Freistetters Formelwelt: Was Gauß dazu brachte, sich der Mathematik zu verschreiben
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Zirkel benutzt habe. Vermutlich irgendwann in der Schule – während meines Astronomiestudiums und meiner wissenschaftlichen Arbeit musste ich vor allem rechnen, geometrische Konstruktionen kamen nicht mehr vor. In der Mathematik der Antike hat der Zirkel jedoch eine sehr große Rolle gespielt. Zusammen mit dem Lineal wird er als »euklidisches Werkzeug« bezeichnet. Damals wurden Lösungen für geometrische Probleme nur dann als zufrieden stellend betrachtet, wenn sich ihre Lösungen ausschließlich mit diesen beiden Instrumenten konstruieren ließen.
Mit Lineal und Zirkel kann man nicht nur Linien und Kreise zeichnen, sondern auch grundlegende arithmetische Operationen durchführen. Man kann Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren, Quadratwurzeln ziehen und Zahlen potenzieren. In der Praxis ist die Konstruktion mit Zirkel und Lineal natürlich deutlich aufwändiger als eine einfache Rechnung. Und manchmal ist sie auch unmöglich, wie die Quadratur des Kreises zeigt. Bei diesem Problem geht es darum, aus einem vorgegebenen Kreis in endlich vielen Schritten ein Quadrat zu konstruieren, das den gleichen Flächeninhalt hat.
Was sich dagegen tatsächlich durch Lineal und Zirkel konstruieren lässt, ist ein regelmäßigen 17-Eck, wie der Mathematiker Carl Friedrich Gauß durch diese Formel gezeigt hat:
Um ein regelmäßiges 17-Eck zu zeichnen, muss man 17 Punkte gleichmäßig entlang einer Kreislinie verteilen. Oder anders gesagt: Man muss den Wert für den Winkel 360°⁄17 berechnen – beziehungsweise mit Lineal und Zirkel konstruieren, wenn man den Maßstäben der antiken griechischen Mathematik gerecht werden will. Der Beweis, dass das möglich ist, war seit gut 2000 Jahren ausständig, als der 19-jährige Gauß im Jahr 1796 seine Formel veröffentlichte.
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Der Kosinus des gesuchten Winkels lässt sich mit Operationen berechnen, die bloß Lineal und Zirkel erfordern. Das sieht man daran, dass die einzelnen Terme in der Formel alle durch euklidische Werkzeuge konstruierbar sind. Nun muss man nur noch berücksichtigen, dass in einem rechtwinkligen Dreieck mit einer Hypotenuse der Länge 1 eine der Katheten die Länge cos(360°⁄17) hat, wenn einer der spitzen Winkel gleich 360°⁄17 ist. Mit Hilfe dieser Dreiecke kann man also die 17 Punkte entlang einer Kreislinie regelmäßig verteilen und damit ein 17-Eck allein mit Zirkel und Lineal erzeugen – zumindest in der Theorie. In der Praxis wäre es äußerst aufwändig, es mit der Formel von Gauß zu versuchen.
Gauß selbst hat keine konkrete Zeichenvorschrift gefunden; das haben andere erst viel später nachgetragen. Seine eigentliche Leistung bestand darin, nach zwei Jahrtausenden erstmals einen relevanten Beitrag zur euklidischen Geometrie zu leisten. Der Mathematiker erkannte, dass er Vielfache des Kosinus des gesuchten Winkels als Summe darstellen, die Summe in Teilsummen aufspalten kann und dass bei der Auswertung dieser Summen die Zahl 17 auftaucht.
Hat Gauß mit einer Torte gefeiert?
Als der junge Gauß seine Entdeckung zum 17-Eck machte, hatte er an der Universität Göttingen schon mehrere Mathematik-Vorlesungen gehört, aber auch welche zur klassischen Philologie. Der Beweis, dass sich ein 17-Eck mit Lineal und Zirkel konstruieren lässt, soll für ihn den Ausschlag gegeben haben, sich von da an auf Mathematik zu konzentrieren und die Sprachforschung bleiben zu lassen – eine gute Entscheidung, wenn man die lange Liste an mathematischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen betrachtet, die Gauß bis zu seinem Tod im Jahr 1855 gemacht hat.
Das 17-Eck, das den Anfang dieser Karriere markierte, kann man heute noch auf einem Denkmal in Gauß' Geburtsstadt Braunschweig sehen. Und wer weiß: Falls er diese Entdeckung mit einer Torte und 16 Freunden gefeiert haben sollte, konnte er seine mathematische Formel vielleicht doch noch in der Praxis anwenden.
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