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Warkus' Welt: Die Moral von der Geschichte

Lernen wir aus unserer Geschichte? Und wenn dem nicht so ist: Was hat sie dann überhaupt für einen Sinn?
Revolution in der Heimat

Es gibt gerade heute viele Gründe, sich zu fragen, ob die Menschheit (oder zumindest ein Teil davon) aus ihrer Geschichte gelernt hat. Oder lernt man am Ende bloß aus ihr, dass man nichts aus der Geschichte lernt? Dieser Satz geht zurück auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) und lautet im Original: »Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, daß Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.«

Hegel gilt als einer der wichtigsten Geschichtsphilosophen. Das geht so weit, dass kaum ein Philosoph auch nur das Wort »Geschichtsphilosophie« hören kann, ohne zumindest kurz an ihn zu denken. Aber was soll Geschichtsphilosophie eigentlich sein? Was bringt es, sich über Geschichte den Kopf zu zerbrechen, wenn doch oberflächlich nichts anderes dabei zu holen ist als die Feststellung, dass die Menschen dauernd dieselben Fehler machen?

Philosophie befasst sich mit allgemeinsten Begriffen und Bedeutungsfragen. So kann man fragen: Was ist Geschichte überhaupt, wenn sie mehr ist als eine bloße Folge von zufälligen Ereignissen, ein Flackern menschlicher Aktivität? Und wenn sie mehr ist, hat sie dann auch eine Bedeutung? Einen Sinn?

Geschichte ist Fortschritt

Traditionell stellt man sich unter einem Sinn der Geschichte eine Gerichtetheit vor: eine Richtung, in die sich alles bewegt. Früher war es üblich, das Reich Gottes als Ziel dieser Bewegung zu sehen. Seit spätestens dem 18. Jahrhundert wird Geschichte in der europäischen Tradition in der Regel nicht mehr durch die christliche Brille betrachtet, so dass es anderer Anstrengungen bedarf, sie mit Sinn zu versehen. Er wird seitdem meist darin gesucht, eine Form von Fortschritt in den historischen Ereignissen zu finden – was natürlich auch das Versprechen birgt, dass dieser Fortschritt sich in Zukunft weiterhin fortsetzen könnte. Über die Art des Fortschritts kann man dabei diskutieren; beliebt ist seit jeher, dass dieser in einem Zuwachs an Freiheit und einer Bewegung hin zur allgemeinen Herrschaft des Rechts bestehen soll. (Was »Freiheit« dabei heißen soll, ist nicht trivial und hat einmal eine eigene Kolumne verdient.)

Wenn wir nun versuchen, in der Geschichte eine Vorwärtsbewegung aufzufinden, und dabei akzeptieren, dass wir aus ihr grundsätzlich nichts lernen, dann kann der Fortschritt nicht darin bestehen, dass wir aus der historischen Erfahrung klüger werden. Was die Geschichte ausmacht und vorantreibt, muss sich also gewissermaßen hinter unserem Rücken vollziehen. Dies hat notwendigerweise zur Folge, dass wir in dem, was aktuell um uns herum passiert, nur schwerlich einen Sinn erkennen können. Diesen sehen wir, wenn überhaupt, nur im Rückblick auf die Vergangenheit – wenn wir zum Beispiel den Aufstieg neuer rechtlicher Institutionen aus dem Staub, den Krieg und Revolution aufwirbeln, sehen können. Hegel und seine Zeitgenossen hatten hierzu mit der Französischen Revolution und Napoleons Umsturz der alten europäischen Ordnung ein gigantisches Beispiel vor Augen, das alle ihre Überlegungen zum Thema prägte.

Es gibt übrigens auch geschichtsphilosophische Ansätze, die die Gerichtetheit der Geschichte nicht in einem Fortschritt, sondern in einem Verfall oder einer zyklischen Wiederholung des Immergleichen sehen. Seit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die ausgerechnet in Epochen großen gefühlten geschichtlichen Fortschritts fielen, ist die Vorstellung eines Sinns der Geschichte diskreditiert wie nie zuvor. Zugleich gibt es eine Fülle von empirischen Daten, die aufzeigen, dass sich die materiellen Lebensverhältnisse der Menschheit selten so schnell und stark verbessert haben wie in den vergangenen paar Jahrzehnten. Es wird uns nicht erspart bleiben, die geschichtliche Epoche, in der wir leben, zu durchleben, bevor wir rückblickend bewerten können, welchen Sinn sie vielleicht hatte.

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