Direkt zum Inhalt

Eulbergs tönende Tierwelt: Die Kröte, die keine ist und wie ein Vogel klingt

Die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) lebt ein Rollenmodell, das wir als unkonventionell bezeichnen würden. Und auch ihre glockenartigen Rufe klingen für unsere Ohren wundersam. Aber hören Sie selbst!
Buntstift-Zeichnung der Geburtshelferkröte; man sieht die männliche Kröte mit dem orangefarbenen Laich des Weibchens auf dem Rücken
Die Gemeine Geburtshelferkröte lebt hauptsächlich in Südwest- und Westeuropa und gilt in Deutschland als streng geschützt. Auffällig sind ihre metallisch schimmernden Augen und die senkrecht geschlitzten Pupillen.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Bei so manchem Streifzug durch heimische Gefilde vernimmt man Tierstimmen, die sich nicht einmal ungefähr zuordnen lassen: Ist es ein Vogel? Ein Säugetier? Ein Froschlurch? Genauso ist es bei diesem Exemplar. Sein Ruf könnte der einer Zwergohreule sein, so verblüffend ähnlich klingen sie. Tatsächlich tönt hier eine Amphibie – und eine äußerst spannende dazu! Aber hören Sie selbst:

Diese wundersamen Rufe stammen von einer Spezies mit auffälligen, vertikal-schlitzförmigen Pupillen: der Gemeinen Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Eine Kröte im engeren Sinne ist sie trotz ihres Namens allerdings nicht. Sie gehört zu den urtümlichen Froschlurchen, zu denen auch etwa die Unken zählen. Das Tier gibt nach Einbruch der Dunkelheit hell klingende, glockenartige Laute von sich, weshalb man es im Volksmund auch »Glockenfrosch« nennt. Der kurze Ruf ist ein fast reiner Sinuston (also ein einzelner Ton ohne weitere Frequenzen), und jedes Individuum »funkt« in seiner eigenen Tonlage. Anders als bei vielen anderen Froschlurchen geben die Weibchen ebenfalls einen flötenartigen Paarungsruf von sich – jedoch nur halb so laut wie die Männchen. Sie erwidert seinen Laut, sobald sie sich ihm genähert hat. Dadurch finden beide selbst in der Dunkelheit zueinander. Zum Vergleich hören Sie hier den Ruf einer Zwergohreule. Gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, oder?

In meiner Heimat, dem Westerwald, höre ich die Rufe der Geburtshelferkröte regelmäßig in einem nahe gelegenen Basalt-Steinbruch, der mittlerweile auch als Kulturstätte genutzt wird. 2022 führte ich dort meine multimediale Biodiversitäts-Show auf. Der sonderbare Sound der Amphibie war Teil meines Programms. Beim Abbauen des Equipments dachte ich, meine Ohren spielten mir einen Streich: Noch immer hörte ich lautstark ihre sonoren Töne! Mit großer Freude stellte ich dann jedoch fest, dass tatsächlich einige Geburtshelferkröten unter den Steinen eines Amphitheaters lebten und eifrig riefen. Vielleicht habe ich sie mit meiner Show animiert?

  • Die Gemeine Geburtshelferkröte

    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um die tönende Amphibie. Außerdem: Wie kann ich sie schützen?

  • Steckbrief

    Klasse: Amphibien

    Ordnung: Froschlurche

    Familie: Geburtshelferkröten

    Größe: 3,1 bis 5,5 Zentimeter

    Gewicht: 4 bis 12 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 2 bis 4

    Nachkommen pro Periode: 20 bis 80

    Höchstalter: 8 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): stark gefährdet

    Volkstümlicher Name: Glockenfrosch, Fesselkröte

  • Beobachtungstipps
    Am besten zwischen März und August, mit Einbruch der Dämmerung in Tongruben oder Steinbrüchen im westlichen und zentralen Mittelgebirgsraum. Dabei bitte beachten: Die Tiere sind streng geschützt und dürfen nicht gestört werden! Sichtungen kann man beim NABU oder bei observation.org melden
    Kaulquappe | Die Larven der Geburtshelferkröte können bis zu elf Zentimeter groß werden. Sie sind graubraun und haben auf der Unterseite meist einen metallisch glänzenden Längsstreifen, der Flossensaum ist gefleckt. Die Schlupfzeit beginnt Mitte Mai und kann bis in den Spätsommer reichen.
  • Wie kann man ihr helfen?
    Ihre Lage ist nicht aussichtslos – gezielter Habitatschutz mit Biotoppflege kann der bedrohten Amphibie helfen. Aber auch jede und jeder Einzelne von uns kann sich in lokalen Vereinen im Amphibienschutz engagieren. Ich arbeite ebenfalls ehrenamtlich in einem solchen Projekt mit: Wir errichten Schutzzäune zur Wanderzeit an dicht befahrenen Straßen und tragen die Tiere über die Straße.

Die faszinierende Geburtshelferkröte lebt schon seit Jahrmillionen auf der Welt, sie zählt somit zu den urtümlichen Amphibien. Doch womöglich müssen wir uns bald von ihr verabschieden – seit den 1990er Jahren sind sie in einzelnen Regionen um bis zu 90 Prozent zurückgegangen. Bundesweit gilt die Art laut Roter Liste als stark gefährdet. Warum? Ihr Lebensraum besteht aus Freiflächen mit feuchten Verstecken im Boden, in die sie sich tagsüber zurückziehen. Solche Bedingungen finden sie bei uns meist in Sekundärhabitaten, also menschengemachten Biotopen wie Tongruben oder Steinbrüchen. Diese Räume werden jedoch zunehmend von Straßen zerschnitten, durch Landwirtschaft oder Verbuschung zerstört. Auch eingeschleppte Pilzkrankheiten setzen der kleinen Amphibie zu.

Die Fortpflanzungsweise der Geburtshelferkröte ist so besonders, dass sie der Art ihren Namen gab. Die Weibchen legen ihren Laich nicht wie alle anderen heimischen Amphibienarten in einem Gewässer ab, sondern an Land. Und dort findet auch die Paarung statt: Beide Tiere formen zusammen mit ihren Hinterbeinen ein Körbchen und fangen damit die abgegebenen Laichschnüre auf. Früher dachte man fälschlicherweise, das Männchen würde dabei den Laich aktiv aus dem Weibchen herausziehen – den Namen hat die Art trotzdem behalten. Tatsächlich bestreicht das männliche Individuum kurz vor der Paarung unter wippenden Bewegungen mit seinen Hinterbeinen die Kloake des Weibchens, ein Verhalten, das eventuell zu diesem Mythos beitrug.

Die Geburtshelferkröte | Männliche Tiere tragen die Laichknäuel wie einen Rucksack an ihrem Körper.

Nach der Besamung der Eier muss die sie umgebende Gallerte noch kurz antrocknen, um eine klebende Eigenschaft zu haben – dann zwängen die Männchen ihre Hinterbeine durch die Laichknäuel und befestigen diese wie einen Rucksack an ihrem Körper. Auf den ersten Blick wirken sie so wie gefesselt, weshalb die Art volkstümlich Fesselkröte genannt wird. Darauf spielt auch ihre wissenschaftliche Bezeichnung an: Ihr Gattungsname stammt vom griechischen »alytos« für »gefesselt«, der Artname »obstetricans« leitet sich vom lateinischen Wort für »bei der Geburt helfende Hebamme« ab.

Pragmatisch sind die Geburtshelferkröten in ihrer Fortpflanzung allemal. Die Weibchen verteilen ihren Laich auf mehrere Männchen und können sich dadurch drei- bis viermal pro Jahr fortpflanzen. Doch die Männchen stehen ihnen in nichts nach: Sie können gleichzeitig ein zweites oder gar drittes Laichpaket von anderen Weibchen huckepack nehmen.

Die fürsorglichen Väter tragen dutzende Eier mehr als einen Monat lang mit sich herum, bis die Kaulquappen reif zum Schlüpfen sind (vielleicht rührt ihr Artname auch daher). Wenn die Eier sich von ockergelb zu dunkelbraun gefärbt haben, geben sie die Larven in ein stehendes Gewässer ab, wo sie dank der hervorragenden Brutvorsorge nur noch wenige Wochen Entwicklungszeit benötigen. Die Kaulquappen sind zudem viel größer und weiter entwickelt als die anderer Arten und haben damit eine höhere Überlebenschance. Sie können eine stattliche Größe von bis zu elf Zentimetern erreichen!

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels konnte durch die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs »Kröte« der Eindruck entstehen, die Geburtshelferkröte gehöre zur Familie der Kröten. Wir haben die Formulierungen daher angepasst, um Missverständnisse zu vermeiden.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.