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Angemerkt!: Die verblogte Welt

Sturm umtost steht der tapfere Reporter und berichtet uns – den Gewalten trotzend – , wie es ist, wenn die Welt um einen herum versinkt. Müssen wir das wirklich wissen? Müssen wir es so wissen?
Richard Zinken
Wo ist der Reporter, der im Vorfeld recherchierte, wie man auf die vorhergesagte Katastrophe zu reagieren gedenkt? Der sich die Notfallpläne zeigen lässt und auf ihre Realisierbarkeit hin abklopft. Wo der Moderator, der Präsident Bush fragt, warum es wichtiger ist, Plünderungen zu verhindern, als Menschen zu retten? Und ob er sich – rein theoretisch natürlich – einen Zusammenhang zwischen Wirbelstürmen und der amerikanischen Klimapolitik vorstellen kann.

Der Sturm umtoste Reporter erwähnt im Halbsatz den Polizisten, der ihn skeptisch und wohl der Plünderung verdächtigend beobachtet. Wahrscheinlich ärgert sich jener aber nur darüber, dass er den tapferen Reporter, der sich ohne Not in Gefahr brachte, später noch wird retten müssen – wenn er denn noch zu retten ist. Denn Sturm umtost versucht der tapfere Reporter den Journalismus zu retten, indem er seine Konkurrenz kopiert und versucht, der bessere Blogger zu sein.

Blogs – das Neuwort für Weblogs, Internettagebücher – sind das Gespenst der modernen Medienwelt. Blogger berichten immer und von überall her, was bei ihnen so alles passiert. Dies ist für die einen Journalismus von unten – jeder sein eigener Herausgeber –, für die anderen nur Selbstdarstellung und Voyeurismus. Blogger lassen uns scheinbar teilnehmen an dem, was sie erleben. Doch der, der schreibt, erlebt nichts. Und der, dem etwas widerfährt, der schreibt nicht. Wessen Haus gerade versinkt, der sitzt nicht am Rechner und erzählt der Welt, wie das so ist. Das macht dann der Nachbar ein paar Meter höher. Und so sind wir letztlich nur die Voyeure der Voyeure.

Blogs sind ein interessanter neuer Kommunikationsweg – Journalismus aber sind sie nicht. Und so pietätlos es erscheinen mag, angesichts des unglaublichen Leids der Betroffenen nach Ursachen, Organisationsmängeln und langfristigen Maßnahmen zu fragen: Was ist pietätvoll daran, sich in der detaillierten, vermeintlich betroffenen Beschreibung individueller Schicksale zu ergehen?

Die Grenze zwischen Voyeurismus und Journalismus verschwimmt in gleichem Maße, wie die Annäherung von Journalismus und Blogs fortschreitet. Sturm umtost muss der tapfere Reporter nun den Rückzug in die Etappe antreten und machen, was er gelernt haben sollte: Recherchieren, Analysieren, Bewerten.

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