Freistetters Formelwelt: Katzen zerren mit Happy End
In der Naturwissenschaft trifft man Katzen – abseits der Biologie – ja vor allem bei Erwin Schrödingers berühmtem Gedankenexperiment: Das Tier in der Kiste ist gleichzeitig tot und lebendig. Das soll die weniger anschaulichen Aspekte der Quantenmechanik illustrieren, sorgt jedoch oft nur für zusätzliche Verwirrung. Das Schicksal von »Schrödingers Katze« wird dabei, im Allgemeinen eher unernst, bedauert; dabei ist das noch gar nichts im Vergleich zu dem, was die Mathematik mit Katzen anstellt.
Diese Gleichung beschreibt das, was als »Arnolds Katzenabbildung« bekannt geworden ist:
Es geht dabei um eine Transformation, die einen Torus auf sich selbst abbildet. Das klingt ein wenig abstrakt – vermutlich verwendet man gerade deswegen gerne das Bild einer Katze, um zu erklären, was damit gemeint ist. Betrachtet man das (quadratische) Bild einer Katze (oder ganz allgemein das Einheitsquadrat) und wendet die Transformation darauf an, wird dieses Bild dadurch zuerst gestreckt und dann so neu arrangiert, dass die über das Einheitsquadrat herausragenden Teile wieder hineinpassen.
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Man kann die Gleichung in Matrixschreibweise formulieren und sieht dann direkt, dass die Transformation aus einer Scherung in die x-Richtung besteht, auf die eine Scherung in y-Richtung folgt. Die Abbildung erhält die Fläche, die Punkte innerhalb der Fläche werden aber durchmischt.
Tatsächlich ist Arnolds Katzenabbildung ein Beispiel für ein chaotisches dynamisches System. Schon nach wenigen Durchläufen ist vom ursprünglichen Bild der Katze nichts mehr zu erkennen. Aus der Katze ist ein einziges Durcheinander geworden, das aussieht wie das Rauschen auf einem alten Röhrenfernseher. Doch sie ist noch nicht verloren – führt man die Iteration nur weit genug fort, dann ist mathematisch sichergestellt, dass das ursprüngliche Bild irgendwann wieder auftaucht. Egal wie chaotisch es zwischendurch war, am Ende wird die Ordnung wieder hergestellt.
Ein Widerspruch zur Thermodynamik?
Man kann diese erstaunliche Tatsache mit einem simplen Computerprogramm selbst testen – oder ein fertiges Programm im Internet nutzen. Der russische Mathematiker Wladimir Igorewitsch Arnold hat die Transformation 1967 veröffentlicht; doch die Rückkehr der Ordnung im Chaos wurde schon 1890 vom Franzosen Henri Poincaré entdeckt.
Der »poincarésche Wiederkehrsatz« besagt: Es gibt in bestimmten dynamischen Systemen Zustände, die nach einer endlichen Zeit wiederkehren – und das beliebig oft. Oder, mathematisch etwas exakter genauer formuliert: Hat man ein System, dessen Phasenraum ein endliches Volumen hat, das sich also nicht beliebig verändern kann, dann kann man für jeden Anfangszustand dieses Systems eine Umgebung definieren, dass es im Lauf der Zeit beliebig oft in diese Umgebung zurückkehrt.
Hat man zum Beispiel zwei Behälter mit Gas und verbindet sie, vermischen sich die Moleküle. Der Wiederkehrsatz besagt jedoch, dass man den Anfangszustand nur minimal – beliebig wenig – ändern muss, so dass die Gase irgendwann wieder zum Ausgangszustand zurückkehren. Das heißt, die Gase werden sich wieder »entmischen«.
Das scheint den Gesetzen der Thermodynamik zu widersprechen; allerdings nur, wenn man vergisst, dass man sie genau genommen nicht als fixe Naturgesetze verstehen darf, sondern immer statistisch interpretieren muss. Eine »Entmischung« zweier Gase ist nicht unmöglich, aber eben enorm unwahrscheinlich. Der Wiederkehrsatz besagt nur, dass so etwas in endlicher Zeit geschehen kann; im Fall der Gasentmischung müsste man aber so lange warten, dass es dafür kaum einen vernünftigen Vergleich gibt.
Bei Arnolds Katzenabbildung kann man die Entmischung der verrauschten Katze viel schneller beobachten, weswegen sie als Modellsystem zum Verständnis chaotischer Dynamik heute immer noch sehr beliebt ist. Wahrscheinlich auch deswegen, weil dabei eine Katze vorkommt.
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