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Eulbergs tönende Tierwelt: Evolution im Zeitraffer

Kennen Sie die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla)? Vermutlich ja: Ihr geschwätziges Lied haben Sie garantiert schon gehört. Die vielen unbekannte Vogelart ist hier zu Lande sogar häufiger als der Spatz, schreibt unser Kolumnist. Auch verrät er, was die Briten mit ihrer rasanten Evolution zu tun haben. Oder: Aus eins mach zwei.
Bntstiftzeichnung einer weiblichen und einer männlichen Mönchsgrasmücke vor schwarzem Hintergrund
Mit ihrem unauffälligen Gefieder bleibt die Mönchsgrasmücke im Gebüsch oft unentdeckt. Hier zu Lande brüten schätzungsweise mehr als sechs Millionen Mönchsgrasmückenpärchen – sie ist in Deutschland die vierthäufigste Brutvogelart.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Direkt vor meinem Studiofenster tiriliert im Efeu jeden Frühling auf herrliche Art und Weise eine Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla). Ihr Gesang erinnert an das wunderbare Flöten einer Amsel: Er wirkt fast ein wenig überschwänglich und überschlagend vor Lebensfreude. Trotzdem kann ich mir ihr Lied gut merken, denn wie bei anderen Arten aus der Gattung der Grasmücken habe ich durch ihre Metrik und Betonung stets den Eindruck, der Vogel würde mir immer wieder geschwätzig Fragen stellen. Hören Sie selbst – geht es Ihnen genauso?

Da die Männchen sehr standorttreu sind und die männlichen Nachkommen den Gesang von ihren Vätern erlernen, bilden sich durch diese Weitergabe recht deutliche Dialekte aus. In manchen Regionen wird der markante Überschlag in ihrer Melodie eher zu einem vereinfachten Leiern. Neben dem auf uns mitunter hektisch wirkenden Gesang hört man häufig den Erregungsruf der Mönchsgrasmücke. Dieser harte, transientenreiche »Täk-täk«-Ruf klingt ein wenig so, als würde jemand zwei Kieselsteine gegeneinanderschlagen.

Das Männchen der Mönchsgrasmücke ist leicht an seinem schwarzen Scheitel zu erkennen, der an die Kopfbedeckung eines Mönchs erinnert. Daher rührt auch der erste Teil ihres Trivialnamens. Regional wird sie auch »Schwarzkapperl« oder »Schwarzplattl« genannt. Der wissenschaftliche Artname atricapilla bedeutet übrigens ebenfalls »Schwarzköpfchen«. Weibchen und Jungvögel haben dagegen eine rostbraune Kappe.

Das Wort Grasmücke wiederum hat nichts mit der Pflanze oder mit fliegenden Insekten zu tun, sondern geht auf das althochdeutsche »gra smucka« zurück, was so viel wie »grauer Schlüpfer« bedeutet. Das beschreibt das Erscheinungsbild der Mönchsgrasmücke äußerst trefflich, wie ich finde! Denn der sonst grau gefärbte Vogel »schlüpft« in der Tat sehr unscheinbar durch das Dickicht. Dabei ist der unauffällig lebende und oft unbekannte Singvogel inzwischen die vierthäufigste Brutvogelart in Deutschland, sogar häufiger als der Spatz. Nach Schätzungen des Dachverbands Deutscher Avifaunisten gibt es derzeit bis zu 6,15 Millionen Brutpaare der Mönchsgrasmücke in Deutschland.

Die Mönchsgrasmücke | Die schwarze Färbung auf dem Kopf, die aussieht wie eine Mönchskappe, gab dem kleinen, grauen Vogel seinen Namen. Schwarz tragen allerdings nur die Männchen (rechts) – die Weibchen sind an dieser Stelle braun gefärbt.

Ein Grund für die deutliche Bestandszunahme ist, dass die kleinen Vögel hinsichtlich ihrer Nahrungsquellen höchst flexibel sind. Neben Insekten, deren Larven sowie Spinnen ernähren sie sich auch von Beeren und Früchten. Dabei bedienen sie sich bei über 60 verschiedenen Straucharten. An Nektar laben sie sich ebenfalls und besuchen zum Beispiel Blüten von Pflaumenbäumen oder Salweiden, wo sie ähnlich wie Kolibris Blüte um Blüte mit der Zunge nacheinander abernten. Außerdem frisst die Mönchsgrasmücke als eine der wenigen einheimischen Vogelarten die klebrigen Beeren der Mistel und trägt so zu deren Verbreitung bei.

Ein weiterer Grund für ihre zunehmenden Bestände ist ihre Vielseitigkeit hinsichtlich des Zugverhaltens. Ein Teil unserer Mönchsgrasmücken zieht im Winter nach Spanien. Doch eine immer größer werdende Anzahl, vor allem aus Süddeutschland und Österreich, zieht seit den 1960er Jahren nicht mehr nach Süden, sondern nach Nordwesten. Diese Population überwintert in Großbritannien. Das stellt sich als Vorteil für sie heraus: Denn neben klimatischen Veränderungen profitieren sie von der enorm verbreiteten Vogelfütterung der Briten. Die Zugstrecke ist dadurch deutlich kürzer und spart Energie.

  • Die Mönchsgrasmücke

    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um die Mönchsgrasmücke.

  • Steckbrief

    Größe: 13 bis 15 Zentimeter

    Gewicht: 4 bis 20 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 4 bis 5

    Höchstalter: 8 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Schwarzkapperl

  • Beobachtungstipps
    Mönchsgrasmücke beim Beerennaschen | Die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) pflegt sich vielseitig zu ernähren. Verschiedene Beeren, aber auch Insekten, Spinnen und sogar die Fruchtkörper von Misteln stehen auf ihrem Speiseplan.

    Zwischen Ende März und Oktober kann man die weit verbreitete Mönchsgrasmücke flächendeckend beobachten. Ausnahmen sind Gebiete, die frei von Gebüschen und Bäumen sind, in denen sich der Vogel verstecken kann.

Obwohl sich die zwei Gruppen erst vor sechs Jahrzehnten aufgespalten haben, hat sich die unterschiedliche Lebensweise bereits deutlich auf den Körperbau der Vögel ausgewirkt. Die in Großbritannien überwinternden Mönchsgrasmücken haben rundere und kürzere Flügel, wodurch sie an den Futterplätzen in den oft kleinräumigen Gärten besser manövrieren können und hier jagenden Prädatoren, zum Beispiel Sperbern, wendiger ausweichen können. Gleichzeitig legen sie längere Strecken jedoch nicht mehr so energieeffizient zurück. Außerdem sind die Schnäbel der britischen Überwinterer schmaler und länger – ein Vorteil beim Aufpicken schnabelgerechter Nahrung, aber ein Nachteil beim Fressen größerer Früchte wie etwa Oliven.

Die genetischen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sind sogar größer als die zu einer zirka 800 Kilometer entfernt lebenden Population, die jedoch auch in Spanien überwintert, wie Untersuchungen gezeigt haben. Und: Die Individuen beider Gruppen verpaaren sich nur selten miteinander. Daher wird vermutet, dass sich aus beiden Ökotypen gerade eine neue Unterart oder sogar eine neue Art entwickelt. Mikroevolution nennt man das: Evolution im Zeitraffer. Und das alles, weil wir Menschen gerne Vögel füttern!

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