Freistetters Formelwelt: Von runden Sandkörnern zur Wahlmanipulation

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Im Dezember 1927 wurde im »Journal of Paleontology« eine Arbeit veröffentlicht, die einen etwas obskuren Titel trägt: »A method of assigning numerical and percentage values to the degree of roundness of sand grains«. Der Autor, E. P. Cox, beginnt seinen Text mit folgender Frage: »How round is a rock?« Das müsse man in der Geologie immer wieder beantworten, zum Beispiel wenn man wissen möchte, wie lange ein Stein der Erosion ausgesetzt war. Aber, so Cox weiter, noch viel schwieriger sei die Antwort auf die Frage: »How round is a sand grain?«
Wie stark gerundet ein Sandkorn ist, kann unter anderem Hinweise darauf liefern, ob das Material durch Gletscher, Flüsse oder Wind transportiert worden ist oder wie stark es der Verwitterung ausgesetzt war. Cox bemängelt, dass die Rundheit bis dahin eher subjektiv bestimmt wurde. Viel besser wäre ein numerisches Verfahren, für das er diese Formel vorschlägt:
Die Rundheit K ist demnach proportional zum Verhältnis der Fläche des Querschnitts eines Sandkorns, geteilt durch das Quadrat seines Umfangs. Noch besser wäre es laut Cox, das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche des Korns zu bestimmen und mit dem einer Kugel zu vergleichen. Doch diese Messung sei in der Praxis aufwändiger, als die Querschnittsfläche zu bestimmen. Bei einem Kreis wäre das Verhältnis von Fläche zum Quadrat des Umfangs gleich π⁄4, die Multiplikation mit 4π ergibt daher einen Wert von K = 1. Oder anders gesagt: Je weniger rund das Korn, desto kleiner ist der Wert von K.
In der Geologie beschäftigt man sich auch heute noch mit der Bestimmung der Rundheit von Objekten. Die Formel von Cox ist aber Jahrzehnte später in einem völlig anderen Kontext aufgetaucht.
Ausgestaltung von Wahlbezirken
1991 veröffentlichten die US-amerikanischen Juristen Daniel Polsby und Robert Popper eine Arbeit mit dem Titel »Compactness as a procedural safeguard against partisan gerrymandering«. Das Phänomen des Gerrymandering bezeichnet die manipulative Einteilung von Wahlkreisen, um einer bestimmten Partei einen Vorteil zu verschaffen. Man zieht die Grenzen so, dass die Stimmen der gegnerischen Gruppe auf möglichst viele Wahlkreise verteilt oder aber auf möglichst wenige konzentriert werden. So kann man dafür sorgen, dass eine Partei mehr Sitze gewinnt, auch wenn sie nicht die Mehrheit der Stimmen erreicht.
Gerrymandering funktioniert natürlich nur bei einem Mehrheitswahlsystem, wo die Person mit den meisten Stimmen gewinnt und alle Stimmen für andere Personen quasi verloren sind. Die Praxis ist vor allem in den USA verbreitet, wo die Wahlkreise nach jeder Volkszählung neu eingeteilt werden. Parteien, die gerade an der Macht sind, nutzen das aus, um ihre Siegeschancen bei den nächsten Wahlen zu maximieren.
Gerrymandering kann verfassungswidrig sein. Um dagegen vorzugehen, muss man allerdings nachweisen, dass ein Wahlkreis tatsächlich entsprechend manipuliert wurde. Polsby und Popper haben darum vorgeschlagen, sich die Form der Wahlkreise anzusehen. Hat ein Wahlkreis eine sehr »ungewöhnliche« Begrenzung, kann dies darauf hindeuten, dass man bei seiner Erstellung gezielt bestimmte geografische Regionen aus- oder eingeschlossen hat, um die gegnerische Partei zu schwächen. Je weniger kompakt ein Wahlkreis ist; je weniger rund er ist, desto stärker der Verdacht auf Gerrymandering. Und die Formel, um das zu berechnen, ist jene, die Cox im Jahr 1927 für seine Sandkörner entwickelt hat.
Im Gegensatz zu den Sandkörnern ist es beim Gerrymandering aber mit der Rundheit allein nicht getan. Auch faire Wahlkreise können eine ungewöhnliche Form haben. Deswegen gibt es bis heute kein eindeutiges Kriterium, um Manipulationen dieser Art nachzuweisen. Sandkörner sind eben doch einfacher als die Politik.
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