschwindigkeit des Knotens ab. Es stellt sich eine neue Höhe am Ring ein, bei der die Kräfte wieder gleich groß sind. Wegen dieser Rückkopplung hält sich das ganze Kunstwerk in einem fesselnden dynamischen Gleichgewicht.
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