Storks Spezialfutter: Wenn Hausaufgaben freiwillig wären, würde sie keiner machen

In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Zu Beginn ein Versuchsaufbau für alle Lehrerinnen und Lehrer im Land: Die Hälfte von Ihnen gibt den Beschulten als Hausaufgabe bitte bis zur nächsten Stunde einen kurzen Text über das Für und Wider von Hausaufgaben auf. Die andere Hälfte bittet um den gleichen Text, aber nicht als Hausaufgabe, sondern als freiwillige Leistung. Mit dem Zusatz versehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema wirklich wichtig ist und dass Sie sich freuen würden, wenn alle so einen Text ablieferten.
Und noch eine Anregung, diesmal an die Polizei und die Ordnungsämter: Bitte unterlassen Sie künftig das Aufschreiben und Abkassieren von Falschparkern und sämtliche Geschwindigkeitskontrollen. An den Regeln ändert sich nichts: Ein Halteverbot bleibt ein Halteverbot, Zone 30 bleibt Zone 30. Doch statt Bußgeldern und Flensburg-Punkten soll es eine groß angelegte Öffentlichkeitskampagne darüber geben, wie wichtig es ist, dass sich alle stets an die Straßenverkehrsordnung halten.
Alles hypothetisch, aber ich denke, die Ergebnisse wären ziemlich klar: Die Rücklaufquote bei den freiwilligen Hausaufgaben wäre mager, die Halteverbotsplätze blieben dauerhaft zugeparkt und auf den Straßen würde gerast, was das Zeug hält.
Im Prinzip – so würden es wahrscheinlich auch manche Schülerinnen und Schüler in ihren Erörterungen schreiben – ist Freiwilligkeit eine gute Sache. In der Praxis aber lässt sich gewünschtes Verhalten mit verbindlichen Regeln und mit Sanktionen leichter und schneller erreichen.
Neben diesen hypothetischen Beispielen ein konkretes aus der Praxis: Deutschland versinkt in einer Flut von Einwegverpackungen. Deshalb – und weil die EU das Problem mit den To-go-Bechern grundlegend angehen will – wurde zum 1. Januar 2023 die so genannte Mehrwegangebotspflicht eingeführt. Diese »Pflicht« gilt für Kaffeehausketten und große Imbisse und besteht darin, dass neben Einwegverpackungen immer auch Mehrwegverpackungen angeboten werden müssen.
Verbraucherinnen und Verbraucher sollen also die Wahl haben, für welche Verpackung sie sich entscheiden. Gleichzeitig dürfen die Gaststättenbetreiber weiterhin nach Belieben ihr Einwegmaterial anbieten.
Mehrweg? Mehr Müll!
Ist das nun der Anfang vom Ende der Einwegflut? Schauen wir auf die Zahlen. Im Jahr 2023 wurden bundesweit etwa 14,6 Milliarden Einwegverpackungen vertrieben. Oder auch: eine Milliarde mehr als 2022.
Gewiss, die Mehrwegquote hat sich innerhalb des ersten Jahres sogar verdoppelt. Allerdings bleibt sie im mikroskopischen Bereich. Sie erhöhte sich von 0,7 Prozent (2022) auf 1,6 Prozent (2023) – bei Getränken von 4,1 auf 7 Prozent und bei Speisen von 0,1 auf 0,3 Prozent.
Das liegt aber weit entfernt von der Mehrwegquote von mindestens 10 Prozent, die bis 2030 in der Gastronomie erreicht werden soll. Bis 2040 sollen dann 40 Prozent der To-go-Becher durch Mehrwegalternativen ersetzt werden.
Obwohl die Anforderungen der Mehrwegangebotspflicht von Anfang an extrem niedrig gewesen waren, werden sie regelmäßig unterlaufen: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat Ende 2024 in insgesamt 15 Filialen der Ketten Nordsee, Burger King, Kentucky Fried Chicken und Vapiano das Mehrwegangebot getestet. In keiner der Filialen wurde aktiv darauf hingewiesen, dass man alternativ Mehrwegverpackungen nutzen kann. In sieben Filialen waren zudem Mehrwegverpackungen für Speisen oder für bestimmte Getränke gar nicht verfügbar – ein klarer Verstoß gegen die Angebotspflicht.
Tübingen steuert gegen
Einen anderen Weg geht seit 2022 die Stadt Tübingen: Um der Müllflut zu begegnen, wurde eine lokale Verpackungssteuer eingeführt. Einwegverpackungen und Einweggeschirr werden mit jeweils 50 Cent besteuert, für Einwegbesteck beträgt die Steuer 20 Cent.
McDonald's hatte gegen die Steuer geklagt und Ende Januar 2025 in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht verloren. Seit der Einführung der Verpackungssteuer hat sich in Tübingen nach Angaben der Stadt die Zahl der Gastronomen, die Speisen und Getränke in Mehrwegbehältern ausgeben, vervierfacht. Im ersten Jahr nach der Einführung hat die Stadt Tübingen mit der Steuer 950 000 Euro eingenommen. Das Geld wird für die Müllbeseitigung verwendet – und die Mülleimer im Stadtgebiet quellen auch nicht mehr so schnell über.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der damit hergestellten Rechtssicherheit dürfte es in naher Zukunft viele Nachahmer geben: In Konstanz wurde eine Verpackungsabgabe bereits eingeführt, die Städte Heidelberg und Freiburg folgen voraussichtlich noch in diesem Jahr. Nach einer Umfrage der DUH interessieren sich 120 Städte grundsätzlich für die lokal erhobene Steuer.
Die vielen interessierten Kommunen wissen etwas, was man im Bund nicht wissen will: Für die Durchsetzung echter Veränderungen (Mehrwegquote rauf, Müllmenge runter) führen verbindliche Regeln wesentlich schneller zum Ziel als freiwillige Angebote.
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