Direkt zum Inhalt

Sex matters: Kein Sexdruck am Wochenende

In Fernbeziehungen dreht sich alles um die kurze Zeit, die man miteinander verbringt. Kein Wunder, dass dabei Stress aufkommt. Wie man den Druck herausnimmt, erklärt der Paartherapeut Carsten Müller in seiner Kolumne.
Rote und rosafarbene Herzchen markieren die Sonntage auf einem Kalender
In Fernbeziehungen muss das Wochenende oft hohe Erwartungen erfüllen.

»Seit zwei Monaten führen wir aus beruflichen Gründen eine Fernbeziehung. Wir vermissen den gemeinsamen Alltag und die Nähe sehr. Wir sehen uns fast jedes Wochenende und wollen beide, dass diese gemeinsame Zeit richtig schön wird und wir das nachholen können, was uns unter der Woche fehlt. Was können wir tun, damit die Wochenenden zu echten Höhepunkten unserer Beziehung werden?« (Jacqui*, 28, und Anton*, 32)

Fernbeziehungen sind anspruchsvoll. Die Wochenenden sollen die mehrtägige Trennung vergessen machen. Sich schön anziehen, frisieren, Parfüm auftragen – dann setzen beide ihr Sonntagsgesicht auf und planen besondere Aktivitäten. Viele Paare haben feierliche Rituale, mit denen sie am Freitagabend die gemeinsame Zeit einläuten, fand eine soziologische Studie der Universität Konstanz über Fernbeziehungen heraus.

Und der Sex? Körperliche Nähe wird zum Muss, um den Zärtlichkeitsspeicher wieder aufzufüllen und nachzuholen, was man unter der Woche versäumt hat. Alltag ist an den »heiligen« Wochenenden nicht erlaubt.

So war es auch bei Jacqui und Anton: Hausarbeit fanden sie unsexy. »Eigentlich versuche ich, das vorher zu erledigen«, sagte Jacqui. Anton sah das genauso. Wäsche waschen, putzen, einkaufen: Das quetschten beide in den Feierabend. Sie starteten gestresst ins Wochenende und mussten wie auf Kommando den Schalter umlegen, damit die gemeinsame Zeit möglichst schön wird.

Auf lange Sicht tut das der Beziehung allerdings nicht gut. Wenn man jede Woche im Stress ist, nur um freitags alles erledigt zu haben, und wenn sich immer eine Person das ganze Wochenende lang in der Rolle des Gastgebers fühlt: Das macht auf Dauer keinen Spaß.

Nähe entsteht auch beim gemeinsamen Wäschefalten

Es geht auch anders. Und zwar so: keine gezwungenen Highlights am Wochenende. Für Intimität und Sexualität eine Form finden, die auch von Montag bis Freitag funktioniert. Und Alltag am Wochenende darf sein – wenn er geteilt wird.

Für Nähe braucht es kein romantisches Restaurant. Sie entsteht auch beim gemeinsamen Wäschefalten. Von allein klappt das jedoch nicht. Wie viel Alltag im Wochenende vorkommen kann und wie er gestaltet wird, sind Fragen, die Kommunikation erfordern. Die meisten Paare, die eine Fernbeziehung führen, reden viel über Pläne für Restaurantbesuche, Konzerte oder Ausflüge. Das Gleiche sollte für alltägliche Dinge gelten: zu überlegen, wie man aus einer To-do-Liste schöne Momente machen kann. Einkaufen kann nämlich genauso verbindend sein wie Ausgehen.

»Aber wenn wir den Alltag ins Wochenende verlegen, haben wir weniger Zeit für Sex«, sagte Anton. Der kam ja schließlich während der Woche zu kurz. Für beide war die gemeinsame Sexualität zwingend mit der körperlichen Anwesenheit des anderen verbunden. Erotische Kommunikation hatten sie noch nicht ausprobiert. »Es würde sich komisch anfühlen, ihm Nacktfotos von mir zu schicke«, meinte Jacqui. »Ich kann mir nicht vorstellen, ihr erotische Nachrichten zu schreiben. Da würde mir nichts einfallen«, befürchtete Anton.

Ich verstehe, dass man nicht mal eben ein Nacktfoto verschicken will. Das ist eine große Hürde. Man weiß ganz genau, wie man aussieht, findet sich unsexy, weil das Licht nicht stimmt, und fragt sich vielleicht auch, was eines Tages mit dem Bild sonst noch passieren könnte. Solche Überlegungen sind durchaus vernünftig.

Doch erotische Kommunikation braucht keine eindeutigen Bilder. Erotik entsteht im Kopf. Es reicht, ein Foto von der Unterwäsche zu schicken, die man gleich anziehen wird, vom Schatten des eigenen Körpers oder von der Seife, mit der man sich wäscht.

Es geht nicht um die Mechanik der Genitalien, sondern um die Erotik im Kopf

Wenn ein Paar erotische Kommunikation ausprobieren möchte, schlage ich vor, mit Worten zu beginnen. Das ist wie ein kleines Workout, und es funktioniert super.

»Soll ich Fantasien aufschreiben?«, fragte Anton. Nein – das wäre für den Anfang zu schwierig. Für die meisten Menschen ist es einfacher, wenn sie sich in ihren ersten erotischen Botschaften auf reale Erlebnisse beziehen. Dann müssen sie nichts erfinden, sondern können schreiben: Liebling, ich habe gerade daran gedacht, wie du meinen Nacken geküsst hast, das war so ein schöner Moment. Oder: Ich denke gerade daran, wie du dich angefühlt hast, als ich am Sonntag neben dir aufgewacht bin.

Über gemeinsame Erlebnisse zu schreiben, gibt Sicherheit. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Inhalt der Nachricht für die andere Person okay ist. So muss ich mir weniger Sorgen machen, dass der Partner das womöglich nicht gut finden könnte.

Bei unserem zweiten Treffen erzählten Anton und Jacqui, dass sie sich jetzt regelmäßig unter der Woche schreiben. Sie fanden das gut, stellten aber auch fest, dass es noch Unsicherheiten gab – bei den Begriffen für die Genitalien. Diese Unsicherheit teilen viele Paare. Ich frage dann, welche Worte sie benutzen, wenn sie miteinander Sex haben, und sei es nur in Gedanken. Dann kann jeder für sich ausprobieren, ob es sich zum Beispiel besser anfühlt, »Penis« oder »Schwanz« zu schreiben.

Anton und Jacqui begannen, Alltag, Erotik und Intimität so miteinander zu verbinden, dass sie nicht mehr davon abhängig waren, an einem Ort zu sein. Es gab viele Wochentage, an denen sie erotische Botschaften austauschten. Es ging nicht um die Mechanik der Genitalien, sondern um die Erotik im Kopf. Sie entlasteten sich damit vom Sexdruck am Wochenende. »Es fühlt sich jetzt ganz anders an, wenn wir uns Freitagabend sehen«, sagt Anton. »Wir sind viel entspannter.« Gleichzeitig fühlen sich die Werktage besser an: Trotz der Distanz ist man sich nah.

Jetzt sind Sie dran:

Gönnen Sie sich einen Mini-Workout zur erotischen Kommunikation. Schreiben Sie eine erotische Nachricht an sich selbst. Was sind Momente, an die Sie sich erinnern? Was hat Ihnen Lust gemacht? Welche Details, welche Gerüche, Gefühle, Bilder sind in Ihrem Kopf? Teilen Sie diesen Moment mit sich selbst.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.