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Künstliche Intelligenz: Ein Turingtest für Espressomaschinen

Werden lernfähige Maschinen dem Menschen bald den Rang ablaufen? Gut möglich, dass man die Technik damit überschätzt, meint unser Autor. Ein Essay.
Wer macht den besseren Kaffee: Roboter oder Mensch?

Seit Alan Turing vorschlug, eine Maschine zu bauen, die fähig ist, uns in einem Maße zu imitieren, dass wir sie nicht mehr von einem Menschen unterscheiden können, reißt die Diskussion nicht ab, worin uns die Maschine denn nicht ebenbürtig sei oder sein werde. Die Frage ist trickreich, denn was genau der Computer nicht kann, erweist sich als ein Gebiet von schillernder Unbegrenzbarkeit und Beweglichkeit.

Einst war das Schachspiel ein Paradebeispiel – bis Deep Blue den Großmeister Kasparov schlug. Neuerdings geschah dasselbe bei Go: Das Programm AlphaGo besiegte Lee Sedol, einen der stärksten Spieler der Welt. Selbst im kompetitiven, von den Möglichkeiten her ausufernden Computerspiel »Starcraft 2« wies die künstliche Intelligenz vor Kurzem professionelle Spieler in die Schranken. Man darf mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass noch weitere Vermögen, die bisher als allein dem Menschen vorbehalten galten, auch der Maschine zugesprochen werden können.

Inselbegabung der Algorithmen

Nun lässt sich allerdings argumentieren, dass der Computer seine Exzellenz bisher als intelligente Inselbegabung demonstriert hat, weshalb man das Interesse vielleicht eher von der Intelligenz zum Geschmack, von der Berechnung zur Empfindung richten müsste. Und hier bietet sich die Espressomaschine als ein geeignetes Untersuchungsobjekt an. Schlägt sie uns in der Kaffeezubereitung?

Genauer gefragt: Übernimmt sie alles, was den traditionellen Barista auszeichnet? Es gibt ja auch eine Barista-Weltmeisterschaft, und man könnte sich – analog zum Turing-Test – einmal versuchshalber vorstellen, dass auch lernfähige Kaffeeautomaten zugelassen wären, die sich mit den Meistern des Aromas messen würden.

Schon heute lässt sich exquisiter Kaffee vollautomatisch zubereiten. Und das beruht darauf, dass es Rezepte – Algorithmen – für diese Zubereitung gibt. Sie ist in dem Maße automatisierbar, in dem man angeben kann, von welchen Variablen sie abhängt: Art der Kaffeebohnen, ihre Mischung, Röstung, Mahlgrad, Temperatur, Druck, Härtegrad und Durchflussgeschwindigkeit des heißen Extraktionswassers – allesamt Parameter, die man in ein Kaffeezubereitungsprogramm einbauen kann. Ein versierter Barista braucht diese Parameter nicht explizit anzugeben, er »inkarniert« sie quasi in seiner Kenntnis und Fertigkeit.

Weisheit lässt sich nicht vollständig ausbuchstabieren

Und exakt hier beginnt das Problem. Die inkarnierte Weisheit ist nie vollständig ausformulierbar. Wenn wir den Barista fragen, was genau er nun eigentlich »wisse«, um seinen wundervollen Kaffee zuzubereiten, wird er in Verlegenheit geraten; vielleicht wird er behelfsmäßige Anleitungen geben, vielleicht auch vielsagend schweigen und mit der Schulter zucken: Berufsgeheimnis.

Die Reproduktion von Intelligenz im Sinne der schwachen KI gelingt mittlerweile in einem atemberaubenden Ausmaß.

Das hat weniger mit Geheimnistuerei zu tun als mit dem besonderen Charakter der Meisterschaft: Sie lässt sich nicht restlos rational erfassen – zumindest dann nicht, wenn man so etwas Subjektives wie den menschlichen Geschmack treffen muss. Sie beruht in vielen dieser Fälle eben, wie man sagt, auf implizitem, nicht delegierbarem Wissen. Und wie soll man solches Wissen dem Computer weitergeben?

Sicherlich kann man argumentieren, dass Algorithmen, die menschliche Kunstwerke imitieren, bereits ansprechende Bilder malen können. Aber machen diese Programme wirklich mehr, als den Stil von Menschen zu imitieren? Das ist eine Knacknuss, die das Zeug zu fundamentalistischen Meinungsverschiedenheiten hat.

Es gibt in der Gemeinde der Künstlichen-Intelligenz-Forschung zwei grundsätzlich verschiedene Glaubensbekenntnisse. Das eine lautet: Automaten können intelligentes Verhalten produzieren. Das heißt, wir müssten ihnen in einem maschinenspezifischen Sinn »Intelligenz« attribuieren, so wie wir das bei Menschen – aber auch bei Tieren, wenn nicht sogar Pflanzen – tun. Darin ist explizit die Transferfähigkeit enthalten, also die Fähigkeit, vorhandenes Wissen auf unbekannte Situationen zu extrapolieren. Das ist das Bekenntnis der starken KI.

Singularität oder friedliche Koexistenz?

Das andere Bekenntnis lautet: Automaten können intelligentes Verhalten reproduzieren. Das heißt, sie sind zu vielem fähig, was beim Menschen Intelligenz voraussetzt, ohne dass man nun sagen würde, die Maschine sei intelligent. Ein Taschenrechner führt arithmetische Operationen durch, die vom Menschen, zumindest in der Lernphase, eine bestimmte Intelligenz erfordern. Aber der Rechner ist nicht intelligent, er reproduziert intelligentes Verhalten. Das ist das Bekenntnis der schwachen KI.

Beide Konfessionen hängen verschiedenen Zukunftsvisionen an. Die starke KI sieht eine Zeitschwelle voraus – die der so genannten Singularität –, bei der sich eine künstliche Superintelligenz von uns abkoppeln und in das Stadium einer eigenen postbiologischen Evolution treten wird. Die schwache KI ist weniger überschwänglich und fasst das realistische Szenario einer Koevolution von Mensch und Computer ins Auge, bei der Maschinen uns bloß immer mehr unliebsame Aufgaben abnehmen.

Die Reproduktion von Intelligenz im Sinne der schwachen KI gelingt mittlerweile in einem atemberaubenden Ausmaß, wie nicht zuletzt die Erfolge mit neuronalen Netzen zeigen. Wir delegieren heute unzählige Aufgaben, die einen hohen Grad an menschlicher Intelligenz erfordern, an smarte Geräte. Die Frage ist: Wie kommt man von ihr zur starken KI? Ab wann können wir von einem Artefakt sagen, es reproduziere nicht einfach Intelligenz, sondern schlicht, es sei intelligent, also ein echter kognitiver Akteur?

Der Verdacht regt sich bei nicht wenigen Wissenschaftlern und Philosophen, dass man hier vielleicht eine falsche Fährte verfolgt. Könnte es sein, dass Intelligenz nicht etwas ist, das man konstruiert, sondern etwas, das sich evolutiv herausbildet? So gibt es durchaus Algorithmen, die quasi-evolutionäre Prozesse durchlaufen und auf diese Weise lernen. Sie stellen jetzt die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einer künstlichen Evolution und einer natürlichen?

Das ganze Universum ein Algorithmus?

Es gibt Philosophen, zuvorderst Daniel Dennett, die in der ganzen Evolution einen heimlichen blinden Algorithmus, jenen der Mutation, Selektion und Adaptation wirken sehen. Welche Stoffe dieser Algorithmus wo und wann immer vorfindet, er formt aus ihnen blind etwas ganz Besonderes, er schafft wunderbarerweise eine Plethora von Organismen, die unsere Fassungskraft übersteigt. Was wiederum einige Wissenschaftler, etwa den Informatiker Seth Lloyd oder den Astrobiologen Caleb Scharf, zur überschwänglichen Spekulation verleitet, das ganze Universum sei der verborgenen Legislative eines kosmischen Algorithmus’ unterworfen.

Was man auch von solchen Gedankenflügen halten mag, spätestens hier ist die Bodenhaftung für einen nüchternen Blick angesagt. Bleiben wir also bei der Espressomaschine. Zuerst einmal: Wenn ich verstehe, wie ein guter Espresso zubereitet wird, dann weiß ich noch nicht, wie er schmeckt und wie er bei unterschiedlichen Menschen ankommt. Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Konzepten von Wissen zu tun. Wir können uns ja durchaus einen künstlichen Barista ausdenken, der alles bisherige Wissen über Kaffeezubereitung speichert.

Ein neuronales Netz lernt aus riesigen Datenbanken über Physik des Kaffeekochens, Chemie der Aromen, Physiologie und Kunst der Kaffeezubereitung – und kann nach langem Training einen Kaffee kochen, der dieselbe Konsistenz hat wie der eines erfahrenen Barista. Der künstlich-intelligente Kollege »weiß« also durchaus etwas über Kaffeezubereitung, aber nicht in menschlicher Perspektive. Was bedeutet das?

In den Genuss eines Espressos fließen unzählige minimale Zufallsfaktoren ein, von der Anbauart der Kaffeebohne bis zur Schulung des individuellen Geschmacks. Der Automat mag lernen, immer mehr solche Faktoren in seine »Erfahrung« einzubauen. Aber was den Barista unterscheidet, ist die bereits erwähnte »Inkarniertheit« seiner Erfahrung. Dieser Unterschied wird in Philosophenkreisen unter dem Titel der »Qualia« – also der subjektiven Innenansicht einer Erfahrung – diskutiert.

Es geht darum, dass wir die Verführungskraft der Algorithmus-Metapher hinterfragen.

Vielen erscheint sie als abgehoben, aber im Grunde ist sie nicht abgehobener als der Anspruch der Computeringenieure, eine Maschine mit Innenleben – »Bewusstsein« – zu bauen. Dagegen sperrt sich in uns eine robuste Intuition, die schon Leibniz in sein berühmtes Mühlengleichnis gefasst hatte. So wie wir im Innern einer Mühle nur Mechanik, so werden wir im Innern einer Maschine nur Elektronik antreffen, kein Bewusstsein, kein Empfinden, keine subjektive Erfahrung.

Können Maschinen »körpergewordenes« Wissen haben?

Spätestens hier muss man sich dem Einwand stellen: warum eine geschmacksfähige Espressomaschine bauen? Was soll überhaupt diese Frage, ob der Computer je subjektive Zustände haben könne? Genügt es nicht, wenn er bestimmte intelligente Leistungen erbringt, ob mit oder ohne »Innenleben«? Und könnte es nicht auch sein, dass der Computer maschinenspezifische Züge der Intelligenz entwickelt, die buchstäblich unsere Biologie transzendieren? Gibt es nicht bereits Anzeichen dafür, dass künstliche Systeme ihre eigene Intelligenz und ihr eigenes »implizites« Wissen manifestieren, etwa wenn neuronale Netze »von selbst« Spielstrategien aushecken, auf die der Mensch nicht gekommen ist?

Der Einwand weist auf eine wichtige Differenz im »impliziten Wissen« hin. Beim neuronalen Netz handelt es sich um Ergebnisse, die uns verborgen sind, weil wir nicht mehr die nötige Einsicht in die vernetzten Schichten algorithmischer Prozeduren haben. Wenn wir beim Menschen vom impliziten Wissen sprechen, dann meinen wir »körpergewordenes« Wissen: Wissen, das in uns auf Grund unserer Erfahrung und Wechselwirkung mit der Umwelt quasi physisch sedimentiert. Dieses Wissen äußert sich in allen Fähigkeiten, die sich der Mensch im Laufe der Gattungs- und der Individualgeschichte aneignet.

Anders gesagt: Wir landen mit unserer Problematik bei der Differenz zwischen nicht-biologischer und biologischer Intelligenz. Letztere zeichnet sich aus durch eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Ambiguitätstoleranz – und die Fähigkeit, die Grenzen des Systems zu sprengen. In biologischer Intelligenz erkannte schon Descartes das zentrale Kriterium, das uns von der Maschine unterscheidet: Situationen zu erkennen, aus ihnen zu lernen, die Vorteile abzuschätzen und zu nutzen.

Für den Barista heißt das, dass er an einem trüben Apriltag vielleicht einen anderen Espresso zubereitet als an einem klaren Wintertag, ohne dass er sich dessen wirklich bewusst ist. Er erkennt am Geruch, wenn eine Packung Bohnen falsch etikettiert wurde oder zu lange im Kühlfach lag. Einer Italienerin kocht er vielleicht einen anderen Espresso als einem Franzosen, ohne groß darüber nachzudenken.

Sein elektronischer Kollege müsste das auch tun, um ihm das Wasser zu reichen. Das müsste aber freilich geschehen, ohne dass die Programmierer die Maschine auf diese Möglichkeiten trainiert haben oder überhaupt die Variablen »Wetterempfinden«, »wahres Bohnenaroma« oder »Kundennationalität« in der Software auftauchen. Das wäre das herausstechende Leistungsmerkmal eines Gerätes, das es über das bloß smarte Artefakt hinausheben würde – wir haben es bisher nicht gefunden.

Es geht bei der ganzen Diskussion gar nicht um die Frage, was alles der Computer noch können wird. Es geht darum, dass wir die Verführungskraft der Algorithmus-Metapher hinterfragen. Wir leben heute in einer Infosphäre, wo Artefakte unsere Aktivitäten übernehmen, ohne dass man begründet sagen könnte, diese künstlichen Akteure besäßen Intelligenz, Verständnis, Gefühlszustände, semantische Fähigkeiten wie wir Menschen.

Die Gefahr besteht eher darin, dass wir Menschen Intelligenz, Verständnis, Gefühlszustände, semantische Fähigkeiten in dem Maße zu verlieren drohen, in dem wir sie an Automaten delegieren. In diesem Sinn fungiert die Espressomaschine als Memento, in einer Welt immer smarterer Maschinen uns auf jene smarte Maschine zu besinnen, die wir im Körper unser natürliches Eigen nennen.

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