Freistetters Formelwelt: Eine Formel für den Schuss ins All
Vor Kurzem habe ich eine Freundin dabei begleitet, wie sie ihre Tochter aus dem Kindergarten abgeholt hat. Zu Hause hat die Vierjährige stolz ein selbst gezeichnetes Bild einer Rakete präsentiert. Der Flug ins All und die dafür nötigen technischen Geräte üben auf Kleinkinder eine große Faszination aus. Um zu verstehen, wie eine Rakete funktioniert, braucht man aber mehr als das, was man im Kindergarten lernt. Nicht viel mehr allerdings; die so genannte Raketengrundgleichung kann man schon mit simpler Schulmathematik verstehen:
Der mathematische Zusammenhang zwischen der Masse einer Rakete und ihrer Geschwindigkeit wurde schon 1903 von Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski aufgestellt. Der Russe studierte zwar Physik und Astronomie, arbeitete aber nie als Wissenschaftler, sondern als Mathematiklehrer in der russischen Provinz. So wie die Kinder heute, träumte aber auch Ziolkowski vom Flug ins All und ließ sich von der frühen Sciencefiction-Literatur und den Büchern Jules Vernes inspirieren. Ursprünglich stellte er sich gewaltige Türme vor, die von der Erde bis in den Weltraum reichten. Dann aber wandte er sich den Raketen zu.
Der Höhepunkt seiner Arbeit war die obige Gleichung. Ziolkowski erklärt darin, wie die Geschwindigkeit einer Rakete von ihrer Masse abhängt. Damit eine Rakete aber überhaupt fliegen kann, darf ihre Masse nicht konstant bleiben. Sie muss kontinuierlich so genannte Stützmasse ausstoßen und bewegt sich dann so, wie im dritten newtonschen Gesetz beschrieben: in die der Ausstoßrichtung entgegengesetzten Richtung.
Die Geschwindigkeit v einer Rakete hängt nun einerseits von der Grundmasse m0 ab, also dem Gesamtgewicht von Treibstoff, Nutzlast und Strukturmasse und andererseits von der Geschwindigkeit vg, mit der sie ihren Treibstoff ausstößt. Je mehr Treibstoff sie im Flug abbaut, desto geringer wird ihre Restmasse m und desto höher ihre Geschwindigkeit v und zwar auf die Art und Weise, die Ziolkowski in seiner Gleichung beschrieben hat.
Warum Raketen mehrere Stufen haben
Die Gleichung mag simpel wirken, trotzdem vermittelt sie ein paar fundamentale Prinzipien der Raumfahrt. Da zur Beschleunigung der Rakete eine große Menge Treibstoff mitgeführt und ausgestoßen werden muss, ändert sich die Masse der Rakete im Lauf der Zeit stark (anders als etwa bei einem Auto, wo der Treibstoff im Verhältnis zur Masse des Fahrzeugs kaum ins Gewicht fällt). Ignoriert man die sich beständig verändernde Masse einer Rakete, kann man ihr Verhalten auch nicht korrekt beschreiben.
Man erkennt außerdem, dass die zu erreichende Endgeschwindigkeit umso größer wird, je höher die Geschwindigkeit ist, mit der der Treibstoff ausgestoßen wird. Die Endgeschwindigkeit hängt aber darüber hinaus noch stark von der Restmasse ab, die die Rakete hat, wenn der Treibstoff komplett ausgestoßen ist: Je kleiner sie ist, desto schneller wird die Rakete. Leider lässt sich die Restmasse nicht beliebig verkleinern. Denn die Nutzlast, die einen beträchtlichen Teil dieser Restmasse ausmachen kann, muss an Bord bleiben, denn gerade die will man ja in den Weltraum transportieren. Bleibt nur eine Verringerung des Strukturmaterials, also der Masse, aus der die Rakete selbst besteht.
Genau das ist auch der Grund, warum moderne Raketen immer aus mehreren Stufen aufgebaut sind. Ist der Treibstoff in einer Stufe komplett ausgestoßen, wird auch der entsprechende Teil der Raketenstruktur komplett vom Rest getrennt. Die verbleibenden Stufen können dann mit ihrer geringeren Masse stärker beschleunigen. Die gewaltige Saturn-V-Rakete, mit der die NASA Menschen zum Mond schickte, bestand aus drei Stufen. Nur 133 der fast 3000 Tonnen Startmasse dieser Rakete waren Nutzlast.
Echte Raketenwissenschaft ist enorm kompliziert, und der Bau eines solchen Raumfahrzeugs ist eine technische Herausforderung. Ein Glück, dass Raketen ihre Faszination behalten, auch wenn die Kleinkinder längst erwachsen sind.
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