Freistetters Formelwelt: Die Formel für die Menschheit
Als ich in die Schule ging, konnte man in allen Lehrbüchern lesen, dass die Welt von ungefähr sechs Milliarden Menschen bevölkert wird. Seit 2011 muss ich mich an eine neue Zahl gewöhnen: Schätzungen zufolge hat die Weltbevölkerung irgendwann damals während der zweiten Jahreshälfte erstmals die Marke von sieben Milliarden geknackt.
Und schon in acht Jahren wird die Welt um eine weitere Milliarde Menschen gewachsen sein. Bei diesen gewaltigen Zahlen könnte man auf die Idee kommen, heute lebten mehr Menschen auf unserem Planeten als in der gesamten Vergangenheit zusammengenommen. Und tatsächlich findet man diese Behauptung an verschiedensten Stellen im Internet. Sie ist allerdings falsch – auch wenn es schwer ist, die Anzahl aller Menschen, die jemals gelebt haben, genau zu bestimmen.
Das fängt schon damit an, dass es keine "ersten" Menschen gab. Wir haben uns kontinuierlich entwickelt; von Australopithecus und seinen Vorgängern bis hin zum modernen Homo sapiens. Aber selbst wenn man irgendwann in der Vergangenheit einen Startpunkt setzt, muss man immer noch wissen, wie groß die gesamte Weltbevölkerung zu verschiedenen früheren Zeitpunkten war und wie lange Menschen damals im Durchschnitt gelebt haben. Jede Formel zur Berechnung der gesamten Größe der Menschheit ist also zwangsläufig nur eine Schätzung. Das gilt auch für die Gleichung, die der kanadische Demograf Nathan Keyfitz entwickelt hat:
Die Formel geht von einem exponentiellen Wachstum der Menschen aus. Das ist zwar stark vereinfacht, stimmt jedoch zumindest mit dem überein, was man vom Wachstum von Bakterienkulturen weiß, beziehungsweise entspricht auch allgemein dem Wachstum von Populationen, wenn sie neue Nischen erobern – wie etwa die Menschen, nachdem sie die Landwirtschaft entwickelt hatten. X ist die gesamte Anzahl an Menschen, die zwischen den Zeitpunkten A und B gelebt haben; n die durchschnittliche Lebenserwartung. Außerdem muss man die Weltbevölkerung P zu den Zeitpunkten A und B kennen. Sie hängt von der Geburtenrate und der Sterblichkeit ab, die sich im Lauf der Zeit nicht nur immer wieder geändert haben, sondern für den größten Teil der Vergangenheit ebenfalls nur geschätzt werden können. Je nach Prognose weicht dann natürlich das Ergebnis ab.
Man kann zum Beispiel – rein mathematisch! – davon ausgehen, dass die Geschichte der Menschen vor einer Million Jahren mit zwei Individuen begonnen hat. Danach muss man sich mit historischen Schätzungen helfen: Zur Zeitenwende lebten ungefähr 300 Millionen Menschen auf diesem Planeten; am Ende des Mittelalters waren es ungefähr 500 Millionen. Die erste Milliarde wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts überschritten, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten 1,6 Milliarden Menschen auf dem Planeten. Mit Keyfitz' Formel kann man sich so Schritt für Schritt an die Größe der Menschheit herantasten. Mit einer in der Menschheitsgeschichte durchschnittlichen Lebenserwartung von 25 Jahren landet man bei etwa 100 Milliarden Menschen, die unseren Planeten bisher bevölkert haben.
Andere Näherungen ergeben ungefähr 110 Milliarden Menschen, doch bei all den involvierten Ungenauigkeiten kommt es auf die paar Milliarden wohl gar nicht an. Die sieben Milliarden heute lebenden Menschen sind angesichts der zirka 100 Milliarden Toten deutlich in der Minderheit. Ein wenig überraschend ist es allerdings schon: Die heutige Weltbevölkerung macht immerhin mehr als sechs Prozent der gesamten Menschheitsgröße aus! Das ist nicht nur überraschend, sondern sehr bedenklich. Ewig kann das Wachstum nicht weitergehen. Wenn sich alles so fortsetzt wie jetzt, werden wir im Jahr 2100 die Grenze von 10 Milliarden Menschen überschritten haben. Sollte die Geburtenrate allerdings nur minimal (im Durchschnitt um ein halbes Kind pro Frau) ansteigen, würde die Erde zur nächsten Jahrhundertwende von mehr als 16 Milliarden Menschen bevölkert werden. Bis dahin sollten wir entweder Wege gefunden haben, um so viele Menschen auf dem Planeten ernähren zu können – oder aber der Ressourcenmangel wird ganz von selbst für ein Ende unseres Wachstums sorgen.
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