Freistetters Formelwelt: Die Überheblichkeit eines Mathematikers prägt das Fach bis heute
Wenn man die Anzahl der natürlichen Zahlen, die kleiner als x sind und sich als Summe zweier Quadrate darstellen lassen, mit S(x) bezeichnet, dann gilt für den Grenzfall, in dem x unendlich groß wird, folgende Formel:
K ist hier die so genannte Landau-Ramanujan-Konstante; benannt nach den Mathematikern Edmund Landau und Srinivasa Ramanujan, die beide unabhängig voneinander auf ihre Existenz gestoßen sind. Der Zahlenwert von K beträgt (näherungsweise) 0,76422365…
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Nun kann man sich fragen, was das alles soll und wozu so eine Konstante gut ist. Von Landau, der die Formel 1908 bewiesen hat, würde man als Antwort vermutlich nur einen verächtlichen Blick bekommen. Er war das Paradebeispiel für die Art von Mathematiker, die nur die reine Forschung gelten lassen und jegliche Anwendung ablehnen. Praxisnahe mathematische Probleme bezeichnete Landau als Schmieröl-Mathematik und sein an Überheblichkeit grenzendes Selbstbewusstsein hat Spuren in der mathematischen Literatur hinterlassen.
Für Landau zählte nur die mathematische Strenge: Zuerst wurden die benötigten Begriffe definiert, dann ein mathematischer Satz aufgestellt und der Beweis dazu geführt. Seinem Vorbild folgen auch heute noch viele Lehrbücher und Vorlesungen, die aus endlosen Wiederholungen der Struktur von »Definition – Satz – Beweis« bestehen. Der Vorteil besteht darin, dass man nichts implizit voraussetzt. Es macht die Mathematik aber nicht unbedingt zugänglich. Gerade die von Landau abgelehnten Beispiele aus der angewandten Mathematik stellen eine didaktisch durchaus brauchbare Verknüpfung zwischen komplexer Abstraktion des Fachs und der leichter verständlichen Welt unseres Alltags dar.
Hat Pi etwa mit Geometrie zu tun?
Selbst die Geometrie war für Landau schon zu nah an der angewandten Mathematik. Er vermied es, irgendwelche geometrischen Aussagen oder Beispiele zu verwenden. In einem seiner Lehrbücher definierte er zum Beispiel die Zahl π als kleinste positive Nullstelle der Sinusfunktion. Und die Sinusfunktion stellte er in Form einer unendlichen Reihe dar. Beides ist mathematisch absolut zulässig und im Kontext der Arbeit von Landau auch sinnvoll. Aber man hätte trotzdem vielleicht erwähnen können, dass diese Zahl eine geometrische Bedeutung als Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreises hat. Oder dass ihr Wert zirka 3,14159… beträgt. Oder dass unzählige Menschen von der Antike bis in die Gegenwart damit beschäftigt waren, die Verbindungen zwischen dieser irrationalen Zahl und vielen natürlichen Phänomenen zu erforschen. Das hätte die Sache anschaulicher gemacht, aber für Landau zählte vor allem, dass die Mathematik korrekt ist. Anschaulichkeit war keine Kategorie, die ihn interessierte.
Trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Konzentration auf die reine Mathematik wurden viele seiner Bücher, vor allem jene, die sich mit den Primzahlen beschäftigten, zu Standardwerken. Sein Name taucht heute noch in vielen Bereichen der Mathematik auf, zum Beispiel bei den »Landau-Symbolen« oder den »Landau-Problemen«. Letztere bezeichnen vier mathematische Aussagen, die Landau auf dem internationalen Mathematikerkongress 1912 aufgezählt hat. Sie beschäftigen sich alle mit Primzahlen und sind bis heute nicht bewiesen. Eine dreht sich darum, ob es unendlich viele Primzahlen gibt, die sich als n2 + 1 (für ganzzahlige Werte von n) schreiben lassen (die so genannte Landau-Vermutung).
Ob und wann diese Probleme gelöst werden, wird sich zeigen. Das »Landau-Problem« der schwer verständlichen mathematischen Texte wird aber vermutlich weiterhin bestehen bleiben.
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