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Freistetters Formelwelt: Eine Sprache für nichts als die Wahrheit

Viel Streit dreht sich um Missverständnisse. Eigentlich bräuchte man eine Sprache, die so eindeutig ist wie die Mathematik. Das aber hat sich als extrem kompliziert erwiesen.
Mann und Frau am Sofa, der Haussegen hängt schief

Sprache ist komisch. Wir verwenden sie jeden Tag und würden ohne sie nicht auskommen. Sie ist die Grundlage unserer Kommunikation und Zivilisation. Und trotzdem fühlen wir uns andauernd falsch verstanden; wir diskutieren darüber, wie etwas gemeint war oder was man sagen darf und was nicht. Die Mathematik hat es da besser: Die Symbole einer Formel oder eines Beweises können auch völlig losgelöst von irgendeiner externen Bedeutung stehen. Man muss eine Zahl nicht mögen, um sie multiplizieren zu können. Ein Integral ist nicht ideologisch, und niemand fühlt sich angegriffen, wenn in einer Formel ein Doppelpunkt oder ein Sternsymbol auftaucht.

Wie schön wäre es, wenn unsere Sprache ebenso effizient und klar wäre wie die der Mathematik. Im Lauf der Geschichte hat es deswegen nicht an entsprechenden Reformationsversuchen gemangelt. Man wollte eine Sprache für alle Menschen finden, und die sollte perfekt konstruiert sein. Am ambitioniertesten war vermutlich die »Universalsprache« von Gottfried Wilhelm Leibniz, in deren Zentrum die Mathematik steht:

Diese zugegebenermaßen doch recht einfache Rechnung findet man in Leibniz’ 1679 erschienenem Text »Elementa characteristicae universalis«. Sie ist ganz explizit nicht einfach nur als simple Multiplikation zweier Zahlen gemeint. »2«, »3« und »6« sind in diesem Zusammenhang so genannte charakteristische Zahlen: »Wenn man Charaktere oder Zeichen finden könnte, die alle unsere Gedanken genauso rein und klar ausdrücken könnten wie die Arithmetik Zahlen oder die Analytische Geometrie Linien ausdrückt, dann könnte man in allen Angelegenheiten […] das tun, was man in der Arithmetik und Geometrie tut,« schrieb Leibniz.

Die Rechnung oben ist ein Beispiel für das, was er meint. Wenn in der Universalsprache der Begriff »Tier« durch die Zahl 2 ausgedrückt wird und die Eigenschaft der Vernunftbegabung durch die Zahl 3, dann wird Begriff »Mensch«, der ja ein vernunftbegabtes Tier ist, durch Multiplikation dieser charakteristischen Zahlen gebildet, was »6« ergibt.

Die Krux mit den Urbegriffen

Alles was existiert, müsse man in die zu seiner Beschreibung nötigen Grundbestandteile auflösen, bis man bei den absoluten »Urbegriffen« angelangt ist. Die zugehörigen Symbole können dann den Regeln der Mathematik und Logik folgend zu allem, was sag- oder denkbar ist, kombiniert werden. Mit so einem System könnte man auch direkt durch die Mathematik den Wahrheitsgehalt eines Satzes überprüfen. 6 lässt sich ohne Rest durch 2 teilen; der Satz »Alle Menschen sind Tiere« ist also richtig. Wäre hingegen etwa die charakteristische Zahl für den Begriff »Fisch« die 11, dann ist klar, dass ein Fisch kein Mensch ist, da 11 nicht exakt durch 6 teilbar und der Mensch-Begriff nicht im Fisch-Begriff enthalten ist – und umgekehrt.

Leibniz hatte ursprünglich vor, die Primzahlen zu verwenden, um die Urbegriffe darzustellen. Ihm wurde aber schnell klar, dass das deutlich zu einfach gedacht war, und er probierte, das Problem durch die Verwendung von Zahlenpaare anstatt einzelner Zahlen zu lösen. Aber natürlich fangen die Schwierigkeiten schon viel früher an: Was genau etwa sind die »Urbegriffe« und wie kann man sicher sein, dass sie wirklich fundamental sind? Leibniz stand vor dem gleichen Problem, vor dem heute die Teilchenphysik steht, wenn sie die Grundbausteine der Materie identifizieren soll und sich dabei nicht einmal sicher ist, wie man sie bezeichnen soll. Teilchen? Welle? Anregung eines Quantenfelds?

Mit seiner Universalsprache hatte Leibniz sich eine unlösbare Aufgabe gestellt. Die Gesamtheit potenzieller Erkenntnis zu klassifizieren, war selbst für ein Universalgenie wie ihn eine Nummer zu groß. Seine Vision aber bleibt verlockend. Hätten wir diese Sprache, dann gäbe es keinen Streit mehr. Das verspricht zumindest Leibniz: »Es wird ausreichend sein, seine Feder zu ergreifen, sich an einen Tisch zu setzen und sich gegenseitig zu sagen: Lasst uns rechnen!«

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