Freistetters Formelwelt: Elegant, aber nutzlos
Meine wissenschaftliche Arbeit als Astronom hat sich eigentlich fast immer nur um eine einzige mathematische Formel gedreht. Zwar nicht in jeder Situation direkt – aber am Ende lief es immer auf diese Gleichung hinaus:
Das ist natürlich das Gravitationsgesetz von Isaac Newton – allerdings in einer vielleicht ungewohnten Form. Immer noch gilt: Die Kraft zwischen zwei Objekten hängt von deren jeweiligen Massen, dem Quadrat ihres Abstands und der Gravitationskonstante G ab. In dieser Formel ist die Kraft F aber als Vektor angegeben, um zu verdeutlichen, dass sie nicht nur eine Stärke hat, sondern auch eine Richtung, in die sie wirkt. Ebenso wird der Abstand der Objekte als Differenz von zwei Vektoren r – die die Positionen beider Körper angeben – berechnet. Das Wichtigste hier sind jedoch die beiden Indizes i und j. Sie zeigen, dass es hier nicht zwangsläufig um zwei Objekte geht, sondern um beliebig viele.
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Hat man eine Menge von n Himmelskörpern, die sich gegenseitig durch ihre Gravitationskraft beeinflussen, dann berechnet die Formel die Kraft, die zwischen dem i-ten und dem j-ten dieser Körper wirkt. Unser Sonnensystem mit Sonne und acht Planeten würde demnach einem »N-Körper-Problem« mit n = 9 entsprechen. Um dann etwa die Bewegung der Erde zu berechnen, reicht es nicht, nur die Kraft zwischen Erde und Sonne bestimmen. Man muss auch die zwischen Erde und Venus kennen, zwischen Erde und Mars und so weiter.
Die anderen Planeten bewegen sich aber ebenfalls und werden von Sonne und den restlichen Planeten beeinflusst. Man muss folglich auch die Kraft zwischen Venus und Sonne, Venus und Jupiter, Jupiter und Neptun, Uranus und Merkur und so weiter berechnen. Für jeden Himmelskörper müssen n – 1 Kräfte berechnet werden; insgesamt kommt man auf n (n – 1) / 2 Rechnungen. Im Fall des Sonnensystems also schon 36, und damit ist es noch lange nicht getan.
Wenn tatsächlich nur zwei Himmelskörper vorhanden sind, ist die Sache einfach. Da reicht eine Rechnung, und das Ergebnis legt die Bewegung beider Objekte für alle Zeiten fest. Würde die Erde allein um die Sonne kreisen, könnte man aus Newtons Gesetz eine Formel ableiten, die ihre Position durch einen einzigen Rechenschritt für einen beliebigen Zeitpunkt in Zukunft oder Vergangenheit angibt.
Eine nicht ganz perfekte Lösung
Sie ist aber nicht allein. All die anderen Himmelskörper spielen ebenfalls mit, und alle beeinflussen sich gegenseitig. Schon wenn man es nur mit drei Himmelskörpern zu tun hat, ist es mathematisch nicht mehr möglich, so eine »geschlossene« Lösung zu finden, mit denen die Positionen der Körper exakt und für beliebige Zeitpunkte berechnet werden können.
Auf diese Weise kann man das N-Körper-Problem also nicht lösen; man kann eine exakte Lösung jedoch aus unendlich vielen Rechenschritten zusammenstückeln. Wenn so eine Reihe die richtigen mathematischen Eigenschaften hätte, könnte man damit sogar, wie mit einer geschlossenen Formel auch, die Position der Himmelskörper recht einfach berechnen. Sie muss dazu »gleichmäßig konvergent« sein, und ob sie das im Fall des N-Körper-Problems ist, war lange Zeit unbekannt. Das Problem schien unlösbar, da die Konvergenz dort nicht gegeben war, wo sich zwei Objekte beliebig nahe kommen. Zum Beispiel bei einer Kollision.
1991 aber fand Wang Qiu-Dong von der University of Cincinnati genau dafür eine Lösung. Er veränderte die Zeitkoordinaten so, dass die Probleme erst in der Unendlichkeit auftreten. Anders gesagt: Wenn sich zwei Objekte nahe kommen, werden sie immer langsamer und langsamer und treffen sich erst unendlich spät. Das N-Körper-Problem ist also gelöst. Doch die Lösung ist in der Praxis leider komplett unbrauchbar.
Zum Glück gibt es mittlerweile Computer, die das N-Körper-Problem zwar nicht exakt, dafür aber mit fast beliebiger Genauigkeit näherungsweise lösen können. Ohne dafür unendlich lange zu brauchen: Nützlichkeit schlägt mathematische Exaktheit. Zumindest in diesem Fall.
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