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Ethischer Kapitalismus: Brauchen Konzerne Philosophen?

Regelmäßig gibt es Rufe nach »CPOs«, also »Chief Philosophy Officers«, in den Chefetagen großer Konzerne. Gerade werden sie wieder laut. Kann Moral wirklich Teil des Marktes sein?
Skulptur eines Stiers in Denkerpose in Barcelona, Spanien
Philosophie und Profitdenken – auf den ersten Blick ein Widerspruch

Vor Kurzem erschien im »Spiegel« ein Interview mit dem Bonner Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel. Darin schlägt er vor, jedes Unternehmen solle einen »Chief Philosophy Officer« bekommen, der an der Spitze einer Ethikabteilung steht: »Aufgabe der Ethikabteilung wäre es, die Firma gezielt unter die Lupe zu nehmen: Welche Produkte produzieren wir, für wen tun wir das, und welche Schäden verursachen wir dabei?«, so Gabriels Vision.

Diese Zeilen sorgten in den sozialen Medien teils für Amüsement – zum einen wegen der für einen Philosophieprofessor ungewöhnlich wirtschaftsnahen Sprache, zum anderen, weil Gabriels Aussage wörtlich genommen so klingen könnte, als bräuchte es Fachleute aus der Philosophie, um festzustellen, welche Waren ein Unternehmen herstellt.

Vor gut 20 Jahren kannte ich den Ausdruck »Chief Philosophy Officer« zwar noch nicht, doch schon zu Anfang meines Philosophiestudiums war die Rede davon, manche Großkonzerne leisteten sich eigene Betriebsphilosophen, gerüchteweise zum Beispiel Siemens. Konkreteres schien aber keiner zu wissen.

Daran hat sich wenig geändert: Vor einem Jahr schrieb die Wirtschaftsjournalistin Kim Torster im Onlinemagazin »Gründerszene«: »Und immer wieder geistert auch ein ganz bestimmter Begriff durch die Medien: der Chief Philosophy Officer – also ein Berufsphilosoph in einer Führungsposition. Das Problem: Niemand kennt so jemanden.«

Es gibt also die vage, aber hartnäckige Idee, es sei für Unternehmen sinnvoll, sich philosophische Expertise in die Chefetage zu holen. Dabei geht es nicht um Menschen, die mit einer philosophischen Ausbildung in bestimmten Positionen tätig sind – was durchaus häufig vorkommt –, sondern um Fachleute, die tatsächlich als Philosophinnen und Philosophen eingestellt werden. Welchen Beitrag könnten sie leisten?

Markus Gabriels Antwort kennen wir bereits: Er möchte, dass der »Chief Philosophy Officer« eine Ethikabteilung leitet, die ähnlich wie eine Controlling-Abteilung agiert, aber nicht finanzielle Ziele im Blick hat, sondern die sozialen und ökologischen Effekte der Firma. Die Idee ist an sich nicht neu. Man kennt sie zum Beispiel unter dem Namen »Corporate Social Responsibility«. Die Überlegung, Wirtschaftsunternehmen sollten über den reinen Profit hinaus auch anderen Zwecken dienen, reicht mindestens bis zu Debatten der frühen 1930er Jahre zurück.

Das Gute ist nicht immer profitabel

Das Grundproblem ist bis heute das gleiche: Unternehmen sind in der Regel durch Marktmechanismen motiviert, Gewinne zu erzielen. Wenn ein Unternehmen sich jedoch zusätzliche Einschränkungen auferlegt – etwa durch eine Ethikabteilung, die bestimmte Produkte als problematisch einstuft –, kann es im Wettbewerb benachteiligt sein. Warum sollte also irgendjemand diesen Schritt gehen?

Gabriels Ausweg ist elegant, aber meines Erachtens ziemlich optimistisch: Er geht davon aus, dass »kreative« ethische Entscheidungen, wie er sie nennt, immer das Gute mit dem Profitablen verbinden, so dass der vermeintliche Nachteil zum Vorteil wird. Ob das in der Praxis immer funktioniert, ist fraglich.

Einen anderen Vorschlag macht die philosophische Beraterin Nika Wiedinger, die die Aufgabe eines Chief Philosophy Officer weniger darin sieht, zu entscheiden, wie es sein soll, als erst einmal zu beschreiben, wie es derzeit aussieht: »Sagen, was ist.« Die besondere philosophische Kompetenz soll demnach nicht das Urteilen sein, sondern eine freie Form der Anschauung, die anders als die anderer Akteure im Unternehmen nicht durch Sachzwänge und Formalitäten gefesselt ist. Zugespitzt: Gabriel möchte einen »Chief Practical Philosophy Officer«, Wiedinger einen »Chief Theoretical Philosophy Officer«.

Ob wir es nun bald erleben werden, dass die Philosophie sich in den Eckbüros einrichtet? Ich glaube eher nicht daran. Zwar bin ich nicht der Meinung, dass philosophisches und wirtschaftliches Denken sich grundsätzlich entgegenstehen. Aber ich bin mir relativ sicher, dass man bei Philosophie, die diesen Namen verdient, nie sinnvoll berechnen kann, welchen Deckungsbeitrag sie erzielt. Und das wird ihr in der Wirtschaft stets im Weg stehen.

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