Eine Prise Chemie: Achtung, dieser Text enthält Glutamat!

Unser Essen steckt voller chemischer Details: Leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe kommen zusammen und vollführen faszinierende Reaktionen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« klären wir, wie viele Bananen ein zuckerfreier Kuchen verträgt, warum abgestandener Kaffee so übel schmeckt oder wie man bäckt, ohne Acrylamid herzustellen.
Wenn Sie Glutamat nicht vertragen, dann sollten Sie jetzt schnell handeln. Gehen Sie in Ihre Küche: Finden Sie Tomaten, Zwiebeln oder Knoblauch? Ist im Kühlschrank Gruyère oder gar Parmesan? Steht im Schrank eine Flasche Sojasoße bereit? Nehmen Sie alles und werfen Sie es in den Müll. Ach ja, und den luftgetrockneten Schinken können Sie auch gleich entsorgen.
Natürlich ist das stark untertrieben, es gibt noch viel mehr Lebensmittel, die Glutamat enthalten. Der Stoff begleitet uns, seit wir essen (also schon immer). Wir finden ihn vor allem in frischen Früchten, Gemüse und Pilzen, aber auch in gereiften Lebensmitteln wie fermentierten Milch- oder Sojaprodukten wie Käse oder Tofu sowie in geringeren Mengen in Fleisch und Fisch. Und in Form von Natriumglutamat als zugesetzte Würze in Speisen – und hier beginnt eine spannende Geschichte.
Vielleicht nahm sie mit einem Scherz ihren Anfang – genau weiß man das nicht, vielleicht war es auch ernst gemeint –, jedenfalls gab ein Leserbrief den Startschuss. Im Jahr 1968 veröffentlichte ein gewisser Robert Ho Man Kwok einen solchen in der Fachzeitschrift »New England Journal of Medicine«. Er beschrieb, wie ihn nach dem Besuch chinesischer Restaurants regelmäßig Beschwerden heimsuchten: Taubheit im Nacken, allgemeine Schwäche und Herzklopfen. Ob das anderen auch so gehe? Der Verfasser spekulierte über die Ursachen und erwähnte dabei unter anderem Natriumglutamat. Immerhin hatte er gleich einen Namen für die seltsamen Symptome parat: »Chinarestaurant-Syndrom«.
Dies war wie gesagt ein Leserbrief, keine wissenschaftliche Studie. In der Folge entspann sich eine rege Diskussion: Zahlreiche Ärzte tauschten sich in der Leserbrief-Rubrik des besagten Journals anschließend darüber aus, welche Leiden sie sonst noch mit chinesischem Essen in Verbindung brachten (es gab aber auch solche, die sich über die Idee lustig machten). Seither haben Fachleute in einer Vielzahl von Veröffentlichungen untersucht, ob sich Glutamat nachteilig auf die Gesundheit auswirkt. Alles Mögliche wurde in Betracht gezogen, von Kopfschmerzen und Migräne über Hautausschlag bis Asthma. Kleiner Spoiler: Nichts davon ist wissenschaftlich haltbar. Bis heute gibt es keinen Nachweis, dass Glutamat irgendwelche Gesundheitsbeschwerden hervorruft. Möglicherweise war das Ganze nur der Scherz eines Mediziners, der etwas außer Kontrolle geraten ist.
Wie man überhaupt auf Glutamat als Verursacher kam, ist an sich eine gute Frage. Die Substanz ist das Anion der Glutaminsäure, einer von 20 Aminosäuren, aus denen menschliche, tierische und pflanzliche Proteine aufgebaut sind. Im Körper liegt sie als Glutamat vor. Auch der menschliche Organismus stellt es her, es wird zum einen wieder in Proteine eingebaut und dient zum anderen als Vorstufe für andere Aminosäuren. Glutamat steckt damit potenziell in allen Lebensmitteln, die Protein enthalten. Vor allem frisches Gemüse, Fermentiertes oder lange gereifter Käse enthalten das Molekül darüber hinaus in freier Form. Freies Glutamat kennt man außerdem unter der landläufigen Bezeichnung »Geschmacksverstärker«, es kommt als Zusatz in fertigen Lebensmitteln oder in der Küche zum Einsatz.
Hauptsächlich in der asiatischen Küche, denken jetzt wohl viele – und das war auch der (unberechtigte) Stein des Anstoßes. Vermutlich assoziiert man Glutamat deshalb oft mit asiatischen Gerichten, weil es dort explizit als Zutat verwendet wird. Der japanische Chemiker Kikunae Ikeda isolierte die Substanz im Jahr 1908 aus Algen und gab dem charakteristischen Geschmack den Namen »umami«. Anschließend gründete er eine Firma, die seither Mononatriumglutamat als Geschmacksverstärker verkauft. Doch Rezepte aus aller Welt bedienen sich der Substanz ebenfalls, nur ist das nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Bei uns findet man in den Supermarktregalen zwar keine Glutamatstreuer, dafür aber Maggi-Würze, Hefeextrakt oder Brühwürfel. Und die schmecken alle deshalb so herzhaft, weil sie Glutamat enthalten.

Dessen charakteristischen Umami-Geschmack zu beschreiben, fällt vielen schwer. Der japanische Name ist ein Kunstwort und heißt übersetzt in etwa »leckerer Geschmack«; ich bin der Meinung, dass die Bezeichnungen »deftig« oder »herzhaft« es ganz gut treffen. Die Note begegnet uns als Grundton einer sättigenden Rinder- oder Gemüsebrühe, in gebratenem Fleisch, in einem Fond aus gebratenen Pilzen, in Sojasoße, aber auch in Tomatensoße oder den schon erwähnten Käsesorten. Viele nutzen die appetitlich-sättigende Wirkung unbewusst: Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass wir zu Hause Brokkoli gern mit geriebenem Parmesan verfeinerten. Ein klassischer Fall, wie Glutamat als Geschmacksverbesserer und -verstärker wirkt!
Achtfaches Geschmackserlebnis
Und der Stoff kann noch mehr: In Kombination mit bestimmten Lebensmitteln schmeckt er vielfach intensiver. Besonders effizient funktioniert das bei Speisen, die Ribonukleotide (die Bausteine der RNA) enthalten, etwa Fleisch. Fügt man zu einer bestimmten Menge Glutamat dieselbe Menge an Ribonukleotiden hinzu, dann verachtfacht sich die Intensität des Umami-Geschmacks. Obwohl Fleisch vergleichsweise wenig Glutamat enthält, kann es einer Speise so zu besonderer Umami-Würze verhelfen. Diese Verstärkung nutzt man zum Beispiel aus, wenn man eine Zwiebelsuppe mit Rinderbrühe kocht.
Dass der Mensch die Substanz gezielt schmecken kann, ist kein Zufall. Unser Körper ist grundsätzlich darauf ausgelegt. Auf der Zunge sitzen verschiedene Arten von Rezeptoren, um die fünf Geschmacksrichtungen zu erkennen: Süß-Rezeptoren binden an Zucker, Salzig-Rezeptoren registrieren Natriumionen, Sauer-Rezeptoren reagieren auf Säuren, Bitter-Rezeptoren docken an Gerbstoffe an, und Umami-Rezeptoren registrieren Glutamat. Letztere wurden erst im Jahr 2000 entdeckt, weshalb sie vielen nicht geläufig sind. Forscher vermuten, dass jede Art von Rezeptor dem Körper wichtige Informationen darüber vermittelt, was sich gerade im Mund befindet: Genau wie der Süß-Geschmack darauf hinweist, dass eine Speise Zucker enthält und der Körper mit einer guten Portion Energie rechnen kann, dient Glutamat vermutlich als Indikator für proteinhaltige Speisen.
Glutamat zu schmecken gehört also wie die anderen Geschmacksempfinden zur Grundausstattung des Menschen. Warum sich Mediziner Ende der 1960er Jahre trotzdem auf die Substanz stürzten? Schwer zu sagen. Jedenfalls kochte das Thema hoch, als die »New York Times« auf den ausführlichen Briefwechsel im »New England Journal of Medicine« aufmerksam wurde. Das »Chinarestaurant-Syndrom« wurde auf einmal populär, immer mehr Menschen schienen davon betroffen zu sein. Erste Lebensmittelhersteller und Restaurants begannen, auf den Geschmacksverstärker zu verzichten, und bewarben ihre Produkte mit dem Label »ohne Glutamat«.
Großes Aufheben, kleine Wirkung
Diese Maßnahme half wohl vor allem dem Absatz der Produkte. Denn wir nehmen nur einen kleinen Teil der täglichen Glutamatdosis überhaupt über zugesetzten Geschmacksverstärker auf. Den größten Part, im Durchschnitt zwischen 3,6 und 10,8 Gramm Glutamat täglich, verzehrt ein Mensch in Europa über proteinhaltige Lebensmittel. Wer auf eine besonders proteinreiche Ernährung setzt, nimmt entsprechend mehr auf. Hinzu kommt rund ein Gramm freies Glutamat, wie es vor allem in Obst und Gemüse, Pilzen oder Käse vorkommt. Glutamat als Geschmacksverstärker macht im Schnitt zirka 0,3 bis 0,5 Gramm pro Tag aus. Im Magen-Darm-Trakt wird der Stoff abgebaut.
In Asien steht man dem Einsatz von Glutamat deutlich unvoreingenommener gegenüber, da es Teil der regionalen Küche ist und glutamatreiche Zutaten wie Algen, fermentiertes Gemüse oder Sojasoße zum Speiseplan gehören. 2009 beschrieb der Forscher Ian Mosby das Syndrom in einer Veröffentlichung mit dem Titel »Dieses Wan-Tan-Suppen-Kopfweh« als hauptsächlich soziales beziehungsweise rassistisches Phänomen.
Dabei könnte der Geschmacksverstärker der Gesundheit sogar zuträglich sein. So lässt im Alter das Geschmacksempfinden für Salz nach. Wer einmal Senioren beim Nachsalzen beobachtet hat, sieht rasch, welche Ausmaße das annehmen kann. Zu viel Salz schadet der Gesundheit, vor allem dem Herz-Kreislauf-System. In einer Studie haben Fachleute den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Seniorenheims nun statt der dort gängigen Speisen solche vorgesetzt, die mit Kalziumglutamat versetzt waren. Die alten Menschen salzten daraufhin deutlich weniger nach und gaben an, dass die Gerichte besser schmeckten.
Die Geschichte um die ominöse Wirkung von Glutamat ist damit aber noch nicht zu Ende. Bis heute halten sich die Gerüchte, der Geschmacksverstärker sei schädlich. Manch einer meidet Chinarestaurants aus Angst vor Glutamat (und verpasst damit die Chance, jede Menge grandioser Gerichte kennen zu lernen). Dabei war der ursprüngliche Leserbrief vielleicht sogar ein Scherz: Offenbar hatte es im »New England Journal of Medicine« Tradition, »lustige« Leserbriefe zu allen möglichen Beschwerden zu schreiben. 2007 behauptete der US-amerikanische Arzt Howard Steel sogar, er habe die Zuschrift damals als Witz verfasst; Robert Ho Man Kwok und das Institut, an dem dieser gearbeitet hatte, seien nur erfunden. Seltsamerweise scheinen aber sowohl Kwok als auch das Institut existiert zu haben. Was nun Fakt und was Fiktion ist, lässt sich wahrscheinlich nicht mehr enträtseln. Doch der viel beschworene Zusammenhang zwischen Glutamat und Gesundheitsbeschwerden ist bis heute nicht belegt.
Wer zu Beginn des Textes erschrocken ist, kann also aufatmen und alles wieder aus dem Müll holen. Und, wer weiß, vielleicht gleich noch ein Päckchen Glutamat kaufen und damit in der Küche experimentieren? Guten Appetit!
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