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Flutkatastrophe: Kein hausgemachtes Hochwasser

Die heftigen Überflutungen im Süden und Osten Deutschlands sind auf extreme Niederschläge zurückzuführen. Kaum ein Hochwasserschutz hätte das Unglück verhindern können, meint Daniel Lingenhöhl.
Daniel Lingenhöhl

Deutschland meldet "Land unter": Viele Regionen in Ost- und Süddeutschland versinken nach tagelangem Dauerregen in Wassermassen, wie sie seit Jahrzehnten nicht registriert worden waren. In Passau überschritt die Donau am Montagmittag die historische Marke von 12,50 Meter – ein Wert, der mindestens seit 1501 nicht mehr gemessen wurde. Mehrere Menschen sind in Deutschland, Österreich und Tschechien bereits in den Fluten ertrunken. Die vorsichtig geschätzte Schadenssumme liegt jetzt schon im Bereich von mehreren Milliarden Euro. Und noch ist die Katastrophe nicht ausgestanden: Zur Stunde (Montagnachmittag) regnet es in Bayern, Sachsen und den angrenzenden Staaten weiter, erst ab Dienstag soll sich das Wetter beruhigen.

Hätte das Unglück verhindert werden können? In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde – zu Recht – kritisiert, dass viele Flüsse und sogar Bachläufe in Mitteleuropa in ein enges Korsett gezwängt wurden: Gewerbe- und Wohnsiedlungen wurden ebenso wie Straßen in ehemaligen Auenlandschaften gebaut, die zum natürlichen Überflutungsbereich der Fließgewässer gehören. Stattdessen errichteten die Wasserbaubehörden Dämme, die ebenjene Überschwemmungen verhindern sollten, aber das Problem durch erhöhte Fließgeschwindigkeiten einfach nur flussabwärts verlagerten. Dort traf es dann Dörfer und Städte, die auf Grund ihrer Lage nur begrenzt Hochwasserschutz in ihren Zentren betreiben konnten, wie Köln. Oder aber die Deiche brachen unter der permanenten Durchweichung und Belastung des Hochwassers: Die Flüsse nahmen sich wieder mit Gewalt, was ihnen lange Zeit gehörte. "Gebt den Flüssen ihren Raum", forderte daher Altbundeskanzler Helmut Kohl 1997 nach dem verheerenden Oderhochwasser damals, das weite Teile Brandenburgs, Südpolens und Tschechiens unter Wasser setzte.

Hochwasser in Heidelberg | Verglichen mit Passau kam Heidelberg sehr glimpflich davon: Nur die B37 musste wegen Überflutung gesperrt werden, im Übrigen standen vor allem Grünflächen unter Wasser.

Viel ist seitdem und vor allem auch nach dem ebenso verheerenden Pfingsthochwasser 1999 und den Überflutungen 2002 entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse geschehen: An vielen Fließgewässern richteten die verantwortlichen Behörden Polder ein, die bei Bedarf geflutet werden können. Mancherorts wurden die Deiche erhöht und verstärkt, an vielen anderen Stellen verlegte man sie aber auch – wenn möglich – zurück und schuf Auen wieder neu. Viele Nebenflüsse, Bäche und die Oberläufe mancher Ströme wie am Main oder der Isar erlebten eine Renaturierung, durch die es wieder Schleifen im Gewässerbett gibt und wo den Flüssen tatsächlich wieder mehr Raum gegeben wurde.

Natürlich ließen sich bei Weitem nicht alle Sünden der Vergangenheit wiedergutmachen: In einem dicht besiedelten, demokratischen Land wie der Bundesrepublik existieren auch weiterhin Siedlungen und Gewerbegebiete mitten im Überflutungsraum der Flüsse. Und eine Stadt wie Passau wird immer von Hochwasser bedroht sein, denn das bedingt ihre Lage am Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz, deren Wassermassen sich gegenseitig aufstauen und so die Katastrophe verschlimmern. Andernorts fehlen immer noch Flutpolder, weil sich Landeigentümer nicht mit den Wasserbaubehörden auf Entschädigung einigen konnten und Enteignungen langwierig und kompliziert ablaufen. Immerhin: Bereits vorhandene Überflutungsflächen haben an vielen Orten dazu beigetragen, einige Hochwasserspitzen zumindest zu kappen – etwa an der weißen Elster, um Leipzig zu schützen, oder am Rhein zwischen Karlsruhe und Mannheim.

Bodennässe in Deutschland | In weiten Teilen Deutschlands waren die Böden bereits mit Wasser gesättigt, als der Dauerniederschlag einsetzte: Der Regen musste oberirdisch abfließen.

Doch selbst wenn alle geplanten Maßnahmen schon umgesetzt worden wären, hätte sich dieses Hochwasser nicht verhindern lassen. Laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) gehörte der Mai 2013 zu den feuchtesten seit Beginn der Aufzeichnungen; insgesamt übertraf er die langjährigen, durchschnittlichen Regenmengen um mehr als 170 Prozent. Vielerorts waren die Böden daher bereits mit Feuchtigkeit übersättigt wie in den letzten 50 Jahren nicht mehr: Sie konnten schlicht kein weiteres Wasser aufnehmen, als sich über Deutschland eine besondere Wetterlage aufbaute, die seit Freitag Tief um Tief in den Südosten der Republik saugte und dort Rekordniederschläge bewirkte

Der Kern des Tiefdruckgebiets lag dabei über dem östlichen Mitteleuropa und drehte sich, wie üblich, entgegen dem Uhrzeigersinn. Dadurch strömte beständig feuchtwarme Luft aus dem Mittelmeerraum und dem Balkan nach Nordosten, um von dort dann schließlich nach Deutschland hinein gesteuert zu werden. Hier zu Lande trafen diese nässegeschwängerten Luftmassen auf kühlere Luft, die ein sehr dauerhaftes Hoch über dem Atlantik – es dreht sich im Uhrzeigersinn – an seinem Rand nach Mitteleuropa lenkte. Die warme Luft glitt auf dieses Kaltluftpaket auf, es entstanden Wolken, und es regnete sehr ergiebig. Zugleich stauten sich die Luftmassen an den Nordrändern der Mittelgebirge und der Alpen, wo es schließlich auf gut Deutsch schüttete wie aus vollen Eimern. Nur so sind die extremen Niederschläge der letzten 90 Stunden zu erklären, die der DWD meldet: Auf Aschau im Chiemgau prasselten seit dem 30. Mai mehr als 400 Liter pro Quadratmeter, auf Kreuth-Glashütte in den bayerischen Alpen mehr als 370 Liter pro Quadratmeter, und in Stützengrün-Hundshübel in Sachsen waren es immerhin noch 224 Liter pro Quadratmeter – diese Mengen hätten wohl selbst halbwegs trockene Böden in ihrer Aufnahmekapazität völlig überfordert. Stattdessen rauschte das Wasser ungebremst zu Tal und in die Flüsse. Im Schnitt regnet es in Deutschland rund 700 Liter pro Quadratmeter, im Chiemgau immerhin 1300 Liter pro Quadratmeter – allerdings im gesamten Jahr!

Bach in Weingarten | Auch naturnahe Kleingewässer waren mit den Regenmassen überfordert und traten über die Ufer wie dieser Bach im badischen Weingarten (Aufnahme im Siedlungsbereich).

Schuld an dem Dauernass ist eine besondere Wetterkonstellation, die Mitteleuropa in die Zange nimmt: Über Wochen verharrte ein so genanntes Höhentief über uns, das westlich und östlich zum Ausgleich von Hochdruckrücken flankiert wurde. Alle verharrten relativ ortstreu in ihrer Position, weshalb nahezu beständig kühle und feuchte Luft aus Norden nach Deutschland und in die angrenzenden Länder gelangte, während warme Luftmassen weiter östlich und westlich bis in die Arktis strömten. In der Folge war es am Nordkap zeitweise wärmer und sonniger als in Freiburg oder München. Eine kleine Verschiebung dieses Kaltlufttropfens nach Osten führte schließlich zur berüchtigten Vb-Strömung, bei der Tiefs wie oben beschrieben über Adria, Balkan und Osteuropa schließlich bei uns landen, wie es zum Beispiel auch 1999 oder 2002 der Fall war.

Trägt aber der Klimawandel zur Häufung dieser Wetterereignisse bei? Die meisten Meteorologen dürften jedenfalls verneinen, dass dieses singuläre Ereignis 2013 auf die Erderwärmung zurückzuführen ist – wenngleich viele Klimaforscher zu Recht darauf hinweisen, dass sich Extremwetter in einem wärmeren Klima häufen. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass seit einigen Jahren vorerst keine weitere Aufheizung zu beobachten ist: Durchschnittlich wärmere Luft kann auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die anschließend abregnet. Eine gerade Kausalkette kann man zum jetzigen Zeitpunkt aber keinesfalls ziehen: Vb-Wetterlagen gehören zum natürlichen Zirkulationsgeschehen; der Meteorologe Wilhelm Jacob van Bebber benannte sie bereits 1891.

Diese Flutkatastrophe war nicht zu verhindern – auch wenn dies für die betroffenen Menschen kein Trost ist. Ihnen muss von Seiten der Bundesrepublik und der Länder finanziell und praktisch unter die Arme gegriffen werden. Eines dürfen die Maifluten 2013 jedoch auch nicht bewirken: Sie dürfen nicht als Ausrede genutzt werden, um den Flüssen weiteren Raumgewinn in der Fläche zu verweigern. Denn das gehört weiterhin zum Schutz vor "normalen" Hochwassern.

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