Freistetters Formelwelt: Die Kraft des Lichts
Während des Astronomiestudiums habe ich jede Menge Formeln kennen gelernt. Aber eine ganz bestimmte Gleichung hat meine Aufmerksamkeit immer wieder erregt:
Durch diese simple Formel lässt sich der »Poynting-Vektor« S bestimmen, der – abhängig von der elektrischen Feldstärke E und der magnetischen Feldstärke H – beschreibt, in welche Richtung und mit welcher Intensität Energie durch elektromagnetische Felder transportiert wird. Der Vektor zeigt also dorthin, wohin die Energie fließt. Ich gebe zu: Während des Studiums hat mich amüsiert, dass diese Größe den Namen »Poynting-Vektor« bekommen hat. Anfangs dachte ich tatsächlich noch, die Bezeichnung käme vom englischen Ausdruck für »zeigen«. Erst später habe ich gemerkt, dass der Vektor nach dem britischen Physiker John Henry Poynting (1852–1914) benannt wurde.
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Poynting ist vor allem für seine Arbeit auf dem Gebiet der Elektrodynamik bekannt, aus der auch die obige Formel stammt. Doch er hat sich ebenso mit der Wechselwirkung von Sonnenlicht und interplanetarem Staub beschäftigt – das hat mich als Astronom ganz besonders interessiert. Die Energie einer elektromagnetischen Welle, die pro Zeit durch eine Fläche senkrecht zum Poynting-Vektor tritt, wird auch die Intensität der Welle genannt und ergibt sich aus dem Betrag des Vektors. Geteilt durch die Lichtgeschwindigkeit erhält man daraus den Strahlungsdruck.
Licht drückt den Staub durchs Weltall
Dass Licht Druck ausüben kann, hat schon Johannes Kepler (1571–1630) vermutet, als er erklären wollte, warum der Schweif eines Kometen immer von der Sonne weg zeigt. Aber erst mit der Entwicklung eines modernen Verständnisses des Elektromagnetismus konnte man verstehen, was da wirklich passiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Poynting einige Hypothesen, die den Strahlungsdruck der Sonne betreffen, die der US-amerikanische Physiker Howard Robertson (1903–1961) später weiterentwickelt hat und heute als »Poynting-Robertson-Effekt« bekannt sind: Der Strahlungsdruck der Sonne beeinflusst kleine Teilchen im Weltall, etwa interplanetaren Staub, derart, dass ihre Umlaufbahn spiralförmig immer näher an die Sonne rückt. Ein sich bewegendes Staubkorn auf einem Orbit um die Sonne wird das Sonnenlicht immer ein bisschen von schräg vorne kommend »sehen«. Wenn das Teilchen die Strahlung absorbiert, führt das zu einer Kraft, die der Bewegungsrichtung entgegenwirkt.
Ändert man hingegen den Bezugsrahmen und betrachtet das Phänomen aus Sicht der Sonne, braucht es eine andere Erklärung. Denn hier trifft das Licht immer genau radial auf das Staubteilchen. Die aufgenommene Energie wird jedoch auch wieder abgestrahlt. Im Bezugsrahmen des Teilchens passiert das gleichmäßig in alle Richtungen, aus Sicht der Sonne ist die Abstrahlung aber nicht mehr isotrop. So oder so gelangt man am Ende bei beiden Sichtweisen zum selben Ergebnis: Der Strahlungsdruck bremst den Staub. Das gilt aber nur für kleine Teilchen; bei Objekten, die größer als zirka ein Millimeter sind, ist der Poynting-Robertson-Effekt vernachlässigbar. Ist der Strahlungsdruck größer als die Gravitationskraft der Sonne, dann hört der interplanetare Staub auf, um die Sonne zu kreisen und wird aus dem Sonnensystem »hinausgepustet«. Ob ein Teilchen durch den Strahlungsdruck auf eine spiralförmige Kollisionsbahn mit der Sonne gelenkt oder aus dem Sonnensystem entfernt wird, hängt unter anderem von seiner Dichte und Größe ab.
Strahlungsdruck und Poynting-Vektor spielen eine Rolle, wenn man den Staub im Sonnensystem verstehen will, bei der Dynamik in interstellaren Gaswolken, der Entstehung von Planeten und Sternen und bei jeder Menge anderer Phänomene. Im Licht der Sterne steckt nicht nur die Grundlage so gut wie aller astronomischen Informationen – sondern auch jede Menge Kraft.
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