Freistetters Formelwelt: Wie ein Blick in den Himmel unser Weltbild umkrempelte
Das im Oktober 1923 erste in Betrieb genommene Projektionsplanetarium der Firma Carl Zeiss Jena faszinierte die Menschen: Der falsche Himmel schien überaus realistisch. Um die Bewegung der Himmelskörper überhaupt an die Kuppel eines Planetariums zu projizieren, muss man sie mathematisch beschreiben können. Das war schon lange vor den Ingenieuren in Jena möglich. Galileo Galilei etwa konstruierte gut 300 Jahre früher ein »Jovilabium«. Im Gegensatz zu einem Planetarium hatte es nur einen sehr speziellen Zweck: die Bewegung der Monde des Jupiters darzustellen.
Galilei kannte damals nur die vier von ihm selbst entdeckten Monde, die heute Io, Europa, Ganymed und Callisto heißen. Und wenn man sich ihre Bewegung genau genug ansieht, findet man schnell eine Besonderheit, die durch diese Formel beschrieben werden kann:
Die Umlaufzeiten der vier Monde Io, Europa (Eu) und Ganymed (Ga) stehen in einem Verhältnis von (nahezu) 4 : 2 : 1. Oder anders gesagt: In der Zeit, die Ganymed für einen Umlauf um den Jupiter braucht, schafft Europa zwei Umläufe und Io vier. So ein Phänomen nennt man Bahnresonanz; wenn gleich drei Himmelskörper beteiligt sind, wird dieser Spezialfall als Laplace-Resonanz bezeichnet.
Im Fall der Jupitermonde bedeutet das, dass sich ihre relative Konstellation nach jedem Umlauf von Ganymed wiederholt. Je nachdem, wie die tatsächliche Stellung der Himmelskörper ist, kann so eine Resonanz einerseits einen stabilisierenden Einfluss auf die Bewegung haben, andererseits können sich die gravitativen Störungen aber auch regelrecht aufschaukeln.
Starke Gezeiten und heftige Vulkanausbrüche
Bei den Jupitermonden passiert das nicht; hier wird vor allem die Bahn von Io, dem innersten Mond, stabilisiert. Da diese Bahn darüber hinaus noch leicht exzentrisch ist, führt das zu einer enorm starken Gezeitenkraft, die auf Io wirken kann. Jupiters große Masse, in Kombination mit den regelmäßigen Änderungen des Abstands zu Io während eines Umlaufs des Mondes, erzeugt eine starke Gezeitenwirkung. Das ist auch der Grund für den sehr aktiven Vulkanismus auf Io, der in dieser Form einmalig im Sonnensystem ist. Jupiter überträgt durch die Gezeitenkraft einen Teil seiner Rotationsenergie in Form von Wärme auf den kleinen Mond, wodurch sich dessen Inneres stark aufheizt und Vulkanismus ermöglicht.
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Davon wusste Galileo Galilei natürlich noch nichts, als er das erste Mal die Jupitermonde durch das Teleskop sah. Doch durch seine Beobachtungen, seine Berechnungen und das Jovilabium fand er bald heraus, dass es sich tatsächlich um Objekte handelt, die den Jupiter umkreisen. Die Erde konnte also nicht der Rotationsmittelpunkt für alle Himmelskörper sein, und Galilei war sowieso der Ansicht, dass sich alle Planeten um die Sonne herumbewegten. Dieses heliozentrische Weltbild setzte sich aber erst einige Zeit später durch; er selbst konnte diese Erkenntnis nicht öffentlich teilen, ohne Probleme mit den (kirchlichen) Autoritäten zu bekommen.
Heute ist klar, dass nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum unseres Sonnensystems ist. Aber auch im modernen Planetarium ist der Blick zu den Sternen ein geozentrischer. Um ein möglichst realistisches Bild des Universums an die Kuppel zu projizieren, müssen wir uns selbst ins Zentrum des Kosmos stellen und zum Mittelpunkt aller Bewegung machen. Dann allerdings – und im Wissen, dass es nur so aussieht, als würde sich alles um uns drehen – gibt es kaum einen besseren Ort, um die Faszination des Nachthimmels zu genießen als ein Planetarium. Heute ebenso wie vor 100 Jahren.
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