Freistetters Formelwelt: Eine Erfolgsformel für Weihnachtsgeschenke?
Das passende Geschenk für eine Person zu finden, ist schwierig. Besonders zu Weihnachten, wo man nicht ja nicht nur Präsente bekommt, sondern auch welche überreichen möchte. Ein Geschenk zu machen, das der beschenkten Person nicht gefällt, ist unangenehm. Deshalb wäre es schön, wenn es eine mathematische Formel gäbe, die einem weiterhilft. Eine derartige Gleichung gibt es tatsächlich – und sie lautet:
PP= (Z x 2) + B + A – PW + EM
Sie sieht auf den ersten Blick wie echte Mathematik aus: Zahlen, Symbole und Buchstaben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass diese Formel nichts mit Mathematik zu tun hat. Denn übersetzt man die Symbole in die damit gemeinten Ausdrücke, liest sich die Formel so: Das perfekte Präsent (PP) ist zweimal Zuhören (Z) plus Beobachtung (B) plus Aufwand (A) minus persönliche Wünsche (PW) plus Empathie (EM). Das macht natürlich überhaupt keinen Sinn. In einer seriösen mathematischen Formel stehen die Buchstaben meistens für Variablen oder Konstanten, sind also Symbole, die Platzhalter für Zahlen darstellen. Aber welche Zahl soll man für das "Zuhören" einsetzen? Wie soll man "Zuhören" mit 2 multiplizieren, und wie soll man "Persönliche Wünsche" von irgendwas subtrahieren? Und so weiter ...
Diese Pseudoformel entstammt natürlich keiner echten mathematischen Forschung. Sie wurde von einer britischen Kaufhauskette "entwickelt". Es ist nachvollziehbar, dass ein Anbieter in der Weihnachtszeit Interesse an Werbung und öffentlicher Aufmerksamkeit hat. Weniger nachvollziehbar ist es, dass er diese Aufmerksamkeit in Form einer angeblich mathematischen Formel sucht. Und noch unverständlicher ist die Tatsache, dass viele Medien solche Nonsense-Formeln ernst nehmen, darüber ernsthaft berichten und der Kaufhauskette so den Wunsch nach kostenloser Werbung erfüllen.
Unsinnige "Formeln" dieser Art finden sich leider immer wieder in den Medien. Die gleiche Kaufhauskette hat zum Beispiel auch schon "Gleichungen" für die Zubereitung des perfekten Pfannkuchens oder für das korrekte Öffnen eines Knallbonbons veröffentlicht. Sie folgen immer dem gleichen Muster: Eine eigentlich triviale Aussage – in diesem Fall "Wer ein gutes Geschenk machen will, muss der zu beschenkenden Person zuhören, sie beobachten, sich Mühe geben, einfühlsam sein und seine eigenen Wunschvorstellungen zurückstellen" – wird auf sinnfreie Art durch Buchstaben ersetzt und mit mathematischen Symbolen garniert.
So kann man die Trivialität der Aussage verschleiern, sie durch den Anschein einer mathematischen Notation künstlich verkomplizieren und den Eindruck erwecken, sie wäre das Ergebnis echter wissenschaftlicher Forschung. Der eigentliche Zweck der Mathematik wird hier in sein komplettes Gegenteil gekehrt. Mathematik ist dazu da, komplexe Dinge logisch widerspruchsfrei und nachvollziehbar zu beschreiben und dadurch Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen, die ansonsten viel schwerer sichtbar werden. Hier aber macht man simple Dinge unnötig kompliziert. Man bestätigt das Vorurteil, die Mathematik wäre eine undurchschaubare Disziplin, und präsentiert der Öffentlichkeit ein Zerrbild dessen, was das Fach eigentlich ist.
Unkritische Medien lassen sich absurde Schlagzeilen der Form "Wissenschaftler finden die Formel für das perfekte Weihnachtsgeschenk" natürlich nicht entgehen und spielen das Spiel der schlechten PR bereitwillig mit. Wer sich von der Lektüre so eines Artikels tatsächlich erhellende Erkenntnisse über die Auswahl von Geschenken erhofft hat, wird enttäuscht und mit der Meinung zurückbleiben, dass Mathematik ja doch nur unsinniges Formelwerk produziert.
Mathematik kann viel! Mit ihr lässt sich die Welt auf eine einzigartige Weise verstehen. Aber manche Dinge lassen sich eben nicht als Formel aufschreiben. Schon gar nicht auf die absurde Weise, wie es die Nonsense-Formeln der Werbung vorgeben zu tun. Wer das passende Weihnachtsgeschenk sucht, wird sich weiterhin selbst Gedanken darüber machen müssen.
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