Die fabelhafte Welt der Mathematik: Wie findet man den besten Parkplatz?
Falls Sie in einer größeren Stadt leben oder arbeiten, ist Ihnen das Problem bestimmt bestens bekannt: die elendige Suche nach einem Parkplatz. Fahrerinnen und Fahrer in europäischen Metropolregionen verbringen laut einer 2017 durchgeführten Studie zwischen 35 und 107 Stunden pro Jahr mit der Parkplatzsuche. Das stellt nicht nur eine enorme Verschwendung von Lebenszeit dar, sondern auch einen verzichtbaren Treibhausgasausstoß. In Stuttgart bestehen gut 15 Prozent des Stadtverkehrs aus unnötig umherkreisenden Fahrzeugen. Um das Problem zu beheben, kann die Mathematik helfen.
Viele Städte sind bemüht, Menschen dazu zu motivieren, das Auto stehen zu lassen und auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Indem sie die Gebühren für das Parken erhöhen und die Anzahl der Parkplätze reduzieren, soll es zunehmend unattraktiv werden, sich auf die lästige Stellplatzsuche zu begeben. Das muss eine Stadt allerdings genau planen – denn das Vorhaben könnte auch nach hinten losgehen: Verzichten die Fahrerinnen und Fahrer doch nicht auf ihr Auto, riskiert man verstopfte Straßen, jede Menge Abgase und verärgerte Bürger und Bürgerinnen. Um die möglichen Verkehrssituationen, die sich aus bestimmten Maßnahmen ergeben können, zu simulieren, braucht es ein mathematisches Modell.
Zwar hat ein einzelner Verkehrsteilnehmer keinen unmittelbaren Einfluss auf die Verkehrsplanung einer Stadt. Dennoch kann Mathematik auch jeder Fahrerin und jedem Fahrer dabei helfen, eine Strategie zu entwickeln, wie sich möglichst schnell ein guter Parkplatz finden und damit die unnötige Tour durch die Stadt vermeiden lässt.
Wie findet man möglichst schnell einen guten Parkplatz
Das optimale Vorgehen dazu haben die Physiker Paul Krapivsky und Sidney Redner vom Sante Fe Institute in New Mexico im Jahr 2019 systematisch analysiert. Angenommen, Sie fahren auf einer geraden Straße auf Ihr Ziel zu, zum Beispiel auf ein Kino. Rechts und links entlang der Straße verstreut stehen geparkte Autos. Nun müssen Sie abwägen: Nehmen Sie die erstbeste Lücke oder fahren Sie möglichst nah an Ihr Ziel heran, mit dem Risiko, keinen freien Parkplatz mehr zu finden und umkehren zu müssen?
Krapivsky und Redner unterscheiden drei verschiedene Strategien, die ein Fahrer bei der Parkplatzsuche wählen kann:
- Auf Nummer sicher gehen: Sobald man sich auf der Straße zum Kino befindet, parkt man direkt hinter dem ersten Auto, das man erblickt.
- Vorsichtig sein: Man fährt am ersten geparkten Auto vorbei und schnappt sich dann die erste Lücke, die sich ergibt. Im schlimmsten Fall gibt es keine Lücke und Sie müssen vom Kino aus den ganzen Weg zurückfahren und wie bei der ersten Strategie hinter dem letzten Fahrzeug parken.
- Das volle Risiko eingehen: Sie fahren die gesamte Straße bis zum Kino durch, kehren dann um und schnappen sich den nächstgelegenen Parkplatz.
Welche Strategie bevorzugen Sie im Alltag? Das Ziel besteht letztlich darin, möglichst wenig Zeit zu verschwenden – also einerseits nicht allzu lange herumzufahren, andererseits aber auch nicht zu lange vom Stellplatz zum Zielort laufen zu müssen. Um zu untersuchen, welche Strategie am besten ist, haben Redner und Krapivsky die verschiedenen Situationen modelliert: Sie nahmen an, dass geparkte Fahrzeuge gemäß einer Poisson-Verteilung auf der geraden Straße verteilt sind. Für jede Einparkstrategie berechneten die Physiker zunächst, welche durchschnittliche Distanz ein geparktes Auto vom Ziel hat.
Falls die meisten Autofahrer kein Risiko eingehen möchten und lieber auf Nummer sicher gehen (1), ergibt sich eine lange Kette mit lauter ungenutzten Parklücken. Die durchschnittliche Distanz zwischen einem Stellplatz und dem Zielort wächst exponentiell mit der Anzahl geparkter Fahrzeuge. Diese Strategie erweist sich also als »ineffizient, weil viele gute Parkplätze unbesetzt sind und die meisten Autos weit entfernt vom Ziel parken«, schreiben die Autoren in ihrer Studie.
Lieber nicht den erstbesten Parkplatz wählen
Allerdings ist es recht unwahrscheinlich, dass sich alle Autofahrer für dieselbe Strategie entscheiden. Falls die meisten Fahrerinnen und Fahrer also stattdessen die vorsichtige (2) oder die riskante Strategie (3) bevorzugen und es nur wenige Personen gibt, die wirklich auf Nummer sicher gehen, ergibt sich ein anderes Bild: In diesem Fall wächst die durchschnittliche Distanz zum Ziel proportional mit der Anzahl der geparkten Autos. Das ist zwar schon besser; dennoch ist es, wie Redner und Krapivsky entdeckten, lohnenswerter, eine andere Strategie zu verfolgen.
Um herauszufinden, ob sich nun der vorsichtige oder der riskante Ansatz eher anbietet, haben die beiden Physiker die Zeit berechnet, die man insgesamt bis ans Ziel braucht. Dafür nahmen sie an, dass sich ein Fahrzeug auf Parkplatzsuche mit Schrittgeschwindigkeit fortbewegt. Dann mussten die Forscher nur berechnen, welche Strecke ein Auto bis zur Parklücke zurücklegt, und anschließend die Distanz zum Zielort addieren.
Die Erkenntnis der beiden Physiker: Die optimale Strategie hängt von der vorherrschenden Parksituation ab. Mal ist die vorsichtige, mal die riskante besser. Doch wie sich herausstellt, lohnt sich die vorsichtige Strategie öfter. »Auch wenn die vorsichtige Strategie es nicht erlaubt, viele der erstklassigen Parkplätze in der Nähe des Ziels zu bekommen, überwiegt typischerweise der Nutzen, nicht zwangsweise umkehren zu müssen«, schreiben Redner und Krapivsky.
In einer weiteren Veröffentlichung aus dem Jahr 2020 verfeinerten Redner und Krapivsky ihr Ergebnis, indem sie die vorsichtige Strategie weniger einschränkten: Anstatt in die erste Lücke zu fahren, die sich nach dem ersten Auto in der geraden Straße ergibt, zeigt man sich etwas mutiger und wagt sich näher ans Ziel.
Die Physiker stellten sich die Frage, ab welcher Entfernung vom Ziel man einen Parkplatz nehmen sollte, um die Chance auf einen optimalen Stellplatz zu maximieren. Falls alle Autofahrer dieselbe Strategie verfolgen, lautet das optimale Ergebnis: Wenn das erste geparkte Auto eine Distanz l vom Zielort hat, sollte man sich dem Ziel noch um l⁄2 nähern und sich ab diesem Ort die nächste freie Parklücke schnappen. Das heißt: Falls Sie in einer Entfernung von 250 Metern vom Kino ein geparktes Auto erblicken, sollten Sie noch 125 Meter weiterfahren und erst dann nach eine Lücke Ausschau halten. Wie die Physiker berechneten, erwischt man auf diese Weise mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent sogar die dem Zielort am nächsten gelegene freie Parklücke.
Eine verkehrsberuhigte Stadtplanung
Bei der Parkplatzsuche sollte man also weder zu vorsichtig noch zu risikoreich agieren. Allerdings ist das Modell, das Redner und Krapivsky untersucht haben, stark vereinfacht. In der Realität führt meist nicht nur eine Straße zum Ziel, sondern es gibt ein ganzes Netz aus Zufahrten. Zudem unterscheidet sich die Beliebtheit der Parkplätze: Einige mögen zwar sehr nah am Zielort sein, sind dafür aber teurer. »Trotz der enormen Bedeutung ist das Thema der Parkplatzsuche wissenschaftlich kaum beleuchtet.« schreiben die Physiker Nilankur Dutta, Thibault Charlottin und Alexandre Nicolas in einer Veröffentlichung, die im Januar 2023 auf dem Preprint-Server arXiv erschienen ist. »Wir haben nur eine vage Vorstellung davon, was die Hauptfaktoren sind, die den Verkehr beeinflussen, und welche quantitativen Auswirkungen sie haben.«
Die drei Forscher entwarfen deshalb ein realitätsnahes Verkehrsmodell einer Stadt: mit einem starken Verkehrsfluss von außerhalb zu den Industriestandorten, verschiedenen Parkplätzen mit unterschiedlichen Gebühren und unterschiedlichem Verhalten der Verkehrsteilnehmer. Einige nehmen einen entfernteren Stellplatz in Kauf, während andere lieber direkt an den Zielort fahren und sich dann spiralförmig davon entfernen, bis sie eine geeignete Lücke gefunden haben.
Um das zu simulieren, ordneten die drei jedem Fahrer α eine Wahrscheinlichkeit piα zu, mit der dieser einen Parkplatz i wählt. Diese Wahrscheinlichkeit hängt von der Distanz zum Ziel sowie von der Gebühr für den Parkplatz ab. Daraus konnten die Physiker zwei Modelle für die durchschnittliche Dauer einer Parkplatzsuche entwickeln: ein Modell, das sich am Computer simulieren lässt, sowie ein weiteres, das sich analytisch exakt berechnen lässt – für das man also eine Formel angeben kann.
Um ihre Ergebnisse zu testen, übertrugen Dutta, Charlottin und Nicolas die beiden erarbeiteten Methoden auf den typischen Berufsverkehr am Morgen in Lyon, Frankreichs zweitgrößter Stadt. Dafür nahmen sie sich das Straßennetz der Stadt vor und positionierten rundherum in den äußeren Bezirken 46 »Quellen«, von denen aus die Autos in die Stadt hineinfahren. Innerhalb von Lyon markierten die Forscher 36 Zielorte, die den Standorten großer Firmen entsprechen. Die Stadtverwaltung von Lyon übermittelte den Physikern die Positionen der zirka 84 000 Parkplätze innerhalb der Stadt sowie deren durchschnittliche Belegung und die Parkgebühren. Insgesamt konnten sie so untersuchen, wie lange 10 000 Fahrzeuge im Schnitt brauchen, bis sie in der Stadt einen geeigneten Parkplatz finden.
»Stadtplanung erfordert in der Regel zahlreiche Computersimulationen, die man sich durch unseren Ansatz sparen kann«Nilankur Dutta, Thibault Charlottin und Alexandre Nicolas, Physiker
Je nach Verkehrsdichte und Stadtteil variierte die Dauer zwischen wenigen Sekunden und etwa fünf Minuten – das ergaben sowohl die Computersimulationen als auch die Formel. Dieses Resultat verglichen Dutta, Charlottin und Nicolas mit den Ergebnissen einer umfangreichen Befragung im Jahr 2015 in Lyon. Damals gaben die meisten an, zwischen zwei und drei Minuten nach einem Parkplatz zu suchen. Insgesamt beträgt die Reisedauer eines Pendlers am Tag durchschnittlich 70 Minuten – was sich gut mit den Ergebnissen der drei Forscher deckt.
Den Vorteil ihrer Arbeit sehen Dutta, Charlottin und Nicolas vor allem in der griffigen Formel, die sie herleiten konnten. »Stadtplanung erfordert in der Regel zahlreiche Computersimulationen, die man sich durch unseren Ansatz sparen kann«, schreiben die Autoren. Auf diese Weise lässt sich einfacher untersuchen, wie sich Preisstrategien und Einsparungen von Parkplätzen (zum Beispiel zu Gunsten von Radwegen) auf den Gesamtverkehr auswirken. Von einer kürzeren Parkplatzsuche profitieren nämlich nicht nur die Autofahrerinnen und Autofahrer, sondern auch alle anderen Bürger einer Stadt, die unter dem starken Verkehr und den Abgasen leiden.
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