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Sex matters: Sind erotische Träume normal?

Von Sex zu träumen, beschäftigt die Menschen besonders, berichtet der Sexualtherapeut Carsten Müller. Darüber könne man durchaus reden: in der Partnerschaft – und auch im Seniorenheim. Eine Kolumne.
Ein Bett schwebt im Nachthimmel über den Wolken
Letzte Nacht schön geträumt? Glückwunsch!

»Seit sieben Jahren lebe ich in einer Partnerschaft, jedoch in getrennten Domizilen. Ich bin 79 Jahre alt, mein Partner ist zehn Jahre jünger. Wir haben eine lebendige Beziehung, doch der sexuelle Akt findet nur noch selten statt. Ich bedauere das heimlich. Ich habe jedoch nachts im Schlaf Träume, die einen heftigen Orgasmus auslösen können. Ich erwache regelmäßig in einem wohligen, entspannten Zustand. Ich frage mich: Ist das normal?« (Charlotte*, 79 Jahre alt, per Leserbrief)

Ja, natürlich! So weit meine Antwort auf die Frage nach der Normalität. Denn erotische Träume hat jeder Mensch. Sexualität ist ein Bereich unseres Lebens, der eine wichtige Rolle spielt, deshalb verarbeitet unser Gehirn Sex, Erotik und Lust in Träumen genauso wie andere Erfahrungen. Das Besondere an erotischen Träumen ist bloß: Wir beschäftigen uns mit ihnen mehr als mit anderen Träumen. Wenn es nicht um Sex geht, machen wir uns weniger Gedanken. Mir hat jedenfalls noch nie jemand die Frage gestellt, ob ein Traum vom Pizzaessen, vom Fliegen oder vom Motorradfahren normal sei.

Dabei ist es toll, erotische Träume zu haben, die angenehme Gefühle bereiten. Betrachten wir diese Träume als Ressource. Gehirn und Körper nutzen den Schlaf nicht nur zur Erholung, vielmehr setzen die erotischen Träume noch eins drauf: Wir wachen mit einem körperlichen Wohlgefühl auf, das uns entspannt und froh in den Tag starten lässt. Perfekt! Die Grübeleien über »normal« oder »unnormal« sind eigentlich völlig überflüssig. Sie haben nichts mit Biologie und Bedürfnissen zu tun. Sie hängen viel eher mit Erziehung und Moralvorstellungen zusammen. Also, wenn möglich: weg damit.

Orgasmen während erotischer Träume sind laut Wissenschaft sehr verbreitet. Die meisten Männer kennen nächtliche Samenergüsse. Bei Frauen haben Forschende bereits 1983 nachgewiesen, dass während des REM-Schlafs immer wieder Phasen nachweisbar sind, in denen die vaginale Durchblutung messbar ansteigt. Der REM-Schlaf bezeichnet die Schlafphase, in der wir am meisten träumen.

Erotische Träume sind auch bei Älteren nicht selten

Die Frauen, die in dieser Studie untersucht wurden, waren zwar erst 21 bis 35 Jahre alt. Doch nach meiner Erfahrung erleben wir Sexualität von der Geburt bis zum Tod, ob im Wachzustand oder im Traum. Zu den erotischen Träumen bei Älteren gibt es nicht sehr viel Forschung. Eine Studie aus dem Jahr 2011 liefert ein bisschen Statistik: 22 Prozent der befragten älteren Menschen hatten erotische Träume. Sie gaben an, dass sie etwa drei- bis viermal pro Monat lustvoll träumten – Frauen genauso wie Männer.

Ich kann mir vorstellen, dass in Wirklichkeit deutlich mehr ältere Menschen erotisch träumen. Zum einen erinnert sich nicht jeder an seine Träume. Zum anderen ist es für viele Ältere tabu, sexuelle Fantasien und Träume zu offenbaren. Sie reden nicht gerne darüber. Warum eigentlich nicht? Wie wäre es, das auszuprobieren? Wenn Ihnen jemand einfällt, dem Sie es erzählen möchten: nur Mut. Die Wahrscheinlichkeit, dass es anderen ähnlich geht wie Ihnen, ist hoch.

Als ich neulich mal in einem Seniorenheim zu einem Gesprächskreis über Sexualität und Liebe war, sind die Teilnehmenden ins Plaudern gekommen. Wir haben zur Einstimmung ein paar alte Schlager gehört – das hat das Eis gebrochen. Danach sprachen sie über schöne Momente in der Liebe, über Lust und ihre sexuellen Erfahrungen. Es war spürbar, wie ähnlich sie empfanden. Die Gespräche hatten etwas enorm Verbindendes.

In meiner täglichen Arbeit mit Menschen mache ich übrigens keine Unterschiede zwischen jung und alt. Ich kläre zum Beispiel mit allen, ob sie Medikamente nehmen, deren Nebenwirkungen sich auf ihre Sexualität auswirken könnten. Ich frage, wie zufrieden Paare mit ihrem Sexualleben sind. Ich spreche mit ihnen darüber, wie sie Sex definieren und was sie glücklich macht.

Diese Themen stecken auch im Leserbrief von Charlotte. Sie schildert eine glückliche Liebesbeziehung mit ihrem Partner. Sie bedauert, dass es nicht mehr so häufig wie früher zum Sex kommt. Sie merkt an, dass sie und ihr Partner in getrennten Wohnungen leben. Mein Eindruck: Die erotischen Träume zeigen Verbundenheit. Die emotionale Verbindung von Charlotte mit ihrem Partner schlägt sich in nächtlichen Lustträumen nieder. Wäre sie bei mir in der Praxis, würde ich ihr vorschlagen, mit ihrem Partner über ihre Träume und nächtlichen Orgasmen zu sprechen: Erzählen Sie von Ihren Wohlgefühlen! Weil es etwas sehr Schönes ist, das Ihrer Beziehung Wert gibt.

Wenn wir älter werden, verändert sich Sexualität. Ältere Menschen sind oft nicht mehr so fokussiert auf konkrete Stimulation und vaginale Penetration. Sie begegnen sich eher auf einer Verbundenheitsebene. Sie mögen die Nähe, halten die Hand des Partners, denken intensiv an ihn oder sie träumen eben davon, Lust mit ihm zu erleben.

Die entscheidende Frage ist: Passt das so für beide? Oder möchten Sie etwas ändern? Falls ja: Sie dürfen Ihre Träume auch für eine Standortbestimmung nutzen. Sind Sie mit gelegentlichen Träumen zufrieden? Oder möchten Sie sich aktiv Lust bereiten, zum Beispiel durch Selbstbefriedigung oder durch gemeinsamen Sex? Nur zu! Schöpfen Sie Freude, Kraft und Entspannung aus Ihrer Sexualität.

Und nun sind Sie dran: Der Moment danach

Wie fühlt sich für Sie der »Moment danach« an – nach real erlebtem Sex, aber auch die Minuten des Erwachens nach einem erotischen Traum? Halten Sie die Wohlgefühle in Worten fest und nehmen Sie sich bewusst einen Moment Zeit, wahrzunehmen und wertzuschätzen, was Ihnen Ihre Träume, Fantasien und Erlebnisse geben.

* Name von der Redaktion geändert

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