Freistetters Formelwelt: Die Mathematik der Schaltjahre
Die Berechnung des Kalenders war über Jahrhunderte hinweg eine der wichtigsten Aufgaben der mathematischen Astronomie. Um den Überblick über die Zeit nicht zu verlieren, waren (und sind) jede Menge Formeln nötig. Zum Beispiel diese hier:
Das ist die "Mittelpunktsgleichung", und mit ihr berechnet man die Abweichung zwischen der realen Bewegung der Himmelskörper von einer gleichmäßigen Bewegung entlang einer perfekten Kreisbahn um die Sonne. Dazu verwendet man zwei Winkel: die mittlere Anomalie M und die wahre Anomalie V. Die mittlere Anomalie durchläuft gleichmäßig die Werte zwischen 0 und 360 Grad, während sich ein fiktiver Planet ebenso gleichmäßig einmal um die Sonne bewegt. Die wahre Anomalie dagegen gibt den realen Winkelabstand an, den ein Planet von einem bestimmten Punkt hat. Dieser Winkel ändert sich nicht gleichmäßig, da die realen Bahnen der Himmelskörper Ellipsen sind und keine Kreise. Das hat Johannes Kepler zu Beginn des 17. Jahrhunderts festgestellt und gezeigt, dass sich ein Planet umso schneller bewegt, je näher er auf seiner Bahn der Sonne kommt. Wie stark die reale Bahn von einer Kreisbahn abweicht, wird mit der Exzentrizität e gemessen. Die drei Punkte am Ende der Formel zeigen an, dass es sich um eine unendlich lange Potenzreihe handelt, die man beliebig erweitern kann, je nachdem, wie genau das Ergebnis sein soll.
Die Mittelpunktsgleichung benötigt man, wenn man die "ekliptikale Länge" eines Himmelskörpers berechnen will. Das ist eine von zwei Koordinaten, mit denen die Position von Himmelskörpern angegeben wird. Die ekliptikale Länge wird dabei entlang der Ekliptik gezählt, also der scheinbaren Bahn, der unsere Sonne im Lauf eines Jahres am Himmel folgt.
Und die ekliptikale Länge benötigt man, wenn man wissen will, wie lange ein "tropisches Jahr" dauert. Das ist offiziell definiert als der Zeitraum, in dem die mittlere Länge der Sonne um 360 Grad zunimmt. Oder vereinfacht gesagt, die Zeit, die zwischen zwei gleichen Zeitpunkten im Ablauf der Jahreszeiten vergeht. Von einem Sommeranfang zum nächsten beispielsweise oder von der Tagundnachtgleiche im Frühling des einen Jahres bis zu derjenigen des folgenden. Dieser Zeitraum beträgt 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden.
Und genau deswegen ist unser Kalender ein wenig kompliziert. Das Sonnensystem hat uns leider nicht den Gefallen getan, die Erde so zu positionieren, um dem tropischen Jahr eine schöne runde Zahl an Tagen mitzugeben. Die Dauer eines Tages bestimmt sich aus der Rotation der Erde um ihre Achse, und diese geht leider nicht glatt in dem Zeitraum auf, den die Erde für einen tropischen Umlauf um die Sonne braucht. Fast sechs Stunden bleiben übrig – und würden wir sie in unserem Kalender einfach ignorieren, dann würde er irgendwann nicht mehr mit dem realen tropischen Jahr übereinstimmen. Dann steht vielleicht Dezember auf unserem Kalenderblatt, obwohl draußen schon die Pflanzen blühen und alles nach Frühling aussieht.
Deswegen müssen wir entsprechende Korrekturen einfügen: Alle vier Jahre hat sich der Fehler auf fast 24 Stunden summiert, und wir führen einen zusätzlichen Schalttag ein. Damit gibt es aber wieder einen neuen Fehler, weil es eben nur fast 24 Stunden sind und nicht exakt. Wir müssen die Korrektur alle 100 Jahre aussetzen, um den Fehler zu minimieren – und selbst dann passt der Kalender nicht völlig. Alle 400 Jahre verzichten wir also auf die Korrektur der Korrektur und immer noch ist die Übereinstimmung zwischen dem realen Umlauf der Erde um die Sonne und unserem Kalender nicht perfekt. Wir müssen uns mit dem arrangieren, was das Sonnensystem uns vorgegeben hat – aber dank der Mathematik haben wir nun einen Kalender, bei dem wir uns erst im Jahr 4813 wieder um eine weitere Korrektur Gedanken machen müssen!
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