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Warkus' Welt: Ist die Zukunft vorherbestimmt?

Kaum jemand glaubt ernsthaft, dass uns Bleigießen an Silvester die Zukunft verrät. Aber könnte unser Tun nicht trotzdem determiniert sein? Eine knifflige philosophische Frage.
Kristallkugel vor Landschaft

Mit Feuerwerk »böse Geister zu vertreiben« war zu diesem Jahreswechsel aus gutem Grund nicht erlaubt. Ein anderes abergläubisches Ritual wird aber sicher wieder in vielen deutschen Wohnzimmern stattgefunden haben: das so genannte Bleigießen (wobei die verwendeten Legierungen inzwischen bleifrei sind, oft ist es auch nur noch Wachs). Selbst wenn vermutlich kaum noch jemand ernsthaft erwartet, dass die Form irgendwelcher Materialklumpen wirklich etwas über das kommende Jahr aussagt, manifestiert sich in diesem Brauch doch die Vorstellung, dass es Schicksal gibt: dass also bereits jetzt feststeht, was in Zukunft erst geschehen wird.

Beim Nachdenken darüber, ob dies grundsätzlich so ist oder nicht, hört der Aberglaube auf und die Philosophie fängt an. Die groben Züge der Debatte gehen dabei wie so oft zurück bis in die Antike, auf Überlegungen zu Ursache und Wirkung. Wenn es so ist, dass nichts ohne Grund geschieht und dass die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung letztlich den Charakter eines unwandelbaren Gesetzes haben, dann haben gleiche Ursachen immer die gleiche Wirkung. Das heißt dann: Weiß man alles darüber, was heute eine Ursache für zukünftige Wirkungen sein kann, und weiß man alles über die Naturgesetze, dann weiß man genau, was geschehen wird. Die Zukunft ist vorherbestimmt, sie ist determiniert. Daher spricht man auch von Determinismus.

Selbst wenn wir ausklammern, dass viele Naturgesetze bekanntermaßen statistischen Charakter haben, ist es so, dass wir aktuell nicht alle gesetzmäßigen Zusammenhänge, die die Zukunft bestimmen können, vollkommen kennen. Zudem verfügen wir über längst nicht alle Informationen über die Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt; und die Unschärfe, die daraus entsteht, dass wir nichts messen können, ohne es zu beeinflussen, diktiert, dass wir es in gewisser Weise niemals können werden. Und selbst wenn wir alle Informationen über die Welt und eine perfekte Kenntnis der Naturgesetze hätten, bräuchten wir immer noch eine unvorstellbare Rechenleistung, um damit perfekte Vorhersagen treffen zu können.

Ein Supercomputer-Orakel für die Zukunft?

Das ist sattsam bekannt, aber deswegen ist das Problem ja gerade kein naturwissenschaftliches, sondern ein philosophisches. Es geht ja nicht darum, ob wir praktisch mit einem Supercomputer berechnen können, ob ich am 2. Januar 2022 meine linke Socke vor der rechten anziehen werde oder umgekehrt, sondern darum, ob es theoretisch möglich sein müsste. Eventuell geht es sogar darum, ob es überhaupt möglich und/oder sinnvoll ist, auf die Frage, ob es theoretisch möglich sein müsste, eine Antwort zu geben.

Das Problem wird vor allem dadurch interessant, dass – wenn wir nicht bloß zum Beispiel Vorgänge im Weltraum und im Erdinneren betrachten wollen – menschliches Handeln notwendigerweise Teil dessen ist, was unter Umständen determiniert ist. Traditionell wird jedoch davon ausgegangen, dass Menschen einen freien Willen haben – sich also etwa sehr kurzfristig überlegen können, welche Socke sie zuerst anziehen. Meist können Menschen auch Gründe für das nennen, was sie tun. Nur: Handeln sie wirklich aus den Gründen, die sie für ihre Gründe halten? Und ist dieser Zusammenhang von gleicher Art wie ein physikalisches Gesetz?

Meist können Menschen Gründe für das nennen, was sie tun. Nur: Handeln sie wirklich aus den Gründen, die sie für ihre Gründe halten?

Das spezifisch Philosophische an dieser Art von Debatte ist, dass sie in allen ihren Teilen gleichzeitig sehr konkret und völlig theoretisch erscheint. Denn einerseits ist es natürlich eine Frage, die mich tief bewegt, ob meine Willensentscheidungen tatsächlich Einfluss auf den Verlauf meines Lebens haben oder ob sie ein bloßes Oberflächenphänomen von etwas sind, was unverrückbar feststeht. Andererseits ändert sich so oder so nichts an meiner alltäglichen Lebensführung – ich muss ständig Entscheidungen treffen und werde von anderen für sie verantwortlich gemacht.

Ich persönlich treffe viele kleinere Entscheidungen in meinem Leben (zum Beispiel, welches Essen ich bestelle) nach dem Zufallsprinzip, weil ich gemerkt habe, dass es Zeit und Energie spart. Aber bei den großen Fragen werfe ich keine Münze, sondern wäge Argumente ab und überlege, welche Konsequenzen eine Entscheidung für mich haben könnte – und das tue ich, ob die Deterministen nun Recht haben oder nicht. Damit sich daran etwas ändern könnte, müsste ich wirklich ein praktisch funktionierendes Orakel haben.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

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