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Eulbergs tönende Tierwelt: Die erste Geige im Wiesenkonzert

Die ausgeklügelte Architektur ihrer Flügel ermöglicht es der Feldgrille (Gryllus campestris), rekordverdächtig laute Sounds zu produzieren. Unser Kolumnist weiß, welche Faktoren zusammenspielen, damit der Klang perfekt wird.
Buntstiftzeichnung einer Feldgrille.
Nur die männlichen Feldgrillen musizieren und locken damit Weibchen an.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Jetzt im Winter sind sie verstummt: Die meisten heimischen Heuschreckenarten lassen ihr herrliches Konzert hier zu Lande erst im Hochsommer wieder erklingen. Eine Ausnahme machen die Feldgrillen (Gryllus campestris), die bei guter Witterung bereits ab Ende April in unseren Wiesen musizieren. Bei mir im hohen Westerwald komme ich leider erst später im Jahr in den Genuss, da es den Wärme liebenden Gesellen hier zu kalt ist und ich auf die anderen Heuschreckenarten warten muss.

In trockenen, licht bewachsenen Habitaten graben männliche Feldgrillen im Frühjahr eine etwa 20 Zentimeter lange und zwei Zentimeter breite Wohnröhre in den Boden. Den Bau bewerkstelligen sie mit kammartigen Vorrichtungen an ihren Hinterbeinen. Die Röhren dienen ihnen aber nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Schalltrichter: Den Kopf häufig einwärts der Höhle gerichtet, streicht das Männchen seine Vorderflügel übereinander, um Weibchen anzulocken. Dieser Lockgesang ist an sonnigen Tagen bereits vom späten Vormittag bis in die Nacht hinein zu vernehmen.

Dazu hebt das Grillenmännchen seine Vorderflügel im Winkel von 45 bis 60 Grad an und bewegt sie rasant gegeneinander. Dabei entstehen meist vier rasch aufeinander folgende Silben, die wir als Zirpen wahrnehmen. Eine »Schrillleiste« mit durchschnittlich 138 lamellenförmigen Zähnchen aus Chitin unter dem rechten Flügel schrappt dabei über eine »Schrillkante« am Rand der Oberseite des linken Flügels. Damit erzeugt die Grille den Schall ganz ähnlich wie ein Geigenspieler, der den Bogen über die gespannten Saiten streicht. Zwei linsenförmige Fenster in den Flügeln, Spiegel genannt, dienen als Schallmembranen und verstärken zusammen mit wellenförmig verlaufenden Flügeladern, den »Harfen«, den Klang immens. Gleichzeitig werden die Vorderflügel seitlich leicht abgespreizt, wodurch ein resonanter Schalltrichter entsteht. So erzeugt das gerade mal zweieinhalb Zentimeter kleine Tier Sounds von mehr als 90 Dezibel und gehört damit, auf die Körpergröße bezogen, zu den lautesten Tieren der Welt. Bis zu 200 Meter weit sind die Gesänge der männlichen Feldgrillen hörbar. Ihre Flügel benutzen sie übrigens ausschließlich zum Musizieren: Fliegen können Feldgrillen nicht.

Die Feldgrille | Durch den Klimawandel hat sich die Wärme liebende Insektenart in jüngster Zeit regional deutlich ausgebreitet.

Begegnen sich zwei Männchen beim Umherstreifen, so betasten sie sich zunächst mit den Fühlern und fangen bald an, sich gegenseitig mit diesen zu schlagen. Der Revierinhaber stimmt dann oft einen Rivalengesang an, der aus einer Reihe gleichartiger Laute besteht. In den meisten Fällen zieht sich der Eindringling daraufhin zurück. Erfolgt dieser Rückzug jedoch nicht, kann es zu sehr intensiven und unter Umständen tödlichen Kämpfen kommen.

Die schlitzförmigen Hörorgane der Tiere befinden sich in den Schienen der Vorderbeine. Mit bloßem Auge kann man dort gut jeweils ein großes und ein kleines Trommelfell erkennen. Hat eine weibliche Feldgrille ein Männchen erhört, paaren sich die beiden: Sie besteigt das Männchen, welches seinen Hinterkörper nach oben biegt und ein birnenförmiges Spermienpaket in die Genitalöffnung des Weibchens abgibt. Die befruchteten Eier vergräbt das Weibchen nach ein paar Tagen mit einem speziellen Körperteil, dem Legebohrer, in Haufen von jeweils 20 bis 60 Stück im Boden. Die Larven schlüpfen nach zwei bis drei Wochen, ernähren sich hauptsächlich von Blättern und Wurzeln und häuten sich bis zum Winter etwa zehnmal. Dann überwintern sie wieder eingegraben, häuten sich im April des nächsten Jahres ein elftes Mal und sind anschließend geschlechtsreif.

  • Die Feldgrille
    Hier finden Sie alles Wissenswerte rund um das musikalische Insekt.
  • Steckbrief

    Klasse: Insekten

    Ordnung: Heuschrecken

    Familie: Echte Grillen

    Größe: 1,8 bis 2,7 Zentimeter

    Gewicht: 0,7 bis 1,5 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: eine

    Nachkommen pro Periode: 700 bis 1000

    Höchstalter: 3 Monate (Imago)

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Zirpe

  • Beobachtungstipps
    Wohnraum mit Zusatzfunktion | Im Frühjahr bauen männliche Feldgrillen bis zu 20 Zentimeter lange Wohnhöhlen, die unter anderem ihren »Gesang« verstärken.

    Die Feldgrille trifft man zwischen April und Oktober an, vor allem in Süd- und Ostdeutschland. Sie bevorzugt sonnige, trockene Plätze mit lichter Vegetation wie etwa Wiesen, Heidegebiete, Truppenübungsplätze, Bahndämme oder Kiesgruben.

Zwar sind viele ihrer Lebensräume verloren gegangen, vor allem durch intensive Landwirtschaft, in der zu viel gedüngt und zu häufig gemäht wird, aber auch durch Aufforstung und Siedlungsbau. Und doch belegen mehrere aktuelle Studien, dass sich die Wärme liebende Art im Zuge des Klimawandels in jüngster Zeit regional deutlich ausgebreitet hat. Wir werden die Konzerte der winzigen Virtuosen also im Frühjahr und Sommer erst mal weiterhin genießen dürfen.

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