Freistetters Formelwelt: Die Theorie von Allem
Wer längere Zeit an einer physikalischen oder astronomischen Forschungseinrichtung gearbeitet hat, bekam mit ziemlicher Sicherheit schon einmal Post von Leuten, die die "Weltformel" gefunden haben wollen. In solchen Fällen ist allerdings ziemlich schnell klar, dass es sich nicht um ernsthafte Wissenschaft handelt. Ob es so etwas wie eine "Weltformel" geben kann und wie sie aussehen könnte, weiß derzeit niemand. Aber eines weiß man: Es handelt sich mit Sicherheit nicht um eine einzelne Formel!
Der populäre Begriff "Weltformel" beschreibt ein Konzept aus der theoretischen Physik: eine hypothetische Theorie, mit der sich alle Phänomene im Universum beschreiben lassen. Etwas treffender ist daher auch die Bezeichnung "Theorie von Allem" oder "Theory of Everything". Und natürlich geht es nicht darum, eine wissenschaftliche Theorie zu finden, mit der sich wirklich "alles" erklären lässt. Sollte die Weltformel jemals gefunden werden, wird man damit weder die Lottozahlen vorhersagen können noch das Ergebnis der nächsten Bundestagswahlen. Sie wird nicht in der Lage sein zu beschreiben, warum zwei Menschen sich ineinander verlieben oder Schokolade so gut schmeckt. Aber sie wird auf einer sehr fundamentalen Ebene tatsächlich alles beschreiben: die Eigenschaften aller Bausteine der Materie und all der Kräfte, die zwischen ihnen wirken können.
Momentan existiert eine Theorie, die fast all das beschreiben kann, aber vieles eben auch nicht. Diese "Weltformel" sieht so aus:
Die Formel beschreibt das so genannte "Standardmodell der Teilchenphysik", und zwar in enorm kompakter Form. Wollte man alle dieser Theorie zu Grunde liegenden Gleichungen komplett ausschreiben, bräuchte man dafür mindestens ein paar Seiten. Die einzelnen Symbole in dieser Formel im Detail zu erklären, würde weit über den Rahmen dieser Kolumne hinausführen – aber sie enthält tatsächlich eine Beschreibung der derzeit bekannten Elementarteilchen und deren Wechselwirkung.
Sie berücksichtigt drei der fundamentalen Kräfte im Universum: die schwache und die starke Kernkraft und den Elektromagnetismus. Nicht berücksichtigt wird allerdings die Gravitationskraft, und so gut wie alle Physikerinnen und Physiker gehen davon aus, dass es neben den im Standardmodell beschriebenen Elementarteilchen noch weitere, bisher unbekannte Teilchen geben muss, mit denen man Phänomene wie zum Beispiel die Natur der "dunklen Materie" beschreiben kann.
Dem Standardmodell fehlt also noch einiges, um zu einer echten "Theorie von Allem" zu werden. Solange noch keine quantenmechanische Beschreibung der Gravitation gefunden ist, wird so eine Theorie auch nicht möglich sein. Entsprechende Ansätze wie zum Beispiel im Rahmen der Stringtheorie (oder alternativer Konzepte wie der Schleifen-Quantengravitation) sind zwar viel versprechend, konnten bis jetzt aber nicht durch Beobachtungen und Messungen bestätigt werden.
Früher oder später wird man vermutlich eine wissenschaftliche Beschreibung des Universums finden, die man zu Recht als "Theorie von Allem" oder "Weltformel" bezeichnen kann. Dabei wird es sich wahrscheinlich um ein sehr umfangreiches und komplexes mathematisches Konstrukt handeln, das ohne Vorwissen nicht leicht zu verstehen ist – was die engagierten Laien aber nicht davon abhält, immer wieder die Entdeckung genau solcher "Weltformeln" zu verkünden.
Mein Favorit unter den mir zugesandten Varianten lautet übrigens s = t x c. Das soll so viel bedeuten wie "Raum ist Zeit mal Lichtgeschwindigkeit". Das klingt verlockend einfach und beeindruckend. Ist aber leider auch komplett nichtssagend und unbrauchbar als wissenschaftliches Modell für irgendetwas. Obwohl man sich ja manchmal schon wünschen könnte, dass das Universum es uns nicht immer ganz so schwer macht und seine Geheimnisse in einer simplen Formel wie dieser offenlegt …
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