Hochwasserschutz in Deutschland: Gewährt der Natur mehr Raum
Spätestens seit dem 15. und 16. Juli 2021 kennen viele Menschen in Deutschland die kleinen Orte Schuld in der Eifel oder Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis. Dort haben Unwetter und die dadurch ausgelösten Fluten besonders stark gewütet: Häuser stürzten ein, Straßen wurden weggespült, und zumindest bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels war es unklar, ob es in beiden Ansiedlungen nicht sogar Tote gab. Insgesamt starben wegen der Starkniederschläge und ihrer Folgen im Westen Deutschlands mehr als 160 Menschen, die Schäden liegen in Milliardenhöhe.
Neben der Diskussion, ob der Katastrophenschutz – in Teilen – versagt und der Klimawandel die Regenfälle verstärkt hat, muss ein weiteres Thema diskutiert und angegangen werden: Wie lassen sich Hochwasser und Überflutungen schon im Vorfeld verhindern oder wenigstens minimieren?
Mehr Platz für Bäche
An den großen Flüssen hat sich hier zu Lande in den vergangenen Jahren zumindest etwas getan, auch wenn die Auen weiterhin deutschlandweit betrachtet in keinem guten Zustand sind: Nach schweren Überschwemmungen hat man jedoch nicht nur in technische Vorsorge wie mobile Flutschutzwände investiert, sondern den Strömen auch wieder etwas mehr Raum gegeben: Donau, Rhein und andere Gewässer können verschiedentlich wieder über die Ufer treten, um Ballungsräume vor den Wassermassen zu schützen. Auen wurden renaturiert und Polder geschaffen, die gezielt geflutet werden, um Hochwasserspitzen zu kappen.
Bei kleinen Flüssen fehlt dies aber vielerorts noch. Die Erft beispielsweise, die Teile von Erftstadt-Blessem komplett zerstört hat, sieht flussaufwärts des Örtchens über weite Strecken wie ein Kanal aus: schnurgerade, ohne die typischen Mäander, die ein Fluss im Tiefland besitzen sollte. Links und rechts des Ufers wird sie eingezwängt von Äckern und Wiesen. Auen, in die sie sich ausbreiten könnte, fehlen großflächig. Fluten schießen auf dieser Rennbahn flussabwärts und reißen die Erde mit sich. Unterhalb des Dorfes folgen hingegen einige Überflutungszonen wie der Kerpener Bruch, die nach Ansicht des Hydrologen Bernd Bucher, Vorstand des Erftverbands, in einem Interview gegenüber den »Riffreportern« Gemeinden weiter flussabwärts vor schlimmen Überflutungen bewahrt haben könnten. Zusätzlich zur katastrophalen Flutung der örtlichen Kiesgrube, die ebenfalls die flussabwärts liegenden Gebiete geschützt haben dürfte.
Die Renaturierung von Flüssen muss also in die Fläche gehen und möglichst bis zu ihren Quellgebieten reichen. Bäche dürfen keine Abflusskanäle mehr sein, damit das Wasser möglichst schnell verschwindet. Dazu gehört, Feuchtgebiete wieder zu vernässen: Moore nehmen Wasser wie ein Schwamm auf, Feuchtwiesen verringern die Erosion, Sumpfwälder bremsen den Wasserablauf und verzögern damit Hochwasserspitzen.
An die ganze Landschaft denken
Damit allein ist es aber lange nicht getan. In der Eifel oder im Bergischen Land fehlen in den tief eingeschnittenen Tälern von Natur aus bereits Auslaufflächen. Hochwasser- und Erosionsschutz muss ganzheitlicher gedacht und vor allem umgesetzt werden. Kulturen wie Mais, die sich in den letzten Jahren stark ausgebreitet haben, sind im Frühling und Frühsommer besonders erosionsanfällig, weil Regen ungebremst auf den Boden fallen kann und strömendes Wasser die Erde davonwäscht. In Auen haben Maisäcker gar nichts verloren und in Hanglagen eigentlich auch nicht. Mit Untersaaten, dem Verzicht aufs Pflügen oder hangparalleler Bewirtschaftung ließe sich der Abtrag zumindest verringern. Doch obwohl dies regelmäßig in Fachzeitschriften empfohlen wird, halten sich nicht wenige Landwirte nicht daran. Die Folge ist, dass immer wieder fruchtbarer Boden davongeschwemmt wird und bei Starkregen als Schlamm in Keller und Wohnzimmer strömt.
Beim Waldbau ist nicht nur wegen der Dürren der letzten Jahre, sondern ebenso auf Grund der Starkregen umzudenken: Das Blätterdach von Laubwäldern bremst den Regen und verzögert es, bis das Wasser den Boden erreicht; bis zu 50 Prozent des Niederschlags können sogar völlig in den Baumkronen hängen bleiben. Tiefwurzler wie Eichen und Kiefern oder Herzwurzler wie die Buche sind standhafter als die flach wurzelnden Fichten: Diese sollten außerhalb der Mittelgebirge und Alpen keine Zukunft mehr als Forstbaum haben. Und verglichen mit Weiden oder Äckern nehmen Waldböden drei- bis sechsmal so viel Wasser auf, sofern sie nicht mit schwerem Gerät verdichtet wurden. Es braucht also sanftere Methoden des Waldbaus und auf landwirtschaftlich ungünstigen Standorten Wiederbewaldung.
Und letztlich gilt es, den Siedlungsraum anders zu gestalten: Regen schießt dort zu oft direkt in die dann überlastete Kanalisation, Bäche werden in Rohre gezwängt, Flächen ungebremst versiegelt. Wo soll das Wasser hin, wenn es auf dicht bebaute Städte trifft? Nötig sind möglichst natürlich gestaltete Regenrückhaltebecken, große Flächen, die nicht mit Teer überdeckt sind oder zumindest einen versickerungsfähigen Untergrund haben, sowie eine bessere Kanalisation. Überhaupt muss endlich der Flächenfraß beendet werden.
Betrachtet man den Ort Schuld in der Eifel, würde man das Bauen dort so heute nicht mehr erlauben: Die Ortschaft liegt in einer engen Flussschleife, wo das Wasser der Ahr nach den dramatischen Niederschlägen gegen die Felswand in der Biegung drückte und sich die Fluten dann mitsamt Schlamm, Schutt und entwurzelten Bäumen brachial über den Gleithang des Flusses einen neuen Weg bahnten. Eine Schneise der Zerstörung war die Folge. Keine bezahlbare technische Lösung hätte Schuld, Erftstadt-Blessem oder Hagen vor allen Folgen des Jahrhundertereignisses rund um den 15. Juli schützen können: In der Eifel und im Bergischen Land wäre das auch wegen der Topografie nur schwer möglich gewesen. Mit vorausschauendem Hochwasserschutz wären die Zerstörungen aber mancherorts kleiner ausgefallen. Das sollte eine Mahnung für die Zukunft sein.
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