Freistetters Formelwelt: Die unvorstellbare Vielfalt von Dreiecken
Die Eigenschaften von Dreiecken lernt man schon recht früh im Mathematikunterricht. Dazu gehören nicht nur die grundlegenden trigonometrischen Rechenregeln, sondern auch Konzepte wie »Inkreis« und »Umkreis«. Zur Konstruktion des ersten Kreises zieht man zunächst durch jeden der drei Winkel eines Dreiecks eine Linie, die den jeweiligen Winkel halbiert. Die Linien treffen sich in einem Punkt innerhalb des Dreiecks. Ein Inkreis um diesen Schnittpunkt, der eine der Dreiecksseiten berührt, berührt immer auch die anderen beiden Seiten.
Der Umkreis dagegen verläuft durch alle drei Eckpunkte des Dreiecks. Man konstruiert ihn, indem man die Linien zeichnet, die senkrecht auf den Mittelpunkten der Dreiecksseiten stehen. Wieder treffen sich die Linien in einem einzigen Punkt, der den Mittelpunkt des Umkreises markiert.
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Wenn R der Radius des Umkreises ist und r der Inkreisradius, dann gilt für die Entfernung d zwischen ihnen der »Satz von Euler«:
Diese klassischen geometrischen Zusammenhänge sind nichts Neues. Falls Sie sich mit Geometrie auseinandergesetzt haben, wissen Sie wahrscheinlich auch über weitere besondere Punkte im Dreieck Bescheid, zum Beispiel dessen Schwerpunkt oder den Höhenschnittpunkt.
Neues über Dreiecke
Wovon ich aber vor Kurzem zum ersten Mal gehört habe, das sind die so genannten Kimberling-Nummern und die damit zusammenhängende »Encyclopedia of Triangle Centers«. Der US-amerikanische Mathematiker Clark Kimberling hat sich intensiv mit der Geometrie von Dreiecken beschäftigt und begonnen, die dort existierenden speziellen Punkte zu nummerieren. Der Inkreismittelpunkt wird mit X(1) bezeichnet, der Schwerpunkt mit X(2), der Umkreismittelpunkt mit X(3) und der Höhenschnittpunkt mit X(4). Man könnte nun auf die Idee kommen, dass es ein wenig übertrieben ist, extra eine spezielle Notation einzuführen, um nur vier Punkte zu klassifizieren. Doch es existieren deutlich mehr ausgezeichnete Punkte im Dreieck als diese vier.
Mit der Kimberling-Nummer X(5) wird zum Beispiel der Mittelpunkt des Feuerbachkreises bezeichnet. Man erhält ihn, wenn man einen Kreis durch die Mittelpunkte der drei Seiten, durch die Fußpunkte der drei Höhenlinien und die Mittelpunkte der Strecken zwischen den Ecken und dem Höhenschnittpunkt zieht. Man muss sich vielleicht ein Dreieck aufmalen, um die Geometrie zu verstehen, aber eigentlich ist es nicht schwer, sich diesen Kreis vorzustellen.
Ein wenig komplizierter wird es dagegen beim Napoleon-Punkt. Der ist zwar tatsächlich nach dem französischen Kaiser Napoléon Bonaparte benannt; es ist aber zweifelhaft, ob er auch wirklich von ihm entdeckt wurde. Dabei handelt es sich um den Punkt, den man erhält, wenn man über eine Dreiecksseite ein nach außen gerichtetes gleichseitiges Dreieck konstruiert, dessen Schwerpunkt bestimmt, und von dort eine Linie zur gegenüberliegende Ecke des ursprünglichen Dreiecks zieht. Macht man das für alle drei Seiten, dann schneiden sich die Linien in einem Punkt, der als »erster Napoleon-Punkt« bezeichnet wird (den zweiten Napoleon-Punkt erhält man, wenn man die gleichseitigen Dreiecke nach innen zeichnet. In Kimberlings Notation haben diese beiden Punkte die Bezeichnung X(17) und X(18,) was nahelegt, dass es auch die Punkte X(6) bis X(16) geben muss – was der Fall ist.
Ich verzichte darauf, sie alle im Detail zu erklären, denn auch dann wäre die Aufzählung immer noch nicht vollständig. Die ständig erweiterte »Encyclopedia of Triangle Centers« reicht im April 2024 bis zum Punkt X(62552), dessen geometrische Konstruktion den Rahmen dieser Kolumne sprengen würde. Ob all diese Dreieckspunkte einen konkreten Nutzen haben, ist zweifelhaft. Aber das müssen sie ja auch nicht.
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