Freistetters Formelwelt: Alien-Botschaften, Gottesbeweise und schizophrene Zahlen
Im Sciencefiction-Klassiker »Contact« von Carl Sagan empfängt die Astronomin Ellie Arroway Signale von Außerirdischen. Die Botschaft ermöglicht ihr eine Reise durch die Milchstraße und einen Kontakt mit den Aliens. Nur: Sie hat keine Beweise für das Geschehene und niemand glaubt ihr. Aber die Außerirdischen haben ihr erzählt, dass in den Nachkommastellen der Zahl Pi ein Geheimnis versteckt sei. Das Buch endet damit, dass Arroway nach der Berechnung von knapp 100 Trillionen Stellen tatsächlich eine Anomalie findet: eine Abfolge von Nullen und Einsen, die in der richtigen Darstellung das Bild eines Kreises formt.
»Contact« ist eine erfundene Geschichte. Aber es wäre interessant zu wissen, was der Charakter Arroway von dieser Zahl gehalten hätte:
Ich habe die Nachkommastellen in Blöcken angeordnet, um ihre Besonderheiten hervorzuheben. Unter der Wurzel steht eine Funktion, die so definiert ist: f(n) = 10f(n−1) + n. Als Startwert dieser Rekursionsformel dient f(0) = 0. Damit kann man leicht die ersten Werte ausrechnen: f(1) = 1, f(2) = 12, f(3) = 123, f(4) = 1234, und so weiter. Das sieht noch recht harmlos und regelmäßig aus. Aber wenn man die Funktion für ungerade Zahlen berechnet und dann die Wurzel zieht, erhält man seltsame Muster, wie im obigen Beispiel für f(49).
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Es fängt alles ganz geordnet an, bis das Muster unterbrochen wird. Ebenso plötzlich tauchen Blöcke mit regelmäßiger Ziffernfolge auf. Die chaotischen Abschnitte werden immer länger, bis die Abfolge der Nachkommastellen irgendwann überhaupt kein Muster mehr aufweist. Man nennt diese irrationalen Werte, die zwischendurch immer wieder rational scheinen, auch »schizophrene Zahlen«. Je größer n ist, desto länger dauert es, bis die Abfolge der Nachkommastellen jegliche Ordnung verliert.
Die schizophrenen Zahlen sind eine nette Spielerei, bei genauerer Betrachtung allerdings gar nicht mehr so überraschend. Auch in den Nachkommastellen von irrationalen Werten wie Pi oder der eulerschen Zahl kann man Muster finden. Sollte Pi eine so genannte normale Zahl sein (was noch nicht bewiesen ist), dann findet man dort tatsächlich alle möglichen Ziffernfolgen mit der gleichen relativen Häufigkeit. Oder anders gesagt: Bei einer normalen Zahl ist es nicht nur nicht erstaunlich, eine »Botschaft« zu erhalten, wie sie Arroway entdeckt hat – es steht sogar fest, dass man sie findet.
Wohl kein Gottesbeweis durch die Nachkommastellen von Zahlen
Das wusste natürlich auch Sagan, der Astronom war und sich mit Mathematik auskannte. Ihm ging es um etwas anderes: Selbst wenn sicher ist, dass man in den Nachkommastellen von Pi (vorausgesetzt die Zahl ist normal) jede beliebige Nachricht finden kann, wäre es extrem unwahrscheinlich, so früh auf einen so langen Block von konkreten Ziffern in der Abfolge der Nachkommastellen zu stoßen. Und da Pi eine Zahl ist, die untrennbar mit der fundamentalen Geometrie des gesamten Universums verbunden ist, könne daraus nur folgen, dass es nicht zufällig entstanden, sondern von einer irgendwie gearteten Intelligenz absichtlich konstruiert und mit der mathematischen Botschaft ausgestattet wurde.
Im Kontext der im Buch häufig auftauchenden Debatte über Religion, Gott und Glaube ist das eine schöne Idee. Doch wie die schizophrenen Zahlen zeigen, lassen sich sehr leicht Beispiele konstruieren, bei denen man nicht lange warten muss, um jede Menge interessante Muster in den Nachkommastellen von irrationalen Zahlen zu finden. Einen »Gottesbeweis« durch Mathematik wird es auf diese Weise wohl so schnell nicht geben.
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