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Eulbergs tönende Tierwelt: Der Froschkönig verliert sein Reich

Der heimische Laubfrosch (Hyla arborea) wirkt geradezu exotisch: Wie ein Äffchen springt der kleine, knallgrüne Kletterer von Ast zu Ast, seine Farbe wechselt er wie ein Chamäleon. Leider wird der Winzling immer seltener – warum, weiß unser Kolumnist.
Buntstiftzeichnung eines knallgrünen männlichen Laubfroschs, der vor schwarzem Hintergrund sitzt
Der knallgrüne Laubfrosch fällt nicht nur durch seine markante Farbe auf, sondern auch durch sein lautes Knarren. Das ist nicht immer zu seinem Vorteil.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Ich war wirklich über alle Maßen erstaunt, als ich in einer Tongrube im Westerwald zum ersten Mal in meinem Leben einen Laubfrosch (Hyla arborea) sah. Sogar ein ganzer Chor von ihnen schmetterte an einem Laichgewässer nach Sonnenuntergang um die Wette. Ich hatte den Eindruck, dass einer lauter sein wollte als der andere. Schon aus fast einem Kilometer Entfernung konnte ich ihre knarrenden Ruffolgen vernehmen, die sich anhören wie »räp-räp-räp«:

Umso verwunderter war ich, als ich im Schein der Taschenlampe einen der Chorknaben erblickte: Er war winzig! Denn obwohl der Laubfrosch die lauteste Stimme aller mitteleuropäischen Amphibien hat, ist er mit dreieinhalb bis fünf Zentimetern unsere kleinste Froschart. Seine Balzrufe erreichen, im Abstand von 50 Zentimetern gemessen, Lautstärken von bis zu 87 Dezibel – die kleinen grünen Kerle können also mit Baustellenlärm mithalten. Sie rufen mitunter so laut, dass entnervte Anwohner schon durch juristische Prozesse bewirkten, dass Teiche mit nächtlichen Laubfroschkonzerten zugeschüttet und die Tiere umgesiedelt wurden.

Weibchen und Männchen lassen sich gut an der Kehle unterscheiden: Bei Ersteren ist sie glatt und beige, bei letzteren hingegen faltig und bräunlich. Die Falten in der Kehle rühren daher, dass die männlichen Tiere hier eine große Schallblase ausbilden, durch die sie die lauten Töne beim Ausatmen erzeugen. Man kann die sehr territorialen Männchen übrigens wunderbar zum Rufen animieren, indem man einen »Klangfrosch«, ein aus Holz geschnitztes Schrapinstrument, erklingen lässt. Der Umweltpädagoge und Naturschützer Martin Maschka führt das in einem Video eindrücklich vor.

Erst ab Ende April, wenn die Gewässertemperaturen über 10 Grad Celsius steigen, beginnen die männlichen Laubfrösche in den Abendstunden von ihren Tagesverstecken zu ihren Laichgewässern zu wandern. Tagsüber und außerhalb der Paarungszeit halten sie sich in Gebüschen auf, gerne in Brombeergestrüpp, aber auch in Bäumen und dort sogar in den Kronen. Daher rührt auch ihr Trivialname ebenso wie ihr lateinischer Name arborea, der »baumartig« bedeutet. Es mutet für mich immer fast tropisch an, die kleinen, knallgrünen Frösche in Gebüschen und Bäumen sitzend vorzufinden.

Der Laubfrosch | Er trägt seinen Namen, weil er öfters im Geäst von Bäumen und Büschen zu finden ist. Dorthin zu gelangen ist für ihn kein Problem: Die Unterseiten seiner Vorder- und Hinterbeine sind mit speziellen Haftscheiben ausgestattet.

Seine herausragenden Kletterfähigkeiten verdankt der Laubfrosch besonderen Haftscheiben an Fingern und Zehen; er bleibt mit ihnen sogar an senkrechten Glasscheiben kleben. Diese spezielle Stabilität rührt von mikroskopisch kleinen sechseckigen Säulen her, die unregelmäßig versetzt auf den Haftscheiben angeordnet sind. Darüber hinaus erlaubt ein Knorpel zwischen den Endgliedern der Finger, Äste oder Stiele zu greifen. So ist der Laubfrosch der einzige Frosch in unseren Gefilden, der klettern kann. Dies ist übrigens auch ein Grund dafür, warum Amphibienschutzzäune an Straßen für diese Tiere nutzlos sind: Die Winzlinge klettern einfach darüber.

Mit ihrer blitzschnell hervorspringenden klebrigen Zunge fangen sie im Geäst Flug- und Laufinsekten oder Spinnen. Da Frösche keine Zähne haben, schlucken sie ihre Nahrung in einem Stück hinunter. Auch in den Sträuchern sind die Laubfrösche sehr agil und wendig: Sie können sich, Affen ähnelnd, kopfüber durch das Geäst hangeln und springen dann zielsicher Blätter und Äste in mehreren Dutzend Zentimeter Entfernung an.

Die Klettermeister besitzen eine weitere erstaunliche Fähigkeit, die allerdings individuell stark variiert. So können sie ihre Hautfarbe zwecks Tarnung innerhalb weniger Minuten leicht verändern, ausgelöst durch den Tastsinn: Die Hautfarbe passt sich über hormonell gesteuerte Pigmentverlagerungen der Struktur des Untergrunds an, welche die Frösche erfühlen. Dadurch bleiben sie auf glatten Oberflächen wie Blättern grünlich, auf rauen Strukturen wie etwa einer Baumrinde erscheinen sie bräunlich oder grauer. Auch die Temperatur spielt beim Farbwechsel eine Rolle. Je wärmer es wird, desto heller wird ihre Haut, damit diese mehr Sonnenlicht reflektiert statt absorbiert und das Tier so vor Überhitzung schützt. Selten sieht man sogar blaue Laubfrösche, was jedoch nichts mit dem Untergrund zu tun hat. Diesen Exemplaren fehlt genetisch bedingt der gelbe Hautfarbstoff, so dass sie blau erscheinen.

  • Der Laubfrosch

    Hier finden Sie all wichtigen Eckdaten sowie Beobachtungstipps rund um den grünen Winzling.

  • Steckbrief

    Klasse: Amphibien

    Ordnung: Froschlurche

    Familie: Laubfrösche (Hylidae)

    Größe: 3,5 bis 5 Zentimeter

    Gewicht: 4,6 bis 9,8 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 200 bis 1400

    Höchstalter: 12 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): gefährdet

    Volkstümlicher Name: Wetterfrosch

  • Beobachtungstipps

    Den Laubfrosch kann man von Ende März bis Ende September an Kleingewässern mit strukturreichem Gehölz beobachten.

    Ordentlich Krach | Dank seiner beeindruckenden Schallblase erzeugt der wenige Zentimeter kleine Laubfrosch enorm laute Töne.

Einst galt der Laubfrosch als »Wetterfrosch« und wurde häufig zusammen mit einer kleinen Holzleiter in Einmachgläsern gehalten, um den Menschen als Barometer zu dienen. Wenn er die Leiter hochkletterte, rechnete man mit gutem Wetter, blieb er auf dem Boden, mit schlechtem. Dieses bedauernswerte Dasein verdankten die Amphibien der Beobachtung, dass sie bei schönem, sonnigem Wetter höher auf Büschen und Stauden sitzen als bei trübem, regnerischem. Das Verhalten hat jedoch nichts mit dem Luftdruck zu tun, sondern wird durch die Verfügbarkeit ihrer Lieblingsspeise ausgelöst. Denn bei Sonnenschein entstehen durch die Erwärmung der Erdoberfläche Aufwinde, die leichte Fluginsekten nach oben tragen. Der Laubfrosch muss also höher klettern, um satt zu werden.

Als Lebensraum bevorzugt die kleine Amphibie reich strukturierte Landschaften mit sonnigen Plätzen und möglichst fischfreien Gewässern mit Flachwasserzonen zum Laichen. Hier legt jedes Weibchen jährlich mehrere Dutzend Eiballen von 30 bis 80 Eiern und befestigt diese meist an Wasserpflanzen in bis zu 30 Zentimeter Tiefe. Doch der Verlust der ehemals vielfältigen Wiesen- und Grünlandschaften mit Laichgewässern und Hecken macht dem Laubfrosch schwer zu schaffen. Auch Umweltgifte und trockengelegte Feuchtgebiete haben seine Bestände in vielen Regionen minimiert oder sogar ganz ausgelöscht. Zudem werden Laubfrösche ebenso wie andere Amphibien bei ihren Wanderungen durch den Straßenverkehr stark bedroht. Einzelne Populationen sind heute voneinander isoliert, es findet kein Genaustausch mehr statt. Der Froschkönig verliert sein Reich.

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