Springers Einwürfe: Der Hunger und die Frauen
Die Welternährung leidet unter einer ganzen Serie von Rückschlägen, beginnend mit der Lebensmittelpreiskrise 2007 und 2008, gefolgt von der Covid-19-Pandemie und zuletzt dem aktuellen Krieg in der Ukraine – ganz zu schweigen von vielen regionalen Konflikten und den langfristigen Folgen des Klimawandels. Die Hälfte der davon Betroffenen sind Frauen und Mädchen.
Tatsächlich sind sie sogar die Ersten, die hungern. Wenn angesichts steigender Preise das Haushaltsbudget nicht mehr reicht, schränken oft die Frauen ihren Nahrungskonsum ein, damit die übrige Familie genug zu essen hat. Schon vor der Pandemie wurde der weibliche Anteil an unterernährten Menschen auf 60 Prozent geschätzt. Selbst in Haushalten, die nicht als arm gelten, hungern Frauen und Kinder eher als Männer.
Mit dem Ukrainekrieg verschärfte sich die Krise. Deswegen haben sich die Weltbank und die westlichen Industrienationen verpflichtet, mehr als 40 Milliarden US-Dollar für Hungerhilfe aufzubringen. Die US-amerikanischen Umwelt- und Ernährungswissenschaftlerinnen Elizabeth Bryan, Claudia Ringler und Nicole Lefore bezweifeln jedoch, dass diese Mittel denen zugutekommen werden, die sie am dringendsten benötigen; sie befürchten, dass die herrschende Ungleichheit damit sogar noch verstärkt wird.
Denn die Hilfsprogramme bevorteilen traditionell die Männer. In der Regel geht die Unterstützung an kommerziell betriebene Landwirtschaftsbetriebe, während die kleinräumige Subsistenzwirtschaft, mit der die Frauen ihre Familien ernähren, leer ausgeht.
Zudem haben die auf Grund von Covid-19 verhängten Lockdowns in aller Welt zahlreiche Gelegenheitsarbeiter aus den Städten aufs Land vertrieben. Dort verdrängen sie ihrerseits die in der Landwirtschaft tätigen Frauen. Diese sehen sich gezwungen, ihre kleinen Läden und Marktstände aufzugeben.
Schon Informationen und einfache Maßnahmen helfen
Ein erster Schritt zur Abhilfe besteht darin, die Verantwortlichen auf solche Zusammenhänge aufmerksam zu machen. In Indien, wo die coronabedingte Stadtflucht 2020 besonders krass ausfiel, versorgte die größte Frauengewerkschaft des Landes, die Self Employed Women’s Association, die Regierung erstmals mit Informationen über das Schicksal der unregistrierten weiblichen Arbeitskräfte.
Oft nützen schon einfachste Maßnahmen. In Bangladesch erhielten arme Familien im Rahmen einer Untersuchung mehrere Jahre lang Speiseöl, um zu verhindern, dass sie aus Not ihre minderjährigen Töchter zwangsverheiraten. Das Programm senkte die Anzahl solcher Frühehen um 19 Prozent und die von halbwüchsigen Müttern um 12 Prozent.
Weibliche Arbeitskräfte brauchen besondere Unterstützung. Kenia reserviert seit Längerem ein Drittel seiner Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Frauen. Senegal bevorzugt Bäuerinnen beim Ankauf von Getreide für das staatliche Ernährungsprogramm. Viele Nichtregierungsorganisationen richten Kindergärten für Textilarbeiterinnen ein, um ihnen die Doppelrolle als Mutter und Ernährerin zu erleichtern.
Außerdem brauchen Frauen Zugang zu eigenem Geld. In Bangladesch haben Mikrokreditprogramme es ihnen ermöglicht, ausreichend Land zu pachten und darauf Nahrungsmittel für ihre Familien anzubauen.
Das alles sind bloß Tropfen auf den heißen Stein. Nach Überzeugung der drei Forscherinnen lassen sich künftige globale Krisen nur wirksam bewältigen, wenn die Stimme der Frauen bei der Planung der Gegenmaßnahmen von Anfang an gehört wird. In unseren wohlhabenden Ländern findet die Gleichberechtigung breite Zustimmung. Dort aber, wo Hunger herrscht, wächst sie sich regelmäßig zum Problem auf Leben und Tod aus.
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