Hirschhausens Hirnschmalz: Dabei sein ist alles
Wer kennt FOMO? Klingt wie die formbare Knetmasse aus meiner Krabbelstube damals. Die meisten Kinder spielten hingebungsvoll damit, ohne Angst, irgendetwas zu verpassen, weil in der Igelgruppe gerade so viel Spannenderes passierte. Das ist FOMO – »fear of missing out«: die ständige Sorge, woanders könnte es besser sein als da, wo man selbst ist. Ich will mich nicht als Trendsetter bezeichnen, eher als früh Betroffener. Denn ich hatte das schon, bevor die Wissenschaft sich dafür zu interessieren begann. Heute gibt es sogar Studien dazu. Ich las einige, aber nicht alle; bestimmt gibt es bessere als die, die ich zitiere – Mist, geht das schon wieder los!
FOMO hat die westliche Welt fest im Griff, schließlich führen uns die sozialen Medien rund um die Uhr Leute vor, die gerade attraktiver die Zeit totschlagen als wir selbst. Wir starren ja nur die Bilder der anderen an und klicken und wischen. »Wisch-full thinking« quasi.
Hinzu kommt noch das ungute Gefühl, auch in der Vergangenheit nicht immer die optimalste (ich weiß, das darf man nicht sagen, aber es ist halt so schön idiotisch!) Entscheidung getroffen zu haben. Und diese Angst lähmt. Es gibt heute ein Überangebot an Angeboten und den Druck, sich immer alles bis zuletzt offenzuhalten. Was steckt hinter diesem tückischen Hintertürchendenken?
In einer Studie von 2018 wurden Erstsemester an einem US-College sieben Tage lang begleitet. Die Forscher zogen zufällige Erlebnisproben mit Hilfe der Smartphones der Teilnehmer. In unregelmäßigen Abständen bekamen diese per SMS immer wieder kurze Fragebogen und sollten angeben, ob ein Freund oder eine Freundin wohl gerade etwas Schöneres tat, das sie just verpassten. Und sie mussten sagen, was sie selbst gerade taten. Besser gesagt getan hatten – bis die SMS kam.
Das Ergebnis: FOMO ist ein echter Stimmungskiller. Sie nimmt oft im Tagesverlauf und über die Woche zu. Am höchsten ist die FOMO in Momenten, wo man selbst etwas tun muss, wie eine Hausarbeit fertig schreiben, oder an Samstagabenden, wenn alle Welt Party macht. Wem es oft im Kopf herum-»fomorte«, der zeigte mehr negative Gefühle, Müdigkeit, Stress und Schlafprobleme. Dabei gab es auch Täler: Am Samstagmorgen zum Beispiel fürchtet kaum jemand, bei den anderen gehe gerade die Post ab. Wobei ich die Studie nicht genau darauf geprüft habe, ob die Leute da überhaupt schon wach waren. Wer schlief, womöglich noch mit jemand anderem, fiel hoffentlich aus der Statistik. Gut, dass man manches nicht so genau weiß.
Mein Tipp: Lernen Sie zu verpassen! Ich kaufe mir regelmäßig die Berliner Programmzeitschriften »Tipp« und »Zitty«, um zu erfahren, was alles so los ist. Dann lege ich sie zwei Wochen zur Seite – und staune später, was ich alles gleichzeitig verpasst habe. Gemessen an dem, was ich vor meiner Geburt schon verpasst habe und was ich nach meinem Tod verpassen werde, fällt das von letzter Woche erschreckend mickrig aus. Deshalb brauche ich auch immer beide Zeitschriften!
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