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Freistetters Formelwelt: Das Maß der Anstrengung

Subjektive Wahrnehmung, zum Beispiel von Anstrengung, kann man nur sehr ungenau messen. Trotzdem kann eine ungenaue Maßzahl wertvolle Informationen liefern, wie die Borg-Skala zeigt.
Eine Frau in Trainingskleidung hält zwei Kurzhanteln in Schulterhöhe.

Körperliche Leistungsfähigkeit lässt sich in sportlichen Wettkämpfen recht einfach vergleichen: Wer zum Beispiel beim 100-Meter-Lauf zuerst ins Ziel kommt, hat gewonnen. Etwas schwieriger wird es, wenn man objektiv bestimmen möchte, wie sich eine Belastung angefühlt hat. Wer zuerst über die Ziellinie eines Marathons läuft, war auf jeden Fall schneller als die Person, die als Letzte ankommt. Doch es ist sehr gut möglich, dass gerade sie sich aus subjektiver Sicht mehr angestrengt und den Lauf als sehr viel belastender empfunden hat.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Wie belastend sich etwas anfühlt, hängt auch von der Art der Aktivität hat. Ein schweres Gewicht hochzuheben, ist anstrengend; 20 Kilometer durch die Gegend zu laufen ebenfalls. Aus physiologischer Sicht spielen sich aber völlig andere Dinge ab, und es ist schwer, hier einen objektiven Eindruck zu gewinnen. Um dieses Problem zu lösen, wurde die Borg-Skala geschaffen, die auf dieser Formel basiert:

Ihren Namen verdankt sie dem schwedischen Psychologen Gunnar Borg. Der entwickelte dieses »rating of perceived exertion (RPE)« in den 1960er Jahren, um das subjektive Empfinden von Belastung zu messen. Eine Person gibt damit während einer körperlichen Aktivität ihr individuelles Belastungsempfinden an, und zwar auf einer Skala von 6 bis 20. Als Basis dieser erst einmal seltsamen Einteilung verwendete Borg die Herzfrequenz, also die Anzahl der Herzschläge pro Minute.

Im Ruhezustand, in dem man sich ja normalerweise nicht anstrengt und auch keine Anstrengung empfindet, liegt sie typischerweise bei 60 Schlägen pro Minute. Multipliziert mit 0,1 wird daraus ein RPE-Wert von 6. Bei gesunden Menschen kann die maximale Herzfrequenz bis zu 200 Schlägen pro Minute betragen, was zum RPE-Wert von 20 am oberen Ende der Skala führt.

Wann ist viel Training zu viel?

Seit ihrer Entwicklung in den 1960er Jahren wurde die Borg-Skala mehrmals modifiziert, um unter anderem auch die empfundene Atemnot mit einzubeziehen. Wer vor lauter Anstrengung kaum noch Luft bekommt, wird gleichzeitig auch eine starke körperliche Belastung empfinden und sollte die Aktivität am besten sehr schnell einstellen. Heute wird sie oft mit Zahlen zwischen 0 (keine Anstrengung und keine Atemnot) und 10 (so anstrengend, dass man nicht mehr weitermachen kann und extreme Atemnot verspürt) eingesetzt.

Es ist schwer möglich, etwas so Subjektives wie das Empfinden von Anstrengung in exakte mathematische Zahlen zu fassen. Die Borg-Skala ist deswegen auch nicht als präzises Messinstrument zu verstehen, sondern als nützliches Werkzeug, wenn es um die Beurteilung der eigenen Leistungsfähigkeit geht. Engagierte Sportlerinnen und Sportler neigen dazu, es mit dem Training zu übertreiben, wie ich durchaus aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Das führt dazu, dass sich der Sport irgendwann sehr viel anstrengender anfühlt als vorher, obwohl man das Ausmaß der Aktivität nicht verändert hat. Verfolgt man diese Entwicklung durch eine regelmäßige Aufzeichnung der RPE-Werte auf der Borg-Skala mit, fällt es leichter, die Phasen des Übertrainings zu erkennen und sich zu den dringend nötigen Ruhetagen zu zwingen.

Umgekehrt erfüllt die Borg-Skala ihren Zweck in der Rehabilitation nach Operationen oder Krankheiten. Da geht es darum, die körperliche Leistungsfähigkeit langsam wieder auf ein normales Niveau zu steigern. Um diesen Prozess mitverfolgen zu können und zu wissen, wann man die Trainingsintensität erhöhen sollte, braucht es die regelmäßige Kontrolle durch ein Instrument wie die Borg-Skala.

Und am Ende hilft sie dabei, die Lust an körperlicher Aktivität nicht zu verlieren. Wenn man sich selbst sportlich immer mit anderen vergleicht, kann das unter Umständen sehr deprimierend sein. Der objektivere Vergleich mit sich selbst ist da deutlich hilfreicher.

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