Freistetters Formelwelt: Das Wasserstoffproblem
»Im Anfang war der Wasserstoff« betitelte der deutsche Wissenschaftler Hoimar von Ditfurth seinen 1972 erschienenen Klassiker der populärwissenschaftlichen Literatur. Das chemische Element entstand, gemeinsam mit Helium, direkt nach dem Urknall und unterscheidet sich dadurch vom Rest des Periodensystems. Alle anderen Elemente mussten erst durch Kernfusion im Inneren von Sternen erzeugt beziehungsweise durch spezielle Kernreaktionen in den Endstadien der Sternentwicklung gebildet werden.
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Wasserstoff ist das einfachste Atom; es besteht aus einem Proton als Atomkern, das von einem Elektron umkreist wird. Obwohl das mit dem »Umkreisen« schon nicht mehr ganz richtig ist. Das simple Bild von zwei Teilchen, die einander wie Himmelskörper umkreisen, ist zwar eingängig, aber falsch. Will man ein Wasserstoffatom wirklich verstehen, benötigt man die Mathematik der Quantenmechanik, in der Teilchen durch Wellenfunktionen beschrieben werden. Beim Wasserstoff sieht das so aus:
Das ist die zeitunabhängige Schrödingergleichung für das Wasserstoffatom. Selbst ohne auf die Details einzugehen, sieht man auf den ersten Blick, dass es sich um eine durchaus komplexe Formel handelt. Die mathematische Behandlung dieser Gleichung und ihre Lösung werden auch als Wasserstoffproblem bezeichnet, und tatsächlich ist der Wasserstoff das einzige Atom, für das die Schrödingergleichung exakt gelöst werden kann.
Wenn heute das Wasserstoffproblem diskutiert wird, dann hat man allerdings meistens weniger die Quantenmechanik als die Energiewende im Sinn. Wasserstoff ist mit Abstand das häufigste Element im Universum und gleichzeitig eines mit hoher Energiedichte. Wir können es mit Sauerstoff zu Wasser reagieren lassen und die dabei frei werdende Energie nutzen. Dazu brauchen wir aber zuerst einmal ausreichend Wasserstoff. Denn auch wenn Wasserstoff gut zwei Drittel der gesamten Materie im Universum ausmacht, ist er auf der Erde schwer zu kriegen. Hier finden wir Wasserstoff fast ausschließlich in Verbindung mit anderen Atomen, vor allem in Form von Wasser.
Das andere Wasserstoffproblem
Wollen wir Wasserstoff als Energiequelle nutzen, müssen wir ihn zuerst irgendwie aus dieser Bindung lösen. Eine Möglichkeit wäre die Förderung von Erdgas, das man mit viel Energie in Wasserstoff und CO2 aufspaltet. Das funktioniert, ist jedoch nicht sonderlich klimafreundlich. Pro Tonne Wasserstoff erzeugt man dabei zehn Tonnen CO2, und die Energie für die Produktion muss man ja auch irgendwie bereitstellen. Das gleiche Problem besteht bei der Wasserstoffgewinnung aus Kohle oder Methan. Man müsste das frei werdende CO2 irgendwie auffangen und speichern – nur gibt es dafür noch keine Technik, die im großen Maßstab einsetzbar ist. Diese Arten der Wasserstoffproduktion nutzen vielleicht denen, die bereits jetzt aktiv im Erdgas- oder Kohlegeschäft sind, aber definitiv nicht dem Klima.
Dazu müssten wir Wasserstoff aus Wasser gewinnen. Die dafür nötige Energie kann man aus Atomkraft generieren – und handelt sich damit all die Probleme ein, die sie mit sich bringt. Die einzige klimafreundliche Alternative besteht in der Wasserstoffproduktion aus Wasser und unter Einsatz von erneuerbaren Energien. Doch dann sollten wir den so gewonnenen Wasserstoff auch vernünftig einsetzen. Es macht wenig Sinn, Autos damit zu betanken, wenn man sie direkt mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen betreiben kann. Sinnvoll wäre der »grüne« Wasserstoff dort, wo noch länger nicht auf fossile Brennstoffe verzichtet werden kann: in der Schifffahrt zum Beispiel oder bei der Stahlherstellung.
Den Wasserstoff gibt es seit dem Urknall, das quantenmechanische Wasserstoffproblem hat die Wissenschaft seit einigen Jahrzehnten im Griff – und die politische Frage nach dem Einsatz von Wasserstoff als klimafreundliche Energiequelle wird uns noch ein wenig länger beschäftigen.
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