Freistetters Formelwelt: Alles, was schiefgehen kann …
»Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.« So lautet die gängige Form von Murphys Gesetz, das nach dem amerikanischen Ingenieur Edward Murphy benannt ist. Es soll auf ein Experiment der US Air Force mit einem Raketenschlitten zurückgehen. 1949 wollte man herausfinden, welche Beschleunigungskräfte ein Mensch aushalten kann. Gemessen wurde das mit entsprechenden Sensoren, die man richtig oder eben falsch anschließen konnte. Es passierte, was passieren musste; der Versuch schlug fehl, und Murphy tat seinen berühmten Ausspruch.
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Ähnliche Aussagen waren jedoch schon früher in Umlauf, und die naheliegende Fatalität von Murphys Gesetz hat Menschen immer wieder dazu inspiriert, sich auch mathematisch damit zu beschäftigen. Zum Beispiel den Biologen Joel Pel, der sich 2007 auf die Suche nach einer Formel machte, um Murphys Gesetz zu beschreiben. Das Resultat sieht so aus:
Mit Pm wird »Murphys Wahrscheinlichkeit« dafür beschrieben, dass etwas schiefgeht. Sie berechnet sich aus der Murphy-Konstante KM, die gleich 1 ist, und dem Murphy-Faktor FM, einer sehr kleinen Zahl, die ungefähr gleich 0,01 ist. Die Parameter I, C, U und F sind ganze Zahlen auf einer Skala von eins bis zehn, die die jeweilige Situation beschreiben. I steht für die Bedeutung, die dem Ausgang eines Ereignisses beigemessen wird, C für die Komplexität des Systems, U für die Dringlichkeit des Vorgangs und F für die Häufigkeit.
Pel bringt ein Beispiel, das er selbst erlebt hat: Angenommen man fährt mit einem Toyota Tercel, Baujahr 1989, durch einen nächtlichen Regensturm und ist 100 Kilometer von zu Hause entfernt. Wie wahrscheinlich ist es laut Murphys Gesetz, dass dabei die Kupplung versagt? Die Bedeutung der Kupplung für das System ist hoch, also wird I = 8 gesetzt. Es ist ein vergleichsweise simples System (C = 5), sie muss nur für den einen Fall der aktuellen Heimfahrt funktionieren (F = 1), das wäre aber dringend nötig (U = 8). In die Formel eingesetzt, ergibt das eine Wahrscheinlichkeit Pm = 1. Demnach wird mit absoluter Sicherheit etwas schiefgehen – und genau das konnte Pel bei seiner nächtlichen Autofahrt auch erleben.
Das Universum ist böswillig
Wer ein wenig mit der Formel herumspielt und unterschiedliche Zahlenwerte ausprobiert, wird schnell merken, dass Pm immer gleich 1 ist. Denn natürlich war Pels Arbeit nur als mathematischer Scherz gemeint; das kann man sogar direkt aus der Formel ablesen. Egal was man für I, C, U und F einsetzt: Dank des nahe bei null liegenden Zahlenwerts des Murphy-Faktors wird man bei der Auswertung der Exponentialfunktion stats einen Wert erhalten, der beliebig nahe bei null liegt. Und damit ergeben sich für die Murphy-Wahrscheinlichkeit immer 100 Prozent. Was einerseits ja tatsächlich die ursprüngliche Version des Ausspruchs mathematisch korrekt umsetzt, andererseits jedoch nichts mit einer sinnvollen oder gar nützlichen Methode zu tun hat.
Schon 1995 hat sich der Mathematiker Robert Matthews auf eine ganz andere – und marginal sinnvollere – Weise mit Murphys Gesetz beschäftigt. Er untersuchte das bekannte Phänomen des stets auf die Marmeladenseite fallenden Toasts und stellte dabei fest, dass die Ursache dafür in der üblichen Tischhöhe zu finden ist. Auf Grund der physikalischen Abläufe, die beim Fallen einer Toastscheibe stattfinden, dreht sie sich fast immer so, dass sie in der für uns unangenehmsten Ausrichtung auf den Boden trifft.
Ein klassisches Beispiel für Murphys Gesetz, das aber – wie Matthews berechnete – quasi fix im Universum verbaut ist. Fundamentale Naturkonstanten bestimmen, wie groß ein menschenähnliches Lebewesen zirka sein kann. Daraus leitet sich der sinnvolle Bereich für die Höhe eines Tisches ab, und alle möglichen Höhen führen zu Marmeladeflecken am Boden. Das Universum selbst stellt also sicher, dass zumindest in diesem Fall mit Sicherheit alles schiefgeht.
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