Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die optimale Geschenkverpackung mündet in die Wurstkatastrophe
»Früher gab es bei uns nur Orangen als Geschenk – und wir haben uns darüber gefreut!« Diesen Satz bekommt man manchmal zu hören, wenn eine ältere Person die üppigen Geschenkemassen von heutigen Kindern kritisiert. Was sie dabei selten erwähnen, ist die Geschenkverpackung. Angenommen, Sie wollten fünf Orangen verschenken: Wie würden Sie das Obst anordnen, damit es möglichst wenig Platz und Geschenkpapier verbraucht?
Wie sich herausstellt, verbirgt sich hinter dieser harmlos anmutenden Frage eine Menge Mathematik. Immerhin hat es mehr als 400 Jahre gedauert, um etwas zu beweisen, das Obsthändler seit jeher wissen: dass das optimale Stapeln unendlich vieler Kugeln im dreidimensionalen Raum durch eine Anordnung in Pyramidenform erreicht wird. Diese als »Keplersche Vermutung« bekannte Tatsache wurde erst 1998 gelöst. Ganz anders ist die Lage aber, wenn man nur endlich viele Objekte betrachtet.
Erstaunlicherweise griffen Mathematikerinnen und Mathematiker diese Art von Problem erst Ende des 19. Jahrhunderts auf: Der norwegische Geometer Axel Thue war der Erste, der die optimale Anordnung endlich vieler Kugeln untersuchte. Das war im Jahr 1892. Wichtige Fortschritte in dem Bereich folgten allerdings erst in den kommenden Jahrzehnten, als sich der ungarische Mathematiker László Fejes Tóth (1915–2005) mit dem Thema beschäftigte.
Wie ordnet mal Kreise in der Ebene optimal an?
Um ein besseres Gespür für das Problem zu bekommen, hilft es, zunächst einen vereinfachten Fall zu betrachten. Dafür begeben wir uns ins Flachland und betrachten Kreise in der Ebene. Oder einfacher ausgedrückt: Wir versuchen, mehrere gleich große Münzen möglichst Platz sparend anzuordnen. Dafür umrandet man sie mit einem Stück Schnur, das man fest zusammenzieht, und berechnet die Fläche, die die Schnur einschließt. Für n = 2 Münzen ist die optimale Anordnung schnell gefunden. Man legt sie so hin, dass sie sich berühren. Die kürzeste Schnur, die beide Münzen mit Radius r umfasst, hat dann eine Länge von (4 + 2π)r.
Diese Länge lässt sich am besten abschnittsweise berechnen: Man addiert den geraden Teil der Schnur (4·r) mit den runden Bereichen, die insgesamt einen Kreis einschließen (2πr). Die Schnur umfasst insgesamt eine Fläche von (4 + π)r2; auch diese lässt sich abschnittsweise berechnen. Dass es keine andere Möglichkeit gibt, zwei Münzen platzsparender anzuordnen, ist in diesem Fall offensichtlich.
Hat man hingegen drei Münzen zur Verfügung, gibt es plötzlich zwei verschiedene Anordnungen, die Platz sparend erscheinen: Entweder man reiht sie nebeneinander auf oder man platziert sie entlang der Ecken eines gleichseitigen Dreiecks. Im ersten Fall hätte die Schnur eine Wurstform, weshalb man in der Mathematik von einer Wurstpackung spricht. Den zweiten Fall nennen Fachleute eine Pizzapackung. Doch welche Anordnung ist platzsparender: die der Wurst- oder die der Pizzapackung?
Wie sich herausstellt, ist die Pizzapackung besser: Die Länge dieser Schnur beträgt (6 + 2π)r und die bedeckte Fläche entsprechend (6 + √3 + π)r2, während die Schnur der Wurstpackung (8 + 2π)r lang ist und eine Fläche von (8 + π)r2 eingrenzt. Wenn man genau hinsieht, lässt sich das auch direkt an den Bildern erkennen: Die Zwischenräume der Münzen in der Wurstanordnung sind größer als bei der Pizzapackung.
In zwei Dimensionen gewinnt immer die Pizza
Tatsächlich lässt sich in diesem Fall sogar eine allgemeine Formel für die benötigte Länge der Schnur und der eingegrenzten Fläche angeben. Ordnet man n Münzen in Wurstform an, benötigt man eine Schnur der Länge 4(n − 1 + 2π)r, die eine Fläche von 4(n−1)r2 + πr2 umrandet. Legt man die Münzen hingegen entlang eines Dreiecksgitters aus, dessen Form möglichst einem regelmäßigen Sechseck ähnelt, braucht man bloß eine Schnur der Länge 2(n + π)r, die eine Fläche von (2n + √3(n−2) + π)r2 einschließt.
Damit haben wir gezeigt, dass die Pizzapackung für jede Anzahl von n Kreisen platzsparender ist als die Wurstform. Aber ist sie wirklich immer optimal? Das zu zeigen, ist eine weitaus schwierigere Aufgabe. Schließlich könnte es auch eine völlig chaotische Anordnung von Kreisen geben, die noch weniger Fläche einnimmt. Solche Fälle auszuräumen, erweist sich als extrem schwierig. Tóth hatte 1975 vermutet, dass die optimale Packung von n Kreisen eine Anordnung in einem Dreiecksgitter ist, das die Form eines möglichst regelmäßigen Sechsecks bildet.
2011 konnte der Mathematiker Dominik Kenn zeigen, dass die Vermutung für fast alle n gilt. Und tatsächlich ließ sich auch der Grenzfall beweisen, bei dem man eine unendlich große Ebene mit unendlich vielen Münzen bedeckt: Bereits Joseph Louis Lagrange hatte 1773 herausgefunden, dass die Anordnung entlang eines Dreiecksgitters optimal ist – sofern man nur geordnete Packungen betrachtet. Erst 1940 hat Tóth endgültig gezeigt, dass diese Lösung auch platzsparender ist als jede chaotische Anordnung von Kreisen.
Für wenige Kugeln liegt die Wurst im dreidimensionalen Fall in Führung
Aber wie verhält es sich mit Kugeln? Es wird wohl nicht überraschen, dass der dreidimensionale Fall noch mehr Fragen aufwirft als die optimale Kreispackung. Einen Anhaltspunkt gibt es immerhin: Die Keplersche Vermutung besagt, dass unendlich viele identische Kugeln am besten den dreidimensionalen Raum füllen, wenn man sie wie Kanonenkugeln stapelt. In der ersten Ebene ordnet man sie wie die Münzen im zweidimensionalen Fall entlang eines dreieckigen Gitters an und platziert in der zweiten Ebene eine Kugel in jede Lücke. Die dritte Ebene ist dann wieder identisch zur ersten und so weiter.
Wenn man nur endlich viele Kugeln betrachtet, stellt sich die Situation aber ganz anders dar. Wir sind also zurück beim oben genannten Beispiel von den Orangen, die man in Geschenkpapier einpackt. Hat man bloß eine oder zwei Orangen, ist direkt klar, wie man sie optimal anordnet. Bei drei Stück gestaltet sich die Aufgabe hingegen komplizierter. Man könnte sie in einer Reihe anordnen (Wurstpackung) oder wie zuvor ein Dreieck (Pizzapackung) damit bilden. Man befindet sich also in einer ähnlichen Situation wie mit drei Münzen, nur dass man es nun mit Kugeln zu tun hat. Um herauszufinden, welche Packung in diesem Fall am platzsparendsten ist, kann man die Volumina der beiden Anordnungen miteinander vergleichen.
Dazu hilft es, wieder die Hülle der Kugeln in einzelne geometrische Formen zu zerlegen und deren Volumen zu addieren. Im Fall der Wurstpackung ist das recht einfach: Die Form lässt sich in einen Zylinder und eine Kugel aufteilen, die insgesamt ein Volumen von16⁄3πr3 ≈ 16,76r3 haben. Die Pizzapackung ist da etwas komplizierter: Man erhält drei halbe Zylinder, ein dreieckiges Prisma und eine Kugel, deren Volumen zusammen 13⁄3πr3 + 2√3r3 ≈ 17,08r3 ergibt. In diesem Fall ist die Wurstpackung also deutlich platzsparender. Und wie sich herausstellt, lässt sich die Wurstanordnung auch wirklich optimal verpacken.
Wurst, Pizza oder Cluster: Wie lassen sich Kugeln am besten anordnen?
Nimmt man noch eine Kugel mehr hinzu, also n = 4, unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Anordnungen: Wieder kann man die Kugeln nacheinander aufreihen (Wurst) oder in der Ebene verteilen (Pizza), man kann aber ebenso alle drei Raumdimensionen ausnutzen und sie stapeln (»Clusterpackung«). Auch für vier Kugeln lässt sich beweisen, dass die Wurstpackung optimal ist; sie benötigt das geringste Volumen.
Mit weiteren Kugeln wird es jedoch komplizierter: Fachleute gehen davon aus, dass die Wurstpackung für bis zu n = 55 Kugeln optimal ist – für 56 Kugeln ist aber nachweislich auf einmal eine Clusterpackung platzsparender. Das haben Jörg Wills und Pier Mario Gandini im Jahr 1992 gezeigt. Wie dieser Cluster genau aussieht, ist allerdings unklar: Man konnte zwar eine bessere Anordnung für die Kugeln finden als die Wurst, aber nicht zeigen, dass diese optimal ist. Eventuell gibt es eine andere Anordnung, die noch weniger Volumen einnimmt.
Der abrupte Übergang von einer geordneten eindimensionalen Kette hin zu einem dreidimensionalen Haufen wird in Fachkreisen als »Wurstkatastrophe« bezeichnet. Wills und Gandini konnten beweisen, dass auch Anordnungen mit 59, 60, 61 und 62 sowie alle Sammlungen mit mindestens 65 Kugeln optimalerweise einen Cluster bilden. Bei allen anderen Kugelzahlen, also n < 56 sowie n = 57, 58, 63 und 64 geht man davon aus, dass die Wurstpackung optimal ist. Das heißt: Bei bis zu 55 Kugeln ist mutmaßlich die Wurstpackung optimal, bei 56 Kugeln plötzlich eine Clusterpackung und bei 57 und 58 Kugeln wäre wieder eine Wurst am platzsparendsten – um bei 59, 60 und 61 Kugeln wieder vom Cluster abgelöst zu werden. Das erscheint nicht besonders intuitiv. Und zweifelsfrei beweisen konnte das bisher niemand.
Die Wurstvermutung gilt – zumindest ab der 42-ten Dimension
Mathematiker wären nicht Mathematiker, wenn sie bei drei Dimensionen aufhören würden. Schließlich lässt sich das Problem auch auf höhere Dimensionen verallgemeinern: Wie sieht etwa die optimale Packung von n vierdimensionalen Kugeln im vierdimensionalen Raum aus? Auch in höheren Dimensionen d unterscheidet man zwischen Wurst- (eine eindimensionale Kette), Cluster- (eine Häufung der Kugeln im gesamten d-dimensionalen Raum) und einer Pizzapackung. Letztere stellt eine Art Übergang der beiden anderen Fälle dar: Sie umfasst alle Situationen, bei denen die Kugeln in mehr als einer und weniger als d Dimensionen verteilt sind. Wie sich herausstellt, scheint es in vier Dimensionen ebenfalls eine Wurstkatastrophe zu geben, allerdings tritt sie dort wesentlich später ein als im dreidimensionalen Fall: Gandini und Andreana Zucco bewiesen 1992, dass die Clusterpackung in d = 4 bei mindestens n = 375 769 Kugeln platzsparender ist als die Wurstpackung. Das heißt, dass spätestens dann die Wurstkatastrophe stattfindet.
Und was ist mit der Pizza? Ulrich Betke, Peter Gritzmann und Jörg M. Wills zeigten 1982, dass in drei und vier Dimensionen eine Pizza niemals die optimale Packung ist. Entweder die Kugeln füllen den gesamten Raum aus (Cluster) oder bilden eine Linie (Wurst). Nur diese beiden Extremfälle können eine optimale Packung erzeugen.
Für höhere Dimensionen äußerte Tòth 1975 seine inzwischen berühmte »Wurstvermutung«: Demnach sei die Wurstpackung für jede endliche Anzahl von Kugeln in fünf oder mehr Dimensionen optimal. Auch wenn diese Vermutung noch unbewiesen ist, konnten Betke und Martin Henk 1998 zeigen, dass die Wurstvermutung zumindest ab einer Raumdimension von 42 gilt. Würden Sie also 42-dimensionale Orangen zu Weihnachten verschenken, sollten Sie sie am besten hintereinander anordnen.
Es ist immer wieder überraschend, wie viele Rätsel selbst alltagsnahe mathematische Probleme aufgeben. Stellen Sie sich erst einmal vor, wie kompliziert die Aufgabe wird, wenn Sie keine Orangen, sondern Dinosaurierfiguren oder Puppen einpacken möchten.
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