Treibhaus-Roulette: Das seltsame Wetter des 21. Jahrhunderts
Das Christkind kommt jetzt anscheinend auch im Frühling. Nachdem wir schon im letzten Jahr ermüdend viel von El Niño gehört und gelesen haben, machte das Klimaphänomen Ende März ein unerwartetes Comeback mit Starkregen in Peru. Die extremen Niederschläge sind aber nicht nur das letzte Glied in einer zwei Jahre währenden Kette von ungewöhnlichen Wetterlagen – der "Küsten-El-Niño" von 2017 zeigt vor allem: Seltsames Wetter wird jetzt normal.
Im Oktober 2015 entwickelte sich der Tropensturm Patricia binnen eines Tages vom normalen Tiefdruckgebiet zum stärksten je gemessenen Hurrikan. Bereits im Dezember 2015 überraschte die Arktis mit ungewöhnlich hohen Temperaturen, ein Jahr später war es im Polarwinter so warm, dass noch im November eine Million Quadratkilometer Meereis schmolzen. Heiß war es in beiden Jahren auch im Nahen Osten, mit einem bemerkenswerten Rekord von 54 Grad Celsius in Kuwait.
Zwei irre Jahre
Im Januar 2016 hatte dann die unwahrscheinliche Kombination zweier äquatornaher tropischer Wirbelstürme in Atlantik und Ostpazifik, jeder für sich ein extrem seltenes Ereignis, einen Zeitabschnitt eingeläutet, der sich als Jahr des seltsamen Wetters einen Namen machte. Die Ursache war schnell ausgemacht: Der extreme El Niño war es, und die von ihm gebrachte Hitze brachte das Wetter aus dem Takt. Wenn das Klima-Christkind sich zurückgezogen hätte, würde es wieder normaler werden, waren sich alle einig. Vielleicht würde sich sogar die "Pause" in der Erwärmung wiederholen, die manche Fachleute seit dem letzten großen El-Niño-Ereignis 1997/98 ausgemacht haben wollten.
Nun ist El Niño zurück. Tatsächlich war er wohl nie ganz verschwunden, obwohl der Nationale Wetterdienst der USA zwischenzeitlich sogar schwache La-Niña-Bedingungen vermeldete – das Gegenstück zu El Niño. Doch das warme Wasser im Pazifik, wichtigstes Merkmal der El-Niño-Lage, war nie weg: Während der äquatoriale Zentralpazifik, dessen Temperaturen für die Einstufung der ENSO maßgeblich sind, wieder normal warm ist, hat sich die Hitze des letzten El-Niño-Ereignisses 2015/16 in anderen Teilen des Pazifiks gehalten. Der Ozean um Hawaii und vor der nordamerikanischen Küste ist bis heute ungewöhnlich warm.
Nun stellen Fachleute eine weit reichende Hypothese in den Raum. Das warme Wasser im Pazifik könnte die El-Niño-Bedingungen quasi zurückholen. Schon jetzt lassen warmes Wasser vor der Küste und heftige Regenfälle in den trockenen Bergen Perus die dortigen Behörden wieder von El Niño sprechen, obwohl die offiziellen Kriterien nicht erfüllt sind. Der äquatoriale Pazifik, Ursprungsregion des pazifischen Klimapendels, ist derzeit tief gespalten. Im Osten herrscht das warme Christkind, im Westen dagegen ist das Wasser kalt – Markenzeichen seiner Schwester La Niña.
Wen trifft es als Nächstes?
Ob sich die aktuelle Warmwasserblase vor Südamerika nach Westen ausbreitet und einen "echten" El Niño mit globalen Auswirkungen einleitet, ist noch offen. Es gilt derzeit als relativ wahrscheinlich. Dass zwei dieser Lagen direkt aufeinander folgen, ist für sich genommen extrem ungewöhnlich.
Womöglich ist die pazifische Spaltung ein Anzeichen dafür, dass die alten Regeln nicht mehr gelten. Nördlich des Polarkreises scheint das schon der Fall zu sein. Die Arktisexpertin Jennifer Francis sieht dort einen ganz neuen Teufelskreis am Werk: Seit Jahren vermuten sie und andere Forscher, dass die sich langsam erwärmende Arktis die Windverhältnisse an der Polarfront verändert – und auf diese Weise noch mehr Wärme in die Arktis gelangt. Dieser Effekt, so die Hypothese, führt zu den verhältnismäßig extrem hohen Temperaturen selbst in der tiefsten Polarnacht.
Die Arktis, darauf deutet vieles hin, wird keineswegs die einzige Region mit seltsamen Wetterveränderungen bleiben. Was in den Polargebieten passiert, betrifft mittelbar und unmittelbar die ganze Welt: Auch ungewöhnliche Wetterlagen wie Starkregen in den gemäßigten Breiten führen Fachleute auf Störungen des Windsystems zurück.
Welcher Teil des Klimasystems ist als Nächstes dran? Ganz oben auf der Liste stehen kurzfristige variable Phänomene wie eben El Niño. Seit Jahren spekulieren Fachleute, dass der warme Pazifik in Zukunft der Normalfall sein wird – die Regenfälle in Peru stimmten jedenfalls mit den Vorhersagen gängiger Klimaszenarien überein. Uns in Europa kann das Szenario nicht gleichgültig sein: Auch vor unseren Küsten sind die Wassertemperaturen ungewöhnlich verändert, im Nordatlantik gibt es ebenfalls einen mit der ENSO vergleichbaren Zyklus. Unser Wetter könnte als Nächstes seltsam werden. Genau weiß das leider niemand.
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