Warkus' Welt: Der Streit um die Eizellen
In der Philosophie gibt es Trends und Moden wie in jeder Wissenschaft und überall sonst auch. Für öffentliche Diskussionen, die in schnelllebigen Massenmedien stattfinden, gilt das noch verstärkt. Wenn man sich ein paar Verlaufsgraphen anschaut, erkennt man verschiedene Trendwellen, welche die Philosophie ebenfalls berührt haben.
Eine Trendwelle, die eigentlich seit etwa 15 Jahren weitgehend »durch« zu sein schien, betraf die so genannte Bioethik, also die Diskussion um moralische Entscheidungen im Zusammenhang mit (zumeist neuen) medizinischen und biotechnologischen Handlungsmöglichkeiten. Ihnen ist vielleicht schon aufgefallen, dass bioethische Themen in dieser Kolumne noch nie vorgekommen sind – und das liegt unter anderem daran, dass ich gegen Ende meiner Schulzeit und zu Anfang meines Studiums diese große Bioethik-Welle erlebt habe und mir das Thema lange etwas zum Hals heraushing. Es kamen auch neue Trends – die große Welle um Hirnforschung und Willensfreiheit um 2009 herum, die ich besonders nah mitbekam, weil Peter Janich (1942–2016), bei dem ich in Marburg studiert habe, gefühlt jede Woche zum Thema in der Zeitung war. Und inzwischen ist natürlich die künstliche Intelligenz das aktuelle »Megathema«.
Warum schreibe ich das? Erstens einmal, um zu zeigen, dass die Philosophie nicht so ewig und überzeitlich ist, wie viele es gerne hätten. Auch wenn der akademische Betrieb sich langsamer bewegt als die aktuellen Diskussionen in den Medien – die Trends wirken sich auch darauf aus, was beforscht und gelehrt wird.
Und zweitens verschwinden die Themen natürlich nicht, wenn der Trend weg ist. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat sich aktuell mit der Frage befasst, ob eine »imprägnierte Eizelle« als befruchtet gelten soll oder nicht. Bei der Kinderwunschbehandlung werden Frauen oft mehr Eizellen entnommen, als ihnen später befruchtet wieder eingesetzt werden. War die Behandlung erfolgreich, muss deshalb entschieden werden, was mit den übrigen Eizellen passieren soll. Unter einer imprägnierten Eizelle im Vorkernstadium verstehen Mediziner dabei eine Eizelle, in die bereits ein Spermium eingedrungen ist. Da sie jedoch anschließend direkt eingefroren wurde, sind die Kerne der beiden Zellen noch nicht miteinander verschmolzen. Ist die Befruchtung hingegen vollständig abgeschlossen, spricht man bereits von einem Embryo.
Sollten solche imprägnierten Eizellen bereits als befruchtet zählen, hieße dies, dass entsprechend der bisher möglichen Spende »überzähliger Embryonen«, die bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen entstehen, auch eine Spende »überzähliger imprägnierter Eizellen« möglich wäre. Das Spenden von unbefruchteten oder eigens zu diesem Zweck befruchteten Eizellen ist verboten, obwohl es potenziell eine große Nachfrage gibt; daher ist davon auszugehen, dass es viele Empfängerinnen für »überzählige imprägnierte Eizellen« gäbe.
Das Verbot der Eizellspende ist im Embryonenschutzgesetz von 1991 verankert, das vor allem darauf abzielt, die Erzeugung überzähliger Embryonen vorab zu verhindern, damit möglichst wenige davon vernichtet werden müssen. Zudem soll so genannte gespaltene Mutterschaft vermieden werden, das heißt, die Gebärmutter, die ein Kind gebiert, und der Eierstock, aus dem die Eizelle stammt, aus der das Kind hervorgegangen ist, sollen sich möglichst immer im selben Körper befinden. Da der Schutz bereits erzeugter Embryonen aber Vorrang vor der Verhinderung gespaltener Mutterschaft hat, ist die Spende überzähliger Embryonen nicht verboten.
Die Rechtslage ist kompliziert, die philosophische Diskussion ebenfalls, und in vielen Punkten herrscht keinerlei Einigkeit
Die Rechtslage ist kompliziert, die philosophische Diskussion ebenfalls, und wie man den Dokumenten des Deutschen Ethikrats entnehmen kann, der mehrfach umfangreich zum Thema Stellung genommen hat, herrscht in vielen Punkten keinerlei Einigkeit. Nun ist der Ethikrat längst nicht nur mit Philosophinnen und Philosophen besetzt, ganz im Gegenteil. Und die Politik braucht sich genauso wenig nach ihm zu richten wie die Gerichte.
Was lebendig ist, ist eigentlich unstrittig
Wichtig ist vielleicht, dass es um die Frage »Wann beginnt Leben?«, die in der Berichterstattung im Zusammenhang mit dieser Verhandlung wieder aufgetaucht ist, eigentlich keine Diskussion gibt. Dass Samenzellen, Eizellen und Embryonen allesamt lebendig sind, bestreitet niemand. Die traditionelle philosophische Diskussion um den Status von Embryonen beschäftigt sich in der Regel mit der Frage, ob und wann ihnen Menschenwürde oder ein »voller moralischer Status« (full moral status, FMS) zukommt. Und ganz grob gesagt beantwortet sich diese Frage darüber, ob und wann man in dem komplexen biologischen Geschehen zwischen dem Zusammenkommen von Ei und Spermium und der Geburt des daraus entstehenden Kindes Ereignisse sieht, an denen sich grundlegend ändert, womit man es zu tun hat.
Das Oberste Landesgericht hat bekräftigt, dass zumindest in einer spezifischen Hinsicht das Eindringen des Spermiums noch kein solches Ereignis ist: Es hat entschieden, dass eine Eizelle, »in die eine männliche Samenzelle eingedrungen ist beziehungsweise dorthin eingebracht wurde, die aber noch nicht zu Embryonen fortentwickelt ist«, nicht verpflanzt werden darf. Nach Ansicht des Gerichts ist eine solche Eizelle nämlich noch kein Embryo im Sinne des Gesetzes, und das Verpflanzen der imprägnierten Eizelle ist eine »Handlung, die ein Entstehen eines Embryos künstlich fördert«.
Man muss sich dieser Meinung nicht anschließen, aber hier zeigt sich erneut, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung häufig auf Terrain im Grenzgebiet zu Philosophie und Naturwissenschaft unterwegs ist. Ob das Urteil eine neue Welle bioethischer Diskussionen lostreten wird, ist allerdings zweifelhaft – bekanntlich hat nicht nur die Philosophie, sondern auch die gesamte Bevölkerung gerade mit einem anderen biomedizinischen Megathema genug zu tun.
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