Freistetters Formelwelt: Wie man den Grundumsatz berechnet
Auf meinem Schreibtisch steht ein Teller mit Keksen. Ich habe ihn selbst dorthin gestellt, ich kann also nur mir selbst vorwerfen, mich durch die Aussicht auf eine süße Zwischenmahlzeit von der Arbeit abzuhalten. Ich will auch gar nicht so genau wissen, wie viele Kalorien ein einziger kleiner Keks in sich hat. Obwohl man genau das wissen sollte, wenn man Gewicht verlieren will.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Die Kalorie ist eine Maßeinheit für Energie und eigentlich veraltet; die offiziellen Angaben sollten in Joule erfolgen. Aber gerade wenn es um Energie geht, die wir mit Lebensmitteln unserem Körper zuführen, verwenden wir die Einheit immer noch sehr gerne. Das Gleiche gilt für mathematische Formeln, mit denen wir den so genannten Grundumsatz ausrechnen, so wie diese hier:
Setzt man das Gewicht m (in Kilogramm), die Körpergröße h (in Zentimetern) und das Alter a (in Jahren) ein und wählt den Faktor s entsprechend dem Geschlecht (+5 für Männer und -161 für Frauen), erhält man mit dieser Mifflin-St.-Jeor-Formel den Grundumsatz in Kilokalorien pro Tag. Also die Menge an Energie, die unser Körper auf jeden Fall braucht, um seine grundlegenden Funktionen aufrechtzuerhalten.
Der Wert aus der Formel ist natürlich nicht exakt; in der Realität hängt der Grundumsatz von sehr viel mehr Faktoren ab als nur von Gewicht, Größe und Alter. Jeder Mensch hat einen unterschiedlichen Metabolismus, und kaum jemand von uns liegt bewegungslos herum und kümmert sich ausschließlich um die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. Jegliche Art von Aktivität oder Arbeit erhöht den Energieumsatz; nur bei bestimmten Fällen bettlägeriger Kranker entspricht der Grundumsatz annähernd dem tatsächlichen Energiebedarf.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Trotzdem ist es gut zu wissen, wie viel Energie man sich höchstens zuführen darf, wenn man abnehmen will. Denn da lautet die Grundregel: Man muss mehr Energie verbrauchen, als man zu sich nimmt, wenn man Gewicht verlieren will. Und will man nach danach den Jo-jo-Effekt vermeiden, sollte man darauf achten, dass die Veränderung im Energiehaushalt einigermaßen nachhaltig ist. Die vielen verschiedenen Diäten in diversen Magazinen sind da im Allgemeinen eher wenig hilfreich. Selbst wenn sie mit Mathematik beeindrucken wollen, wie im Fall der Minus-500-Formel. Glaubt man den Versprechungen, dann handelt es sich dabei um eine geniale Formel, eine mathematische Gleichung, entwickelt von Ernährungsexperten, mit der man – »mathematisch bewiesen« Gewicht verlieren kann, ohne all die Probleme die man sonst so bei Diäten hat.
So gut wie jedes einschlägige Medium hat diese Formel schon im Programm gehabt. Sie lautet: Körpergewicht mal 30 minus 500, und das Resultat der Rechnung ist die Menge an Kilokalorien, die man pro Tag zu sich nehmen darf. Und so gern ich auch darüber schimpfen würde: Diese Formel funktioniert tatsächlich. Denn der Teil mit dem Körpergewicht mal 30 ist eine einfache Abschätzung für den Grundumsatz. Sie ist natürlich deutlich ungenauer als die Mifflin-St.Jeor-Formel, aber nicht komplett aus der Luft gegriffen. Und wenn man vom Grundumsatz 500 Kilokalorien abzieht und die tägliche Energiezufuhr auf diesen Wert begrenzt, dann nimmt man auf jeden Fall weniger Energie zu sich, als man verbraucht.
Rein mathematisch ist mit der Minus-500-Formel also alles in Ordnung. Ob es aber in jedem Fall angebracht ist, die Energiezufuhr auf diese simple Weise zu reduzieren, sollte man vorher medizinisch klären lassen. Am Ende muss ich dann aber doch noch ein wenig schimpfen. Hier wird die Mathematik missbraucht, um einer simplen Tatsache mehr Gewicht zu verleihen. Denn am Ende läuft die von den »Experten« entwickelte »geniale Formel« ja auch nur auf das hinaus, was eigentlich alle wissen: Wer abnehmen will, muss weniger essen und sich mehr bewegen. Weswegen ich und mein Keks nun einen Spaziergang machen werden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.