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Mäders Moralfragen: Der Wille zur Wahrhaftigkeit

Wenn Argumente nichts mehr zählen, gilt wieder das Recht des Stärkeren. Gegen diese Gefahr müssen sich Wissenschaft, Medien und Gesellschaft gemeinsam wehren.
Trump-Flagge

Für Forschung und Entwicklung wird in Deutschland viel Geld ausgegeben: Knapp 20 Jahre, nachdem man sich die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Ziel gesetzt hat, ist es nun erstmals so weit. Das berichtet der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in seiner jüngsten Statistik. Ein Drittel dieses Geldes kommt von Bund und Ländern, stammt also aus Steuereinnahmen. Was kann die Gesellschaft als Gegenleistung erwarten? Gute Forschung, würde ich sagen.

Das mag selbstverständlich klingen, aber ich stelle es trotzdem an den Anfang dieser Kolumne. Denn in diesem Zusammenhang hört man häufig noch eine andere Forderung: Wissenschaftler seien es den Steuerzahlern schuldig, ihre Arbeit allgemein verständlich zu erklären. Nur dann könnten sich die Laien ein Bild davon machen, wie ihre Steuern verwendet werden. Doch ich bin skeptisch: Können Laien wirklich entscheiden, ob die Wissenschaft das Geld sinnvoll einsetzt? Ich sehe bei dieser Art der Öffentlichkeitsarbeit eher eine Gefahr: Die Wissenschaft könnte versucht sein, zu stark auf das Marketing in eigener Sache zu setzen – nur das Wohlwollen der Steuerzahler zu gewinnen, damit die Fördermittel nicht gekürzt werden.

Doch es gibt einen ganz anderen, viel besseren Grund für Wissenschaftler und ihre Pressesprecher, sich an die Öffentlichkeit zu wenden: Weil man die Bürger aufklären möchte. Wissenschaft kann Wissen bereitstellen, das die Gesellschaft benötigt – um in politischen Debatten damit zu argumentieren oder um über sich selbst und die Stellung des Menschen im Weltgeschehen nachzudenken. Der Astronom, Pressesprecher und Scilogs-Blogger Markus Pössel hat diese Arbeit und die Motivation dazu kürzlich auf dem Portal Wissenschaftskommunikation.de beschrieben.

Die populistische Bedrohung

In jüngster Zeit ist noch eine Aufgabe hinzugekommen, auf die der Siggener Kreis in einer Stellungnahme aufmerksam macht. In diesem Kreis treffen sich – auf dem Gut Siggen im hohen Norden Deutschlands – seit einigen Jahren Vertreter aus Wissenschaft, Stiftungen und Medien. Ihr Anliegen im aktuellen Papier: Wissenschaft »muss auch in der politischen Debatte aktiv sein und Positionen beziehen – (besonders) wenn wissenschaftliche Ergebnisse falsch interpretiert, aus dem Kontext gerissen oder gar missbraucht werden.«

Eine Übersicht der »Washington Post« macht das Problem deutlich: Die Statistik der Lügen, Halbwahrheiten und irreführenden Aussagen Donald Trumps ergibt eine kontinuierlich steigende Kurve. Der US-Präsident schert sich nicht um die Wahrheit – und er scheint damit davonzukommen. Journalisten haben viel zu tun, wenn sie alle seine Aussagen gründlich prüfen wollen. Und doch dürfen sie nicht aufgeben, denn es geht nicht allein um die Wahrheit, sondern um den Willen zur Wahrhaftigkeit. Wenn Populisten wie Trump Behauptungen erfinden dürfen, ohne sie begründen zu müssen, erodiert die Basis für unseren gesellschaftlichen Diskurs. Das ist gemeint, wenn Menschen sagen: »Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten.« Über die Welt müssen wir uns verständigen können, und dazu brauchen wir ein Fundament, das alle anerkennen.

Alle sitzen in einem Boot

Was ist zu tun? Der Siggener Kreis empfiehlt unter anderem eine Task-Force, die bei »Desinformationskampagnen beziehungsweise Fake News die Wissenschaftseinrichtungen dabei unterstützt, ihre viel zu langen Reaktionszeiten zu verringern«. Um im schnell getakteten politischen Diskurs mitzureden, müssen die Hochschulen und Institute ihre Positionen zügig abstimmen und bekannt machen. Nicht weniger wichtig als die Reaktion ist aber die Vorbereitung. Das Ziel der Wissenschaftskommunikation sei, »realistische Erwartungen zu wecken, Möglichkeiten und Grenzen der Forschung aufzuzeigen und die Mechanismen der Selbstkritik in der Wissenschaft zu veranschaulichen«, schreibt der Siggener Kreis. Kurzum: Die beste Verteidigung der Wahrhaftigkeit ist, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wissenschaftler sollten zeigen, wie ernst sie es mit der Wahrheit meinen – dann sehen die Populisten mit ihren einfachen Rezepten und ihrer Unfähigkeit zur Selbstkritik lächerlich aus. (Wie das Thema in der Wissenschaft zur Chefsache werden könnte, erklärt Markus Weißkopf von der Initiative Wissenschaft im Dialog in einem Interview.)

Auch Wissenschaftsjournalisten sollten sich nach Ansicht des Siggener Kreises einbringen, denn sie sitzen mit Wissenschaftlern und ihren Pressesprechern in einem Boot: Auch sie werden von Populisten angegriffen, die ihre eigenen Fakten durchsetzen wollen. Ich würde die wissenschaftsinteressierten Laien noch hinzunehmen: Sie würden ebenfalls leiden, wenn die Rechnung der Populisten aufginge. Was für die Wissenschaft gilt, gilt auch für alle anderen, die an einem evidenzbasierten Diskurs interessiert sind: Man muss die Grenzen seines eigenen Wissens und die eigenen Fehler anerkennen und deutlich machen. Aufrichtigkeit währt am längsten – das will ich doch hoffen.

Die Moral von der Geschichte: Den Kampf gegen die Beliebigkeit der Fakten gewinnt man nicht, indem man das Spiel der Populisten mitspielt.

Ja, auf jeden Fall

Ja, eher

Ich bin unentschieden.

Nein, eher nicht

Nein, auf keinen Fall

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