Freistetters Formelwelt: Die goldbachsche Vermutung ist ganz großes Kino
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Vor Kurzem war ich im Kino. Ich habe mir den Film »Die Gleichung ihres Lebens« (im Original: »Le Théorème de Marguerite«) angesehen. Im Zentrum des Films steht die junge Mathematikerin Marguerite Hoffmann, die gerade dabei ist, ihre Doktorarbeit fertig zu stellen. Ihr Thema ist die goldbachsche Vermutung, die sich um diese Formel dreht:
Wenn sich eine gerade Zahl (größer als zwei) als Summe zweier Primzahlen (p und q) ausdrücken lässt, wird das Goldbach-Zerlegung genannt. Der deutsche Mathematiker Christian Goldbach vermutete im Jahr 1742, dass das für alle gerade Zahlen möglich ist. Bis heute fehlt allerdings der Beweis, dass diese Vermutung richtig ist.
Die goldbachsche Vermutung gehört zu den bekanntesten unbewiesenen Aussagen der Mathematik, was mit Sicherheit daran liegt, dass sie problemlos ohne große Vorkenntnisse zu verstehen ist. Und das war wohl auch der Grund, warum die Regisseurin Anna Novion das Thema für ihren Spielfilm ausgewählt hat. Es ist schon schwer genug, »normale« Wissenschaft im Kino einigermaßen korrekt darzustellen. Aber wenn es um die Mathematik geht, ist das fast unmöglich. Ohne entsprechendes Vorwissen gibt es so gut wie keine Chance zu verstehen, womit sich die moderne Mathematik beschäftigt. Die goldbachsche Vermutung ist eine Ausnahme: Sie ist einerseits verständlich und andererseits bedeutsam genug, um tatsächlich die Rolle zu spielen, die sie in »Die Gleichung ihres Lebens« übernimmt.
Der Film zeigt recht gut, wie es an mathematischen Instituten tatsächlich zugeht und wie man sich die Forschung dort vorstellen kann. Er kommt trotzdem nicht ohne das eine oder andere Klischee aus. Es stimmt schon, dass man in der Mathematik sehr gerne auf großen Tafeln schreibt. Dass man aber, so wie die Protagonistin Marguerite Hoffmann im kreativen Rausch jede freie Fläche vom Tisch über die Wand bis zu den Fenstern mit Formeln bekritzelt, ist eher der Dramaturgie geschuldet und hat wenig mit der Realität zu tun.
Jeder macht mal Fehler
Auch die Prämisse des Films ist ein wenig weit hergeholt: Bei einem Vortrag findet ein Kollege einen Fehler in Marguerites Beweis, woraufhin sie fluchtartig die Universität verlässt und ein neues Leben ohne Mathematik beginnen will. Das mag für die Regisseurin notwendig sein, um ihre Geschichte zu erzählen. Wenn das aber auch in der Realität so wäre, dann gäbe es schon längst keine Menschen mehr an den mathematischen Instituten dieser Welt, denn Fehler machen wir alle.
Ganz besonders, wenn es um die goldbachsche Vermutung geht. An ihrem Beweis sind bis jetzt noch alle gescheitert, die es versucht haben (an der Widerlegung der Vermutung übrigens ebenso). Mit Computerhilfe konnte bestätigt werden, dass sie für die ersten paar Trillionen Zahlen gültig ist, doch es bleibt weiterhin unklar, ob sie für beliebig große Zahlen gilt.
Ob Marguerite Hoffmann es am Ende schafft, einen Beweis für Goldbachs Vermutung zu finden, oder nicht, möchte ich nicht verraten. Der Film mag zwar hier und da aus mathematischer Sicht ein wenig realitätsfern sein. Die Mathematik ist nur der Hintergrund, vor dem die eigentliche Geschichte erzählt wird. Ich kann den Kinobesuch auf jeden Fall empfehlen. Man wird danach vermutlich keinen Beweis der goldbachschen Vermutung kennen. Aber man wird ein klein wenig besser verstehen, warum die Mathematik auf so viele Menschen eine so große Faszination ausübt und dass diejenigen, die sich damit beschäftigen, am Ende mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie alle anderen.
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