Lobes Digitalfabrik: Der smarte Spiegel schaut zurück
Smart Watch, Smart TV, Smart Home – in der Konsum- und Warenwelt wimmelt es von Produkten, die eine besondere Intelligenz und Effizienz suggerieren, deren eigentlicher Nutzen aber selten kritisch hinterfragt wird. Ist eine Smart City dann smart, wenn sie den Verkehr optimiert oder wenn sie ihn reduziert? Wenn sie Gesichter nicht erkennt, sondern verpixelt?
In der Rubrik »Should This Thing Be Smart?« (Sollte diese Sache smart sein?) stellt der »Slate«-Journalist Justin Peter regelmäßig die neuesten Gadgets auf den Prüfstand und unterwirft sie einer kritischen Analyse. Zum Beispiel smarte Socken oder smarte Gabeln. Man kann ja schon fragen, warum das Besteck vernetzt sein muss, wo doch immer mehr Leute beim Essen nicht ihr Gegenüber, sondern ihr Smartphone-Display anschauen. Jüngst präsentierte Peter einen smarten Spiegel des australischen Herstellers Embrace. »The Smart Mirror«, wie der mehr als 1000 Euro teure Einrichtungsgegenstand heißt, besitzt eine Doppelfunktion als Spiegel und Tablet. Im Off-Zustand ist er ein Spiegel. Schaltet man ihn ein, verwandelt er sich in ein wandgroßes Android-Gerät, dessen Display sich per Sprachsteuerung, Gestik oder Berührungen bedienen lässt. Spieglein, Spieglein an der Wand.
Der mit Google Assistant kompatible Hightech-Spiegel ist mit Lautsprechern, Sensoren, einer Webcam sowie einem Mikrofon ausgestattet und verfügt wie jedes Standard-Android-Gerät über WiFi und Bluetooth. Per Sprachkommando (»Okay, Google«) lassen sich Songs abspielen, E-Mails verschicken oder die Heizung im Smart Home steuern. Auf dem Spiegel erscheint ein Display, das sich wie eine holografische Fläche über das eigene Spiegelbild legt. In einem Demonstrationsvideo ist zu sehen, wie der smarte Spiegel in einem Make-up-Tutorial Styling-Tipps unterbreitet. Man kann sich also morgens im Bad erklären lassen, wie man sich schminkt, und dann gleichzeitig noch ein paar Mails verschicken. Binnen zwei Wochen sei das Gerät ausverkauft gewesen, informiert das australische Unternehmen auf seiner Website.
Ein Spiegel, der nur vorgibt, ein Spiegel zu sein
Das Konzept eines smarten Spiegels ist die logische Konsequenz einer zunehmenden Vernetzung des Zuhauses, wo mit Kühlschränken, TV-Geräten oder Netzwerklautsprechern immer mehr internetfähige Geräte integriert sind. Amazon hat vor einiger Zeit die Smart-Home-Kamera Echo Look vorgestellt, die den Spiegel ersetzen und als Stilberater fungieren soll. Über die vernetzte Kamera kann der Kunde per Sprachbefehl (»Alexa, mach ein Foto von mir«) Fotos zweier verschiedener Outfits machen, die über die so genannte Style-Check-Funktion von einem Algorithmus bewertet werden. Das klingt kommod, birgt aber auch Risiken. Die Techniksoziologin Zeynep Tufekci befürchtet, dass Amazon noch viel mehr aus den Ganzkörperfotos seiner Kunden ablesen kann, etwa ob sie schwanger, übergewichtig oder depressiv sind.
Auch beim smarten Spiegel stellen sich Fragen: Was sieht die Kamera alles? Was hören die Mikrofone? Wie sicher sind diese Geräte? Wer hat darauf Zugriff? Die »New York Times« berichtete kürzlich, dass Smart-Home-Geräte immer häufiger zum Gegenstand von Stalking-Attacken enttäuschter Lebensgefährten werden. Partner, die längst aus dem Smart Home ausgezogen sind, aber noch die Kodes besitzen, schnüffeln Exgefährten hinterher oder drehen aus Rache die Heizung auf. Hacker könnten Schwachstellen ausnutzen und sich in die Kameras einhacken. Die Vorstellung, dass sich Cyberkriminelle in das Heimnetzwerk einklinken und dabei zusehen, wie man sich morgens im Bad zurechtmacht, ist unbehaglich.
Der Spiegel, der kulturgeschichtlich die narzisstischen Begierden des Adels und des Bürgertums stillte und durch seine raumvergrößernde Illusion eine Machttechnik war (man denke an den prunkvollen Spiegelsaal im Schloss von Versailles), wird zu einem Trompe-l'Œil, das vorgibt, ein Spiegel zu sein, in Wahrheit aber ein Fenster ins Zuhause ist. Man sieht zwar weiterhin sein Spiegelbild; dieses Spiegelbild wird jedoch selbst in Datenbanken gespiegelt, wo es zum viel genaueren Abbild unseres Selbst wird. Der smarte Spiegel schaut zurück.
Die Frage ist: Wo landen die Daten? Wenn die Bilderkennungsalgorithmen kariöse Zähne identifizieren – könnte der smarte Spiegel dann Werbung für professionelle Zahnreinigung einblenden? Oder ein Screenshot an die Krankenkasse weiterleiten, die dann womöglich einen Risikozuschlag erhebt, weil der Verbraucher keine gründliche Zahnpflege vornimmt? Es scheint die Dystopie eines Kontrollagenten auf, der im Gewand des Spiegels daherkommt, aber im Kern eine Überwachungstechnologie ist. Nach dem Motto: Wir beobachten Sie! Vorstellbar wäre auch, dass Algorithmen Stimmungsanalysen durchführen und immer dann Werbung für Beauty-Produkte ausspielen, wenn der Kunde gut gelaunt ist. Dass der »Smart Mirror« googlebasiert ist und biometrische Daten möglicherweise mit Suchanfragen verknüpft werden könnten, trägt nicht gerade zu einer Entkräftung datenschutzrechtlicher Bedenken bei. Vielleicht ist der smarteste Weg, seine Identität zu schützen, auf so manche digitale Selbstbespiegelungstechnik zu verzichten.
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